Geisteswissenschaftler und Traumjob
Die lange Suche nach dem richtigen Job - Foto: Wila Bonn / Fabian Stürtz

Geisteswissenschaftler und Traumjob

Zwei weitere Leserbriefe haben uns erreicht - zur Debatte um die Berufsperspektiven der Geisteswissenschaftler und die Frage nach dem Traumjob und der Selbstständigkeit.

Geisteswissenschaftler in der Sackgasse - eine Antwort 

Da meine Frustrationsgrenze gerade gewaltig überschritten ist und ich allem, was der Leser in “Geisteswissenschaftler in der Sackgasse” schreibt, nur zustimmen kann, möchte ich Ihnen gerne einmal meine Situation schildern. Ich habe Kulturwissenschaften und Romanistik studiert und mit einer 1,5 abgeschlossen. Angeschlossen habe ich eine von einer Stiftung geförderte externe Dissertation, die ich vor einigen Monaten mit Magna cum laude abgeschlossen habe, worauf ich eigentlich sehr stolz war.

Zugegeben habe ich für Studium und Promotion länger gebraucht als ideal wäre, da ich bereits im Studium ein Kind bekommen habe und ein weiteres zu Beginn meiner Promotion. Allerdings dachte ich immer, dass gerade dieser Umstand auch meine Motivation aufzeigt. Ich habe bereits vor dem Ende meiner Promotion begonnen, mich zu bewerben und seitdem bekomme ich eine Absage nach der anderen. 

"Ich habe mich extrem breitgefächert beworben, aber stets fehlt mir eine Kompetenz."

Ich habe mich extrem breitgefächert beworben, aber stets fehlt mir eine Kompetenz. In Bibliotheken und Museen beispielsweise die Erfahrung durch Praktikas etc. Ich habe allerdings während meines Studiums keine Zeit dafür gehabt, da ich neben Kind und Studium auch noch gearbeitet habe. Außerdem habe ich mich in Bibliotheken und Museen auf Volontariate beworben, aber offensichtlich soll der Volontär bereits komplett eingearbeitet sein und lediglich eine billige Arbeitskraft darstellen.

Um eine weitere Ausbildung für den höheren Bibliotheksdienst etc. zu machen, brauche ich mindestens ein Jahr Erfahrung in diesem Bereich, die kann ich aber nicht sammeln, da ich andererseits die Ausbildung für den höheren Bibliotheksdienst brauche, um überhaupt dort arbeiten zu können. Ein Praktikum kann ich auch nicht machen, da dieses Studenten vorbehalten ist, die es für ihr Studium brauchen. Hinzu kommt eine gläserne Decke, denn der Volontär soll nicht älter als 32 Jahre sein (das trifft auch auf die Universität zu), ich bin allerdings bereits 34 Jahre, was in den Geisteswissenschaften ein gängiger Altersdurchschnitt bei Promovenden ist, auch wenn diese keine Kinder haben.

"Mittlerweile bin ich richtig verzweifelt, denn ich dachte eigentlich, gut ausgebildet zu sein."

Mittlerweile bin ich richtig verzweifelt, denn ich dachte eigentlich, gut ausgebildet zu sein und höre nun immerzu, was mir noch alles fehlt. Ich kann doch aber nicht immer wieder in die Ausbildung gehen, ich möchte sehr gerne endlich praktisch anwenden, was ich gelernt habe! Ich habe auch keine überzogenen Ansprüche, vielmehr bewerbe ich mich auch auf Stellen, für die ich eigentlich überqualifiziert bin. Generell fehlen mir immer die praktischen Erfahrungen und ich hätte letztlich vielleicht lieber eine Ausbildung machen sollen. 

Ich beginne jedenfalls an mir zu zweifeln, da ich offenbar nicht gut genug für den Arbeitsmarkt bin. Hinzu kommen meine Kinder, deren Betreuungssituation bei dem einzigen Bewerbungsgespräch, das ich ergattern konnte, den absoluten Themenschwerpunkt darstellten. So bitter das ist, so scheinen Kinder doch immer mehr zu einem Hinderungsgrund zu werden, was den Aussagen der deutschen Politik Hohn spricht. Ich kann die Sprüche von familienfreundlichen Hochschulen oder Firmen nicht mehr hören, denn der Realität halten diese in den allerwenigsten Fällen stand. Im Gesamten kann auch ich somit niemandem raten, sich in die geisteswissenschaftliche Richtung zu orientieren, denn offenbar wird die Geisteswissenschaft leider mehr und mehr als unnütz betrachtet. R. A.

Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Wie würden Sie vorgehen? Wir freuen uns über Fedback an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de! 

"Die Suche nach dem Traumjob kann gefährlich werden" - eine Antwort

Ich schätze die Ehrlichkeit der Autorin sehr und ich befürchte, dass sie tatsächlich die harte Realität beschreibt. Sie schafft dies in schönen Worten und einen fließenden Schreibstil, der darauf hinweist, dass sie mit ihrem „Traumjob“ sehr nahe an ihrem tatsächlichen Talent war. Das Schreiben ist ihr Ding! Die Hochschulverwaltung weiß das hoffentlich zu schätzen.

"Auch die Verwaltung ist kein sicherer Zufluchtsort"

Da ich selbst als Geisteswissenschaftlerin auch in der Hochschulverwaltung angestellt war, allerdings immer nur befristet, weiß ich wovon die Autorin schreibt. Ich persönlich versuche jetzt den Sprung in die Wirtschaft, denn auch die Wissenschaftsverwaltung scheint aus meinen Erfahrungen kein sicherer Zufluchtsort für Geisterwissenschaftlerinnen mehr zu sein. 

Was mir wirklich leid tut, ist, dass die Schreiberin anonym bleiben möchte. Wie groß muss das Leid sein, dass sie von anderen Menschen für ihre Offenheit erwartet. Ich kann mir vorstellen, dass sie weiß, dass die wenigsten Menschen dort arbeiten, wo sie ihren Fähigkeiten nach hingehören könnten. Leider befürchte ich zudem, dass die Situation für Geisteswissenschaftlerinnen noch schlimmer wird, da es immer mehr Menschen mit akademischer Ausbildung geben wird.

Ich befürchte, dass dann selbst die wenigen Arbeitsplätze, die bisher von Geisteswissenschaftlern in Verwaltung und Hochschule besetzt werden konnten, diese von Ingenieuren / Informatikerinnen / Naturwissenschaftern streitig gemacht werden. Wenn sich solche Absolventen in den Hochschulen bewerben z.B. Ingenieure, die in der Studienberatung arbeiten möchten, dann werden die Geisteswissenschaftlerinnen überflüssig.

Ich hoffe sehr, dass die Arbeitgeber und auch die Hochschulen den Faktor Geisteswissenschaftler trotz meiner Befürchtungen genug schätzen gelernt haben, um doch noch für diese Absolventengruppe offen zu sein. Die hohe Allgemeinbildung und das Interesse an den Themen „drumherum“ zeichnet sie aus und ich bin auch fest davon überzeugt, dass sie sich auch etwa erforderliches Fachwissen dazu erwerben können, um eine Schnittstellenposition (z.B. pädagogisch wertvolle Vermittlung von Ingenieurwissen) in der Wirtschaft zu besetzen. Bisher traut man nur den Ingenieurinnen zu, dass „nicht so wichtige – softe“ Wissen in Pädagogik, Soziologie, Literatur usw. zusätzlich erwerben können, um eine solche Stelle zu besetzen. Ich bin aber davon überzeugt, dass auch wir "Geisteswissenschaftler“ genügend von Technik verstehen, um z.B. einen Heizkreis zu beschreiben und dieses Wissen an Anfänger zu vermitteln.

Soweit so gut – die Zeiten ändern sich und wir müssen alle sehen, wie wir die Arbeit schaffen. Ich fände es bloß schade, wenn die Wirtschaft nicht zuerst auf die inländischen (deutsch oder mit Migrationshintergrund) „Geisteswissenschaftler“ und „Alten“ zurück greift, bevor ausländische Kolleginnen „importiert“ werden. C. Schulz

Was denken Sie über die Suche nach dem Traumjob? Wir freuen uns über Ihr Feedback an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de! 

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