Wie überlebe ich im freien Journalismus?
Freiheit auf der einen Seite, Existenzängste auf der anderen? Freier Journalismus kann Spaß machen, aber auch anstrengend sein. Foto: © Ivan Kruk / Fotolia.de

Wie überlebe ich im freien Journalismus?

Festanstellungen im Journalismus sind selten. Unter den Freien herrscht Konkurrenz um lukrative Aufträge. Wie sehen die Profis die Entwicklungen ihres Berufsstandes? Alexander Glück hat drei Selbstständige befragt.

WILA Arbeitsmarkt: Freie Journalistinnen und Journlisten sind nicht in jedem Fall beruflich erfolgreich, etliche sehen sich im Prekariat. Wie können Berufsanfänger ihre Chancen auf Erfolg steigern?

Simone Brockes: Es wird immer schwieriger, eine Festanstellung zu erhalten, die gerade zu Beginn einer journalistischen Karriere wichtig wäre. So landen viele Einsteiger auf den freien Markt. Neben einem breit aufgestellten Themenwissen ist auch unternehmerisches Denken nötig, fehlt aber oft.

Ein breit aufgestelltes Kontaktnetz, Flexibilität und ein relativ sicherer finanzieller Hintergrund sind heute Bedingung, um auf Dauer erfolgreich arbeiten zu können. Das Gespür für den aktuellen Zeitgeist, Trends und die Kunst, hinter der Meldung eine spannende Geschichte zu entdecken, sind die Grundlagen des Erfolgs. Und dann sollte man auch noch flüssig und richtig schreiben können. Von guter Selbstvermarktung ganz zu schweigen. Der „Freie“ von heute muss ein „Allround-Talent“ sein. 

Bettina Blass: Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich ein gutes Kontaktnetz aufzubauen, denn darüber und über Empfehlungen bekommt man die meisten Aufträge. Außerdem ist es wichtig, sich im Internet sichtbar zu machen, damit man gefunden wird. Über meine Homepage habe ich schon viele Aufträge bekommen, von Kunden, die ich noch nie gesehen oder gesprochen habe.

Timo Stoppacher: Es ist außerdem wichtig, sich und sein Angebot klar zu positionieren. Nicht als die eierlegende Wollmilchsau arbeiten, die keinen Auftrag ablehnt, sondern sein Profil zu schärfen. Das heißt auch, von Anfang an eine Spezialisierung zum Beispiel zu Themen zu erarbeiten, evtl. auch durch entsprechend gelagerte Studiengänge, bei denen man das Fachwissen des Themas schon mitkriegt.

Blogs gegen Print – besteht da wirklich Konkurrenz oder ist es eine Medienergänzung?

SB: Für mich sind Blogs eine gute Medienergänzung, ein Fundus für diverse Themen, aus denen sich wunderbar neue Geschichten machen lassen. Wie grundsätzlich in unserem Beruf heißt es immer: Augen auf! Und: Die besten Stories liegen auf der Straße bzw. gibt‘s heute im Netz. Somit sollte auch gezieltes „Surfen“ gelernt sein.

BB: Ein Blog ist im Idealfall multimedial. Das kann ein Printprodukt nicht leisten. Für mich sind Print, Online, TV und Radio Medien, die sich ergänzen und die auch ihre eigene Zeit haben: Radio höre ich beispielsweise morgens oder als Podcast spät abends. Print lese ich in der Regel abends. TV ist auch eher ein Abend-Medium. Online bin ich den ganzen Tag. Ich konsumiere Onlinemedien am Schreibtisch, in der Bahn oder während ich fernsehe. 

TS: Ich sehe da ebenfalls keine Konkurrenz, sondern eine Konvergenz. Blogs finden sich häufig in Nischen, die der reguläre Medienmarkt nicht abdeckt, zum Beispiel augengeradeaus.

  • Zu den Interviewpartner/innen:
  • Simone Brockes ist freie Journalistin und Fotografin, Buchautorin und Betreiberin des Blogs www.lese-reise.net
  • Bettina Blass ist selbstständige Wirtschaftsjournalistin, Dozentin für Internetthemen, Bloggerin und Buchautorin. Mit Timo Stoppacher betreibt sie www.fitfuerjournalismus.de
  • Timo Stoppacher ist selbstständiger Journalist und Buchautor insbesondere zu Technikthemen, Blogger und Dozent.

Frei gegen angestellt – auch hier wird oft eine Konkurrenz vermutet, die nicht überall existiert. Konkret: In welchen Bereichen profitieren beide Gruppen tatsächlich voneinander?

SB: Das  hängt vom Thema ab. Der „Freie“ hat den Vorteil, mehr Zeit in eine gute Recherche zu investieren und somit dem „Festen“ zuarbeiten zu können. Oder eben eine eigene Reportage auf eigene Initiative anzubieten. Dazu gehört ein gutes Exposé, das Lust macht auf mehr. Auch sollte der Freie wissen, wie sein Ansprechpartner „tickt“. Der eine Redakteur hat es gerne knapp und bündig, der andere liebt es ausführlicher. Das jeweilige Medium mit seinen Schwerpunkten sollte man also kennen.

BB: Ich sehe da keine Konkurrenz: Meine Kunden sind häufig festangestellt, und die benötigen meine Inhalte, sonst kann ihr Produkt nicht erscheinen. Da ich gerne selbstständig bin, sind sie für mich ebenfalls keine Konkurrenz. Ohne ihre Aufträge könnte ich nicht selbstständig sein. Es ist also eine Win-Win-Situation.

Welche beruflichen Aspekte des freien Journalismus haben sich in den letzten zwanzig Jahren am deutlichsten verändert?

SB: Hatte man früher seinen festen Platz in einem Medium und dort eine „Komfortzone“, ist dies heute nicht mehr so. Täglich muss sich der „Freie“ neu aufstellen, sich und seine Arbeit überdenken. Letztere mag noch so gut sein, was nutzt es, wenn der potenzielle Auftraggeber nicht „anbeißt“?

BB: 1995 habe ich in der Redaktion einer Tageszeitung in Baden-Württemberg noch auf Schreibmaschinen geschrieben, ohne Strom. Heute kann ich meine Texte auch auf dem Tablet schreiben und sie sofort publizieren. Ich brauche nicht einmal ein Verlagshaus, um etwas veröffentlichen zu können. Die Digitalisierung hat den Journalismus beschleunigt und vereinfacht. Es gibt jedoch durch die Digitalisierung auch sehr viel Mist online.

TS: Die Konkurrenz scheint größer geworden zu sein, weil immer mehr junge Menschen „irgendwas mit Medien“ machen wollen und dann im Journalismus landen. Viele Redaktionen haben in den letzten Jahren Stellen abgebaut, für ältere Journalisten ist der Arbeitsmarkt noch härter. Da bleibt oft nur noch der freie Journalismus, um die Zeit bis zur Rente zu überbrücken. 

  • Checkliste: Erfolgreich im freien Journalismus sind Sie, wenn Sie ...
  • ... in der Anfangsphase bereit sind, außergewöhnlichen Einsatz zu zeigen und sich von Rückschlägen nicht demotivieren lassen.
  • ... gerne schreiben und Ihre Texte, Fotos oder Bewegtbilder nicht nur ‚honorarfrei‘ veröffentlicht, sondern auch gegen gutes Geld abgenommen werden.
  • ... sich zunächst einmal für nichts zu schade sind – damit ist die mitunter unerquickliche Basisarbeit gemeint, wie zum Beispiel das Zusammenstellen der monatlichen Kulturtermine.
  • ... am Stück produzieren können. Zum Beispiel drei Texte von je 10.000 Zeichen in einer Kalenderwoche komplett fertigstellen. 
  • ... realistisch kalkulieren und Ihren persönlichen Finanzbedarf einschließlich Rücklagen für Durststrecken, Krankheit, Altersvorsorge und Steuerzahlungen berücksichtigen.
  • ... auf einen durchschnittlichen Stundensatz von ca. 30,00 € kommen. Mehr ist besser, aber darunter wird es schwierig, den eigenen Finanzbedarf langfristig zu sichern.
  • ... auch zusätzlichen Zeiteinsatz und Fahrten abrechnen. Für Fahrten gibt es Abrechnungsschlüssel. Vorher vereinbaren.
  • ... bereit sind, einen guten Teil Ihres Arbeitseinsatzes für Administration und Kundenakquise aufzuwenden.
  • ... Ihre tatsächlichen Arbeitszeiten und -belastungen realistisch einschätzen und darauf achten, sich mittelfristig auch Erholungszeiten und erträgliche Wochenarbeitszeiten leisten zu können.
  • ... sich in der Freizeit auch wirklich frei nehmen. Für spezielle Kunden, die einen kurzfristig erreichen müssen, sollten Sie erreichbar sein, aber eben nicht für alle.
  • ... unrentable Projekte erkennen können, nicht annehmen oder rechtzeitig stoppen. Legen Sie dazu Ihre persönliche Ertragsgrenze fest und achten Sie auf deren Einhaltung.
  • ... bereit sind, sich immer wieder auf neue Entwicklungen, neue Medien, neue Formate und Kommunikationswege einzulassen und diese (kritisch) zu nutzen.
  • ... aus einem Thema drei neue Themen entwickeln können. Wie könnten die aussehen? Welche Aspekte blieben unberücksichtigt? Wo knüpft das Thema an andere, gerade wichtige Bereiche an?
  • ... langfristig ein inhaltliches Profil entwickeln, mit dem Sie auch als Experte/in in der Öffentlichkeit wahrgenommen und gefunden werden, z.B. über eigene Blogs, Talkrunden und Kommentare. 
  • ... sich über virtuelle und reale Foren, Stammtische und Interessensgruppen vernetzen und sich dort aktiv einbringen.
  • ... Ihre sonstigen Fertigkeiten in Ihr Angebot einbauen, etwa Lektorieren, Übersetzen, Fotografieren oder Layouten. Das erweitert Ihr Angebotsspektrum. 
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