Geisteswissenschaftler in der Sackgasse?
Geisteswissenschaftler lesen viel und wissen viel. Aber nützt das auch für den Beruf? Foto: © Igor Mojzes - Fotolia.com

Geisteswissenschaftler in der Sackgasse?

Endet man als Geistes- und Sozialwissenschaftler in einer beruflichen Sackgasse? Darüber diskutieren unsere Leserinnen und Leser. Wir denken: Nein!

 

Geisteswissenschaftler-Job-findenViele Geisteswissenschaftler/innen haben es nicht leicht, einen Job zu finden. Wir helfen ihnen dabei. Jede Woche werten wir 90 Tages- und Wochenzeitungen, 50 Fachzeitschriften und zahlreiche Online-Portale aus. Dort suchen wir bundesweit nach Stellenangeboten speziell für Geisteswissenschaftler/innen. Die Jobs werden nach Tätigkeitsgebieten sortiert. So erhalten Sie wöchentlich einen Überblick zum aktuellen Stellenmarkt. Hier mehr Informationen. Hier können Sie ein Probeexemplar einsehen.

 

Zwei Leserbriefe haben uns kürzlich erreicht - und eine Debatte losgetreten. In der Zuschrift "Top Ausbildung und kein Job" rechnete eine Leserin mit ihrem geisteswissenschaftlichen Studium ab. Darauf antwortete eine Leserin: "Lasst euch nicht entmutigen!" Heute veröffentlichen wir drei weitere Leserbriefe - und freuen uns über Feedback, per Mail aber auch auf Facebook.

Kulturanthropologin: „Anhand der Praxis profilieren“

Liebe Redaktion,

zu dem veröffentlichten Leserbrief „Top ausgebildet und keinen Job“ möchte ich gerne Stellung nehmen. Ich selbst muss mich ein wenig wundern, über die radikale Sichtweise und das Missachten des eigenen Studiengangs. Bezüglich des Ratschlags, profitablere Studiengänge zu wählen, sollte doch mehr differenziert und weniger pauschalisiert werden.

Meine Überzeugung ist es, dass es stark an der eigenen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit liegt, was aus einem geisteswissenschaftlichen Studium gemacht wird. Ich darf nicht davon ausgehen, dass ich ein ausformuliertes bzw. klar umrissenes Jobprofil nach dem Studium, wie z.B. Lehramt oder Rechtswissenschaft, besitze.

Ich selbst bin Kulturanthropologin (keine hervorragenden Noten) und habe mich bereits während meines Studiums mithilfe eines Halbtagsjobs (20Std./Monat) bzw. verschiedener Praktika und Workshops in dem Bereich „Jugendpolitische Bildung“ stark engagiert. Durch diese berufliche Erfahrung hatte ich nach dem Ende meines Studiums keine Schwierigkeiten einen Job zu erhalten.

Nach meinem Studium habe ich mich mithilfe eines Stipendiums erneut ins Ausland begeben, um weitere Erfahrungen in meinem Bereich zu sammeln. Aufgrund des Auslandsaufenthalts habe ich mich dazu entschlossen, mich erst nach meiner Rückkehr zu bewerben. Obwohl ich im Norden studiert habe und dort auch ein enges Netzwerk hatte, habe ich mich eher in Richtung Westen orientiert. Innerhalb von drei Wochen hatte ich die ersten Vorstellungsgespräche und in diesem Zeitraum auch schnell einen Job, ohne dass ich mich je beim Arbeitsamt melden musste.

„Heute habe ich einen tollen Job bei der Europäischen Union“

Der erste Job war nicht meine Erfüllung und es waren auch keine herausragenden Konditionen (knapp 2200,- Euro brutto, inklusive halbstündigen Pendelns, enger Arbeitsrichtlinien usw.), allerdings konnte ich erste Berufserfahrungen sammeln. Dort war ich für zweieinhalb Jahre beschäftigt. In diesem Zeitraum, das muss ich zugeben, habe ich einige Bewerbungen (ca.12 Bewerbungen) versendet, um eine für mich lukrativere Stelle zu bekommen. Im Zuge der Arbeitskontakte ist dies nun auch vor einigen Jahren geschehen und ich habe einen tollen, unbefristeten, abwechslungsreichen und aufregenden Job bei der Europäischen Union bekommen, mit dem ich sehr zufrieden bin.

Anhand der Veröffentlichung  einiger meiner Stationen möchte ich darlegen, dass es wichtig ist, im Studium bereits praktische Akzente zu setzen und sich ein Netzwerk zu erschaffen. Durch das relativ unspezifische Studium können wir Geisteswissenschaftler uns nur anhand der Praxis profilieren.

Als Abschluss möchte ich ergänzen, dass alle meine Kommilitonen in Jobs eingemündet sind. Der eine schnell, der andere weniger schnell. Es existiert aber auch hier keine einheitliche Berufssparte, sondern von dem Human-Ressources-Manager, zu der Theaterpädagogin bis hin zur Kulturreferentin sind alle Bereiche des Lebens vertreten. Daher möchte ich jedem von Herzen raten, das Studium seiner Wahl bzw. seiner Leidenschaft zu wählen, keine „unangemessenen bzw. überzogenen“ Forderungen und Erwartungen an den ersten Job zu stellen, sich praktisch zu profilieren und ein Urvertrauen zu haben. Denn wie der Kölner sagt „Et hät noch immer jot jejange“!

Viele Grüße und viel Erfolg!

Kulturwissenschaftlerin: „Viele Chancen außerhalb der typischen Institutionen“

Liebe Redaktion,

vielen Dank für die hochinteressante Diskussion, die ihr über die Arbeitssuche und Arbeitschancen von Geisteswissenschaftlern veröffentlicht. Ich würde sehr gerne auch noch meine hoffnungsvolle Geschichte berichten.

Ich glaube, dass man als Geistes- oder Kulturwissenschaftler fast ehrgeiziger sein muss als andere Studenten. Wie die Autorin des letzten Artikels schrieb, ist es wohl das A und O zu wissen, was man will und wo man hinwill.

Ich habe Kulturwissenschaften studiert, was meinem Umfeld nicht besonders erfolgsversprechend erschien. Daher machte ich mich mein ganzes Studium verrückt, wollte nur dir besten Noten haben. Im zweiten Semester fing ich an, mich zu fragen, was ich gerne tun würde. Mein Wunsch reifte heran, einmal in einem Museum oder einem Kulturamt zu arbeiten.

Daraufhin begann ich Praktika zu machen und nebenher in Kultureinrichtungen und –vereinen zu arbeiten. Ich strickte ein Netzwerk, vor allem durch die Vereinsarbeit. Meiner Meinung nach, ist es zu spät nach dem Studium mit der Jobsuche zu beginnen. Das ist eigentlich ein Prozess, den man über Jahre vorantreiben kann.

„Wenn ich darauf bestehen würde nur in einem Museum arbeiten zu wollen, wäre ich wahrscheinlich arbeitslos.“

Durch meine Kontakte, aber natürlich auch mit einer Portion Glück, bekam ich so gleich nach dem Studium einen Volontariatsplatz. Auch dort machte ich viele Fortbildungen und entwickelte ein Netzwerk weiter, sodass ich nun auch anschließend eine Stelle in einem Ausstellungsbüro fand.

Alternativen zu haben, ist vermutlich auch nicht schlecht. Nicht darauf bestehen, dass man genau DAS machen will. Die Kulturbranche ist zum Beispiel sehr groß und bietet viele Chancen – besonders außerhalb der typischen Institutionen. Wenn ich darauf bestehen würde nur in einem Museum arbeiten zu wollen, wäre ich wahrscheinlich arbeitslos.

Ich will damit nicht sagen, dass es leicht ist einen Job zu finden. Ganz im Gegenteil. Ich habe sehr oft mein Privatleben und zuweilen auch das Studium hinten angestellt, um Arbeitserfahrung zu sammeln. Für meinen neuen Job bin ich umgezogen, habe mein gewohntes und geliebtes Umfeld verlassen. Ich glaube aber trotzdem, dass man, wenn man wirklich will, Chancen finden kann.

Herzliche Grüße!

"Karriere ist nicht alles im Leben"

Liebe Redaktion,

nach der Zeit der Bildung folgt zwar lebensphasenfolgend die Zeit der Arbeit. Aber das heißt nicht, dass beides unbedingt sehr gut zusammen passt. Es gibt auch keine übergeordnete Instanz, die diesen gesamten gesellschaftlichen Komplex der Lebensläufe, der Wirtschaft und der Politik irgendwie zusammenbaut. 

Deshalb kann man sich beschweren: bei der Uni, weil sie einem vorher hätten sagen können, wie es nachher ist; bei der Agentur für Arbeit, weil sie etwas unfreundlich anmutende Drohungen in fast jeden Brief schreibt; bei den Maßnahmen für Arbeitslose, weil die zu wenig passgenau sind.

Man kann sich bescheren beim letzten Arbeitgeber, weil er ziemlich wenig Geld gezahlt und die Arbeitsbedingungen unerträglich waren; bei irgendeiner Partei, weil sie irgendetwas nicht getan hat, was besser gewesen wäre für die Arbeitsbedingungen im Allgemeinen; beim letzten Coach, weil er teuer war und es doch nichts gebracht hat.

Was problematisch an der Situation der Arbeitslosigkeit ist, ist, dass man sich dafür rechtfertigen muss, warum dies so ist. Die Tätigkeit gehört zur Identität des Menschen, deshalb wollen andere Menschen gerne wissen, was man tut und warum. Als Arbeitslose -so habe ich das empfunden- verkaufe ich quasi meine Geschichte an diejenigen, von denen ich in der Situation abhängig bin.

Jeder versucht nun mal das beste aus seiner Situation zu machen. Die Situation, in der man alle möglichen Daten über sich abgeben muss, oder damit beschäftigt ist einen Antrag auszufüllen, damit man die Fahrtkosten 2,70,- Euro zur Agentur zurückerstattet bekommt, oder einem ein Fallmanager sagt: "Wir bezahlen ihnen ihr Deo.", ist eben eine etwas ...eigenartige.

Eine Zeitlang kann man das vielleicht als Phänomen irgendwie interessant finden oder sich eventuell darüber belustigen. Vielleicht ist es nicht weniger Arbeit arbeitslos zu sein als arbeiten zu gehen.

Die Identität ist etwas, was reproduziert werden muss, sie ist nichts festes. Mitgeteilt an andere wird die Identität über Erzählung. Also: was soll man denn dann erzählen, was man so macht? 

Wissen ist kulturelles Gut, kulturelles Erbe. Eine Universität ist auch dafür da, diese Wissen in diesem Sinne weiterzugeben. Und das gilt auch, und insbesondere für jene Fächer und jenes Wissen, was eben nicht nur nutzbar für "die Wirtschaft" bzw. für die Karriere ist. 

Die Karriereausrichtung benutzt auch ein Koordinationsystem mit einer Linie, die von links unten nach rechts oben geht. Das bedeutet: Maximierung von irgendwas, zum Beispiel Gewinn oder Erfolg. Vielleicht motiviert einen das ja, optimistisch zu sein. Ich habe so ein Diagramm mal in einer Maßnahme für Arbeitslose gezeigt bekommen. Aber seit wann funktioniert das Leben in dieser Weise und was hätte ich mit dieser vereinfachten Darstellung einer Idee anfangen sollen? Daran glauben?

„Arbeiten ist eine Notwendigkeit.“

Das wurde meinem Anspruch an eine differenzierte Betrachtung meiner Verhältnisse nicht gerecht. Aber nicht, dass ich das erwartet hätte, nur wollte ich trotzdem nicht etwas übernehmen, was ich begründbarerweise für sachlich falsch gehalten habe.

Wenn man studiert beschäftigt man sich detailliert mit Themengebieten. Man hat Interesse und lernt. Das tut man nicht nur für sich, sondern man tut das innerhalb einer längeren Geschichte. Man trägt einen Mini-Anteil dazu bei, dass (unglaublich) interessante Gedanken und Ideen weitergetragen werden können. Vielfalt bedeutet auch Freiheit. Ist das Nichts? Wie viel ist das Wert?

Es ist schön, wenn das Arbeiten "Spaß" macht. Eher noch ist Arbeit eine Notwendigkeit. Eine Notwendigkeit kann komplexe Lebenserwartungen und -wünsche nicht direkt beantworten. In diesem Sinne wünsche ich allen von ihrer Situation genervten Arbeitslosen Unabhängigkeit; Arbeit, Geld, Karriere, Status kann man nicht vergessen, aber sie sind in gewisser Weise nicht alles im Leben. 

 

Was denken Sie? Wir freuen uns über weitere Zuschriften an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de.

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