„Von unserem Gehalt können Sie aber nicht leben“
Viele Bewerberinnen und Bewerber: Jobs bei Pressestellen, Fachmagazinen oder Zeitungen. Foto: © Naeblys - Fotolia.com

„Von unserem Gehalt können Sie aber nicht leben“

Eine Geisteswissenschaftlerin wollte im Bereich Medien und Kultur arbeiten. Hier berichtet sie über ihre erschreckenden Bewerbungsgespräche.

Meine Studienfächer waren Germanistik und Anglistik auf Magister. Insgesamt musste ich schon dreimal einen Bewerbungsmarathon durchlaufen und empfand es jedes Mal als äußerst schwierig und frustrierend. Auch habe ich in diesen Zeiten bei Bewerbungsgesprächen erschreckende und absurde Erlebnisse gemacht.

Nach meinem Studienabschluss war ich – wie so viele, die sich bereits mit einem Leserbrief an Sie wandten – gut für den Arbeitsmarkt qualifiziert. So dachte ich jedenfalls. Aber Pustekuchen! Eine Abschlussnote von 1,8, ein Auslandsjahr an einer irischen Universität, eine Tätigkeit als freie Mitarbeiterin bei einer Tageszeitung sowie ein Praktikum in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei einer Hilfsorganisation und eines in der Redaktion einer englischsprachigen Fachzeitschrift waren wohl keine angemessenen und ausreichenden Erfahrungen, um als Absolventin einen Berufseinstieg zu finden. Dabei bewarb ich mich in erster Linie „nur“ auf Volontariate (im Bereich PR, Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion). Bis auf einige wenige Vorstellungsgespräche flatterte eine Absage nach der anderen ins Haus.

In den Bewerbungsgesprächen bekam ich dann auch gleich einen Einblick in die Absurdität des Bewerbungsverfahrens und der Stellenbesetzung. In einem Verlag hätte man mich als Volontärin im Lektorat direkt ins kalte Wasser geworfen: „Sie übernehmen von Anfang an den Job von A bis Z.“ Ohne Weiterbildungen, für 800 Euro im Monat. Es war mein allererstes Vorstellungsgespräch. Dem Verlagsbesitzer war ich wohl etwas zu zurückhaltend: „Jetzt kommen Sie doch mal, verkaufen Sie sich doch mal!“ bellte er mich an. 

"Keine Skrupel und Scheu"

Und der O-Ton eines Führungsmitglieds einer politisch-kulturellen Organisation lautete: „Ja, also, von dem, was Sie bei uns verdienen, können Sie aber nicht leben, das ist Ihnen ja wohl klar. Haben Sie denn noch jemanden, der Sie finanziert“? Ich dachte, ich falle aus allen Wolken. Für eine schlagfertige Antwort war ich jedoch nicht mutig genug – selbst dieses sogenannte „Volontariat“ (1 Jahr, keine Weiterbildungen, mit 600 Euro im Monat eine mehr als unterirdische Bezahlung, keine Chance auf Übernahme) hätte ich genommen – nur, um den Berufseinstieg irgendwie zu schaffen. Sogenannte Volontariate wie diese beiden wurden erschreckend oft ausgeschrieben und schnell merkte ich auch, wie enorm groß der Druck und die Konkurrenz sind, weil es so viele Geisteswissenschaftler gibt, die „irgendwas mit Medien“ oder „irgendwas mit Kultur“ machen möchten. Deshalb haben Unternehmen auch keine Skrupel und Scheu, Ausbeuterstellen an Geisteswissenschaftler loszuwerden.

  • Welches Gehalt wurden Ihnen in Ihrem ersten Job angeboten? Was sollten Sie dafür leisten? Und wie haben Sie reagiert? Schreiben Sie uns eine E-Mail an redaktion@wila-arbeitsmarkt.de. Danke! 

Diese Bewerbungserlebnisse waren kein Einzelfall. Mehrere Museen setzten bei meiner Stellensuche für ein Volontariat einen Doktortitel voraus! Eine Zeitung, bei der ich eingeladen wurde, meldete sich nie wieder. Als die Zusage für das 600-Euro-Volontariat bei eben erwähnter Organisation kam, war ich zunächst einfach nur erleichtert. Ich hatte etwas gefunden. Aber dann kamen mir Zweifel. Wollte ich das wirklich? Was wäre nach dem Jahr?

In der Zwischenzeit hatte ich auch noch die Zusage für ein Auslandspraktikum bei einem renommierten Institut bekommen – 1,5 Jahre nach der Bewerbung! Aber noch mal ein Praktikum, als Absolventin? War das das Wahre? Schließlich entschied ich mich doch für das Praktikum. Dieses war natürlich unbezahlt. Aber die Auslandserfahrungen und das Renommee des Instituts schienen mir doch die bessere Alternative.

Nach einem halben Jahr in Indien, in dem ich auch wirklich noch einmal sehr viel gelernt habe und das ich unter keinen Umständen missen möchte, bekam ich dann auch glücklicherweise ein Volontariat in der Pressestelle der Uni, an der ich studiert hatte. Sogar mit einer einigermaßen fairen Bezahlung und einem vierwöchigen Volontärkurs. Aber leider wieder ohne Chancen auf Übernahme. Wie ich im Nachhinein erfuhr, war ich nur ein günstiger Lückenfüller, es war schon längst geplant, die frei gewordene Stelle umzumodeln und an jemand anderen zu vergeben.

"Meine neue Stelle ist einen Riesenglücksfall  – aber der Weg dahin war die Hölle."

Somit musste ich nach 18 Monaten wieder auf Stellensuche gehen. U.a. wurde ich für die Stelle in der Presseabteilung einer Stadt zu einem 5-stündigen Assessment Center eingeladen. Die Pressesprecherin einer privaten Hochschule wollte von mir als allererstes wissen, wie viele und welche Wirtschaftszeitungen (Plural!) ich denn täglich lese. Für eine halbe Stelle als Sekretärin war „ein Studium von großem Vorteil“. Aber auch aus diesem Job wurde nichts. Ich bewarb mich sogar auf Assistenzstellen bei Zeitarbeitsfirmen. Nichts. Ich war verzweifelt, frustriert und genervt. Mit jedem Tag schwand meine Motivation.

Irgendwann bekam ich eine Zusage für eine halbe Stelle in der Pressearbeit bei einer Volkshochschule, bei der ich noch weniger verdiente, als in meinem Volontariat. Zu meinem Arbeitsplatz musste ich an 4 Tagen die Woche 1 1?2 Stunden pendeln – einfache Fahrt. Nun hatte ich zwar die Gefahr der Arbeitslosigkeit gebannt, wurde aber schnell erneut unglücklich. Es gab keine Einarbeitung, wenig Unterstützung und eine allgemeine, immer weiter anwachsende Missstimmung zwischen Kollegen und Geschäftsleitung.

Nach weiteren 1,5 Jahren konnte ich so nicht mehr weitermachen – wie sollte ich mich denn bei dem Gehalt finanziell absichern? Aber würde ich als Geisteswissenschaftlerin mit nicht genau festgelegtem Beruf jemals etwas finden, von dem ich gut leben kann? Ich glaubte nicht mehr daran. Ich überlegte sogar, ob ich noch mal umschwenken soll, auf Erzieherin. Aber mit 30 noch einmal etwas Neues beginnen, bei dem die Bezahlung am Ende auch nicht besser sein würde? Also steckte ich abermals meine ganze Energie in die Stellensuche.

Ich wurde erstaunlich oft eingeladen. Nun waren meine bisherigen Arbeitserfahrungen also attraktiv genug – aber zunächst bekam ich wieder nur Absagen. Lag es an mir, an meiner Person, der Art, wie ich rüberkam? Genug Qualifikationen hatte ich doch nun gesammelt – oder? Ich ging sogar zu einer Kommunikationstrainerin, für 100 Euro die Stunde. Ich schaffte mir neue Bewerbungsoutfits an. Übte tagelang Vorstellungssituationen und beschäftigte mich jeweils sehr intensiv mit dem jeweiligen Unternehmen, bei dem ich eingeladen war. Ich bewarb mich sogar weiter weg, obwohl ich gerne im Großraum Rhein-Main bleiben wollte.

Beim Kulturamt einer Stadt wurde ich zu einer zweiten Bewerbungsrunde eingeladen – und habe dort nun eine unbefristete Vollzeitstelle. Wir sind zwar unterbesetzt und meine Stelle ist als Sachbearbeiterin ausgewiesen, was sich natürlich im Gehalt spiegelt. Aber es macht trotzdem riesengroßen Spaß. Ich gehe gerne zur Arbeit. Nun werden viele sagen, was denn, die hat doch Glück gehabt. Das habe ich. Ich empfinde meine neue Stelle als einen Riesenglücksfall  – aber der Weg dahin war die Hölle. All jenen, die da draußen noch immer auf der Suche sind, wünsche ich von ganzem Herzen viel Erfolg! H.C.

Weitere WILA-Angebote