Lasst euch nicht entmutigen!
Lasst euch nicht entmutigen! Schreibt uns eine Leserin. Symbolbild: © Alexander Raths - Fotolia.com

Lasst euch nicht entmutigen!

In der vorigen Woche hat ein Leser mit seinem geisteswissenschaftlichen Studium abgerechnet. Das möchte eine andere Leserin nicht so stehen lassen. Hier ihre Antwort.

Ich halte es für falsch, Studierenden geisteswissenschaftlicher Fächer zum Abbruch ihres Studiums zu raten. Dieser Ratschlag ist aus meiner Sicht viel zu pauschal, vereinfachend und pessimistisch. Insbesondere da Geisteswissenschaften ja viele verschiedene Studiengänge umfassen, die sicherlich nicht alle sofort abgebrochen werden müssen.

Ich habe vor einigen Monaten einen deutsch-französischen Master in „Grenzüberschreitender Kommunikation und Kooperation“ mit der Note sehr gut abgeschlossen. Mir war durch Erfahrungsberichte von Kommilitonen und Absolventen bewusst, dass die Bewerbungsphase höchstwahrscheinlich länger dauern wird. Und so kam es auch. Viele der Erfahrungen meines „Vorredners“ habe ich genau so auch gemacht. Ich schrieb eine Bewerbung nach der anderen und erhielt nur Absagen. Der „Fall durch das soziale Netz“ ist mir ebenfalls bekannt. Ich erhielt weder ALG 1 noch 2 und da ich nicht mehr immatrikuliert war, musste auch ich mich selbst krankenversichern.

"Den Ärger, die Wut, den Druck, kenne ich auch nur zu gut."

Ich bewarb mich in zahlreichen verschiedenen Bereichen. Ziemlich schnell senkte ich meine Ansprüche an eine Arbeitsstelle und bewarb mich auf Assistenz- und Aushilfsstellen. Zudem suchte ich die Hilfe von Personalvermittlungsagenturen. Jedoch half alles nichts. Über eine zusätzliche Weiterbildung hatte ich auch bereits nachgedacht. Doch wozu, wenn man auch Absagen mit der Begründung der Überqualifizierung schon erhalten hat? Das Problem mit Praktikumsstellen ist mir ebenfalls bekannt. In den allermeisten Fällen muss man immatrikuliert sein.

Den Ärger, die Wut, den Druck, die Angst und Enttäuschung, die der Verfasser des Artikels beschreibt, kenne ich auch nur zu gut. Ein geisteswissenschaftliches Studium bietet eine Perspektive und ist keine Sackgasse – wenn man gewisse Dinge beachtet.

Mein Studium war interdisziplinär aufgebaut. Neben sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächern hatte ich Veranstaltungen in Wirtschaft, Politik und Recht. Zudem habe ich drei sehr verschiedene Praktika absolviert und zwei Jahre im Ausland gelebt, studiert und gearbeitet. An Einblicke in verschiedene Bereiche hat es mir sicherlich nicht gefehlt. Interessant und spannend war mein Studium für mich immer. Aber eine konkrete Vorstellung davon, was genau ich mit meinem Studium und meinen vielfältigen Erfahrungen nach meinem Abschluss machen könnte, hatte ich nicht. Und hier liegt meiner Auffassung nach das Problem.

Mein Tipp an Studierende geisteswissenschaftlicher Fächer wäre, sich schnellstmöglich im oder sogar schon vor dem Studium sehr ernsthaft Gedanken zu machen, wohin das Studium sie führen soll. Das klingt zwar abgedroschen, aber ich bin überzeugt, dass dies sehr hilfreich ist. Auch ich habe im Studium dahingehende Hinweise der Professoren nicht ernst genug genommen und mich auch nicht über die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt informiert. Möglicherweise ist auch die Verbindung zwischen geisteswissenschaftlichen Studierenden und der Wirtschaft bzw. allgemein zu potentiellen Arbeitgebern nicht so ausgeprägt wie das z.B. bei technischen Studiengängen der Fall ist.

"Man sollte den Erfolg am Ende nicht so unter den Tisch kehren."

Bei mir hat es schließlich mit einer Praktikantenstelle bei einem Sprachdienstleister geklappt. Sicher ist ein Praktikum nicht ideal. Die Tätigkeit ist aber auf alle Fälle etwas, das mir liegt und Freude bereitet und in einem Bereich, in dem ich mich weiterentwickeln möchte. Natürlich erhoffe ich mir auch „einen Fuß in der Tür“ und eine weiterführende Perspektive.

Bei meinem „Vorredner“ hat es schließlich ja doch mit der Jobsuche geklappt, auch wenn er das in seinem Artikel nur wie nebenbei erwähnt. Aus seiner Sicht hat er ja auch „nur“ Glück gehabt. Dazu kann ich nur sagen, man muss eben auch manchmal Glück haben und sollte den Erfolg am Ende nicht so unter den Tisch kehren.

Aus meiner Sicht braucht man in der Bewerbungsphase viel Optimismus und Hartnäckigkeit sowie die Unterstützung von Freunden und Familie. Durch viele Gespräche wird einem zudem bewusst, dass man nicht allein ist mit seinem Problem und andere ebenfalls Schwierigkeiten beim Berufseinstieg haben. Und das obwohl sie nicht mal Geisteswissenschaften studiert haben...

Es kann sicherlich auch nicht schaden, eine gesunde Portion Selbstbewusstsein mitzubringen und deutlich zu machen, was man aus seinem Studium alles einbringen kann.

In meinem Bekanntenkreis kam irgendwann die Frage auf, ob ich mir nicht wünsche, etwas anderes als Sprach- und Kulturwissenschaften studiert zu haben. Diese Frage kann ich nur vehement verneinen. Das Studium ist genau das, was ich wollte. Ich wüsste auch nicht, was ich anderes hätte studieren sollen. Fremdsprachen und Kultur sind einfach „mein Ding“. Es bringt nichts, ein anderes Studienfach zu wählen, das einem nicht liegt und am Ende vielleicht auch damit keinen Job zu finden.  

Was denken Sie? Haben auch Sie „Ihre Geschichte“ zu erzählen? Oder wollen Sie auf die hier geschilderten Erfahrungen eingehen? Wir freuen uns über Ihre E-Mail an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de. Ihr arbeitsmarkt-Team


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