Entwicklungsarbeit: Kulturschock nach der Rückkehr
Zurück in der alten Welt: Für viele Entwicklungshelfer ist die Rückkehr in den deutschen Arbeitsmarkt nicht einfach. Aber es gibt auch viele Erfolgsbeispiele. Foto: © yavuzsariyildiz / Fotolia.de

Entwicklungsarbeit: Kulturschock nach der Rückkehr

Tausende Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer sind derzeit im Auslandseinsatz. Aber was kommt danach? Einer Studie zufolge sind ein Drittel der Rückkehrer/innen mindestens ein halbes Jahr arbeitslos.

Text: Roy Fabian 

Bewässerungssysteme für vom Klimawandel bedrohte Felder in Äthiopien, die Aufforstung von Mangrovenwäldern in Vietnam oder Solarenergie für Neu-Delhis U-Bahn: Die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) bietet für grüne Fachkräfte zahlreiche spannende Aufgaben. Sogar mehr als in früheren Jahren: 2014 betrugen die bereitgestellten öffentlichen Mittel in den Förderbereichen Land- und Forstwirtschaft, Ernährungssicherung, Wasser- und Abfallmanagement sowie Energieerzeugung knapp drei Milliarden Euro – gegenüber 2012 ein Plus von fast 50 Prozent.

Allerdings sind die Herausforderungen in der EZ nicht zu unterschätzen, wie Wolfgang Broszat weiß – und meint nicht nur den Dienst im Ausland. „Als Entwicklungshelfer in seinen ersten Einsatz rauszugehen ist schwierig“, sagt der Agrar-Ingenieur, selbst mehr als vier Jahre in Projekten in Lateinamerika unterwegs. „Zurückzukommen ist aber noch viel schwieriger.“

Broszat verweist damit auf ein Problem, das so alt ist wie die EZ selbst: Wie können sich entsandte Fachkräfte nach Ende ihres Einsatzes wieder in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren? 

"Die Vorstellung war, dass man nach seinem Engagement wieder nahtlos in seinen früheren Job geht"

Es ist eine Frage, die sich direkt aus dem Entwicklungshelfergesetz (EhfG) von 1969 ergibt. Darin heißt es: „Entwicklungshelfer im Sinne dieses Gesetzes ist, wer in Entwicklungsländern ohne Erwerbsabsicht Dienst leistet, um in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zum Fortschritt dieser Länder beizutragen.“ Mit anderen Worten: Entwicklungshelfer sind Fachkräfte, die sich im Ausland über einen befristeten Zeitraum gegen eine Art Aufwandsentschädigung engagieren.

„Die damalige Vorstellung war“, sagt Gesa Grundmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Seminar für Ländliche Entwicklung (SLE), „dass das Leute sind, die mitten aus der Gesellschaft in Entwicklungsländer gehen, dort ihr Wissen aus verschiedenen Berufen unters Volk bringen und anschließend wieder nahtlos zurück in ihre Jobs in Deutschland gehen.“

"Viele erleben einen Kulturschock, wenn sie wieder nach Deutschland zurückkehren"

Dieses solidarisch geprägte Grundverständnis der EZ hat sich bis heute gehalten – auch wenn sie beileibe nicht mehr dieselbe ist wie vor gut 50 Jahren. Neben die traditionellen staatlichen Institutionen sind längst neue Akteure getreten. Allein in Deutschland gab es einer Erhebung des Arbeitskreises „Lernen und Helfen in Übersee“ zufolge 2014 mindestens 58 Entsendeorganisationen, die rund 10.600 Fachkräfte im Ausland unter Vertrag hatten.

Den Löwenanteil davon machen sogenannte EZ-Fachdienste aus, wozu neben Nichtregierungsorganisationen (NGOs), politischen Stiftungen und wissenschaftlichen Einrichtungen auch Akteure wie die öffentliche KfW Entwicklungsbank und private Beratungsunternehmen zählen.

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Im Gegensatz zu den sieben staatlich anerkannten Trägern des Entwicklungsdienstes sind sie bei der Personalentsendung nicht an das EhfG gebunden und können sich an einem zum Teil hochspezialisierten freien Markt orientieren – was sie auch tun. „Das ist ein ganz anderes System mit ganz anderen Gehaltsniveaus“, so Gesa Grundmann.

"Der Arbeitsmarkt hat sich extrem gewandelt" 

Trotzdem ist das Regime des EhfG nach wie vor relevant. Derzeit sind etwa 1.500 Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer im Auslandseinsatz, jährlich kehren im Schnitt rund 300 zurück. So nahtlos wie ursprünglich angedacht, funktioniert ihr Wiedereinstieg in einen Beruf in der Heimat aber keineswegs: Einer Studie des Deutschen Evaluierungsinstituts für Entwicklungszusammenarbeit (DEval) zufolge sind rund ein Drittel aller Rückkehrer/innen mindestens ein halbes Jahr arbeitslos. 

Die Gründe sind vielschichtig: Viele erlebten einen „Kulturschock“, so eine Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste (AGdD). Die Herausforderung bestehe darin, „sich nach Jahren in Entwicklungsländern wieder mit den Lebensgewohnheiten einer postmodernen Industrie- und Informationsgesellschaft vertraut zu machen.“ Hinzu käme allzu oft ein Arbeitsmarkt, „der sich extrem gewandelt hat“.

Die AGdD, Dachverband der sieben staatlich anerkannten Entsendedienste, ist offiziell damit betraut, mit einem sogenannten Förderungswerk Schützenhilfe zu leisten. Grundlage hierfür ist erneut das EhfG, wonach Entwickungshelfer/innen gemäß ihrer Erfahrungen und Kenntnisse „vermittelt und beruflich gefördert werden“ sollen.

Entsendedienste bieten ein Debriefing an

Die Entsendedienste selbst bieten hierfür sogenannte ‚Debriefings‘ an. Bei der bundeseigenen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) etwa umfasst dies Vorab-E-Mails mit Infopaketen; zudem werden Rückkehrer/innen zu einer dreitägigen Veranstaltung eingeladen, um den Auslandsdienst sowie gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen zu erörtern. „Dabei geht es um Dinge wie den ‚reverse cultural shock‘, aber auch um eine Bilanz der erworbenen Kompetenzen und die Vernetzung der Leute“, sagt GIZ-Vertreter Holger Michael. Zudem werde auf Möglichkeiten des ehrenamtlichen Engagements von Rückkehrer/innen in Deutschland verwiesen - und die Angebote des AGdD-Förderungswerks.

Denn gemäß seines Auftrags kümmert sich dieses noch einmal vertiefend um die Karriereperspektiven ehemaliger Entwicklungshelfer/innen. „Ein Kernpunkt unserer Arbeit sind Seminare, die sich rund um das Thema berufliche Orientierung drehen“, sagt Brigitte Binder, Bildungsreferentin bei der AGdD. „Dort vermitteln wir zentrale Inhalte zum Bewerbungsprozess oder spannende Arbeitsfelder, greifen aktuelle Entwicklungen auf und laden Experten sowie Personaler ein, die zu den jeweiligen Bereichen möglichst konkrete Informationen liefern können.“

Rein formal sind die Voraussetzungen oft gut 

Rein formal sind die Voraussetzungen, dass es zügig mit einer neuen Stelle klappt, nicht die schlechtesten: Die Akademikerquote bei Rückkehrer/innen nach dem EhfG beträgt knapp 90 Prozent, zudem absolviert jede zweite Entwicklungshelferin zwei oder mehr Einsätze im Ausland und gewinnt dabei wertvolle Erfahrungen.

Entsprechend facettenreich sind die Qualifikationen, mit denen sie punkten können. „Viele haben im Ausland eine Position mit Projektmanagementaufgaben, was Finanzfragen und Mittelakquise einschließt, aber auch Führungs- und soziale Kompetenzen erfordert“, sagt Brigitte Binder. Hinzu kämen Methodenkenntnisse in Monitoring und Evaluierung, aber auch „soft skills“ wie Flexibilität, Konfliktfähigkeit und interkulturelle Kompetenzen. „Letztlich sind auch die Sprachkenntnisse sehr wichtig. Denn in einer Fremdsprache arbeiten zu können, kann nicht jeder.“ 

Binders Beobachtungen zufolge ist die derzeitige Nachfrage nach derart breit aufgestellten Fachleuten hoch, nicht zuletzt aufgrund der generell guten Lage am Arbeitsmarkt. „Viele Rückkehrer finden schnell einen Job.“ Auch speziell für Fachleute mit grünem Hintergrund gebe es aktuell einige Möglichkeiten.

„Sehr spannend ist das ganze Feld des Klima- und Umweltschutzmanagements, in dem die Kommunen, aber auch Kirchen und Unternehmen zunehmend Stellen schaffen“, sagt die AGdD-Expertin. Ehemalige Entwicklungshelfer/innen seien hierfür prädestiniert. „Denn den Kontakt zum Bürgermeister halten, die Menschen vor Ort mitnehmen, mögliche Konflikte in Gemeinden aushalten – genau das haben viele in ihren Einsätzen gemacht, nur eben in Burundi oder anderen Ländern.“

In anderen Sektoren sind die Barrieren dagegen oft höher als vermutet. „Viele Rückkehrer wünschen sich eine Arbeit in NGOs aus dem Umweltschutz mit internationalem Bezug“, erzählt Binder. „Das beinhaltet jedoch meist auch politische Arbeit, für die man entsprechende Kenntnisse benötigt.“ Im Bereich der erneuerbaren Energien seien wiederum technische Qualifikationen sowie rechtliches Wissen ausschlaggebend. „Das braucht oft eine entsprechende Weiterbildung.“ Das Förderungswerk berät Rückkehrer/innen daher auch in dieser Hinsicht; überdies ist finanzielle Unterstützung möglich.

„Ich hatte diesen Schritt schon vorab geplant. Insofern hatte ich ein ‚soft landing‘“

Entwicklungshelfer Wolfgang Broszat hat die Angebote der AGdD als hilfreich empfunden. „Wenn man zurückkommt, ist man in den meisten Fällen ein Arbeitsloser wie jeder andere auch“, sagt er. „Oft wissen die Berater in den Ämtern aber nicht, was sie mit der Berufserfahrung, die man als Entwicklungshelfer mitbringt, anfangen sollen.“ Daher seien die Seminare und andere Hilfestellungen wichtig. „Man sollte alles mitnehmen, was sich in dieser Hinsicht bietet, auch weil man Kontakte knüpft, aus denen sich Dinge ergeben können.“

Broszat selbst fand eine Stelle bei einem international tätigen Ökozertifizierer für Biolebensmittel - eher zufällig und nach einer längeren Orientierungsphase. Möglicherweise sei er nicht flexibel genug gewesen, sagt er. Als im ökologischen Landbau ausgebildete Fachkraft und „Überzeugungstäter“ habe er jedoch in diesem Sektor bleiben wollen. „So etwas schränkt die Auswahl natürlich ein.“

Risikofaktor Vertragsdauer

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Einsatzdauer: Laut besagter DEval-Studie liefen vor allem Fachkräfte mit einer Gesamtvertragsdauer von mehr als drei Jahren Gefahr, länger arbeitslos zu sein. Doch es gibt natürlich auch viele Ausnahmen. Eine davon ist Christiane Averbeck. Die Biologin war zunächst für sieben Jahre in Uganda, anschließend promovierte sie in München. „Ich hatte diesen Schritt schon vorab geplant. Insofern hatte ich ein ‚soft landing‘“, erinnert sie sich. Es folgte eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Rat für Nachhaltige Entwicklung, bevor sie erneut für sieben Jahre als Entwicklungshelferin nach Simbabwe ging.

Heute arbeitet die 55-Jährige als Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, einem klima- und energiepolitischen Bündnis, dem viele Entwicklungsorganisationen angehören. „Ich wurde dort angestellt, weil ich eben beide Erfahrungen mitbringe: Aus dem ökologischen Bereich, aber auch aus der Entwicklungszusammenarbeit.“

Winfried Steiner ist ein weiteres Beispiel dafür, dass lange Einsatzzeiten nicht zwangsläufig berufliche Probleme mit sich bringen. Der verbeamtete Förster beschäftigte sich zunächst acht Jahre lang mit dem Aufbau von Agroforstsystemen in Bolivien, später ging er für sechs Jahre noch einmal nach Costa Rica. Beide Male beurlaubte ihn sein Arbeitgeber, beide Male kehrte er direkt zurück in seinen Job. „Deshalb gab es keine Notwendigkeit, mich umzuorientieren“, sagt Steiner. Ohne die Beurlaubung jedoch, räumt er ein, „wäre es viel schwieriger geworden.“

"...und dann fällt man in dieses Rückkehrerloch"

Schwierig ist auch die Lage bei den EZ-Fachdiensten, die vom EhfG abgekoppelt sind. Die NGOs etwa behandeln das Thema Rückkehr nur am Rande. Zum einen, weil sie aus Finanzierungsgründen längst nicht so viele externe Fachkräfte entsenden wie die staatlich anerkannten Träger. Stattdessen schicken sie verstärkt schon vorhandenes Personal ins Ausland oder rekrutieren lokale Mitarbeiter/innen vor Ort. Zum anderen erschwert das knappe Budget eine systematische Rückkehrerbetreuung – auch wenn versucht wird, gute Fachleute längerfristig an sich zu binden.

Noch diffiziler gestaltet sich die Situation in der von Freiberufler/innen geprägten Consultingbranche. „Die Unternehmen dort bezeichnen sich als Profis und wären skeptisch, wenn jemand ein Rückkehrerprogramm möchte“, sagt Gesa Grundmann vom SLE. Viele Fachkräfte hangelten sich daher von Projekt zu Projekt. Wenn man dann doch irgendwann zurückkomme, „fällt man in dieses Rückkehrerloch – ohne dass man den Luxus der staatlich anerkannten Helfer hat.“

Doch was heißt schon Luxus: „Man könnte noch viel verbessern“, sagt Brigitte Binder von der AGdD. Ein hilfreiches Instrument seien beispielsweise die befristeten sogenannten Inlandsvertragsstellen, deren Ziel es ist, das Wissen sowie die Fähigkeiten und Erfahrungen aus dem Entwicklungsdienst in eine deutsche Organisation einzubringen. „Das ist außerdem ein Supereinstieg für Rückkehrer, die sich so wieder gut einarbeiten können.“

Der beste Rat: Netzwerken, netzwerken, netzwerken

Christiane Averbeck kann das bestätigen: Vor ihrer jetzigen Tätigkeit bei der Klima-Allianz hatte sie solch eine Position inne. „Das hat mir sehr geholfen. Denn in Deutschland ist es immer noch etwas anderes, sich aus einer Stelle heraus zu bewerben als wenn man arbeitslos ist.“

Aktuell gibt es für Inlandsvertragsstellen aber kaum noch eine Finanzierung. Die AGdD und ihre Mitglieder machen sich deshalb dafür stark, dieses Instrument wieder stärker einzuführen. Da in dieser Angelegenheit letztlich öffentliche Mittel entscheidend seien, so Brigitte Binder, „braucht es viel politische Überzeugungsarbeit“.

Insofern ist für Rückkehrer/innen jeglicher Couleur letztlich der beste Rat: „Netzwerken, netzwerken, netzwerken“, wie es Holger Michael von der GIZ auf den Punkt bringt – am besten während des gesamten Einsatzes, auch wenn dies wegen der Aufgabenfülle vor Ort oft schwer sei. Wolfgang Broszat empfiehlt, sich möglichst frühzeitig mit dem ‚Danach‘ auseinanderzusetzen.

„Entwicklungsdienst ist auch ein Selbstfindungsprozess. Diese Ideen kann man weiterspinnen, ohne  aber Luftschlösser zu bauen.“ Gesa Grundmann vom SLE plädiert ebenfalls für Realismus: „Als Berater sind Entwicklungshelfer oft tendenziell weiter oben positioniert und haben viele Freiheiten. Wenn sie plötzlich wieder mehrere Hierarchiestufen über sich haben, tun sich viele Leute schwer.“ 

So mancher Entwicklungshelfer wird daher zum Wiederholungstäter. „Es ist eine sehr durchlässige Branche, da wird mitunter mit dem eigenen Lebenslauf jongliert und zwischen verschiedenen Diensten gewechselt“, beobachtet Grundmann. Das besagte Spannungsverhältnis zwischen der Wirksamkeit der EZ und der eigenen Karriere könne man deshalb auch positiv wenden. „Manchmal braucht es solche Spannungen, um Dinge lebendig zu halten. Letztlich ist das auch eine Typfrage.“

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