Von der Uni in die Ausbildung
Handwerk nach der Hochschule? Manche Akademikerinnen und Akademiker gehen ungewöhnliche Wege. Teils aus Not, aber auch ganz bewusst. © Halfpoint / Fotolia.de

Von der Uni in die Ausbildung

Trotz Hochschulabschluss keinen Job? Manche Absolventinnen und Absolventen orientieren sich nach einiger Zeit um und entscheiden sich für eine Ausbildung. Ein kluger Schritt?

Von Katharina Hamacher

Die Zeit der gradlinigen Lebensläufe ist vorbei. Während Absolventinnen und Absolventen früher direkt nach dem Studium ihren ersten Job begonnen und bis zur Rente im erlernten Beruf gearbeitet haben, gehen heute viele nach dem Abschluss andere Wege. Der Grund dafür ist oft der Überschuss an akdemischen Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger nahezu verdoppelt, eine Jobgarantie aber haben sie aber längst nicht mehr.

Es kann jedoch auch passieren, dass Studierende in den letzten Semestern feststellen: Der angestrebte Beruf ist nicht der richtige. Statt auf der Zielgeraden abzubrechen, ziehen sie ihr Studium durch und sehen sich gleichzeitig nach alternativen Wegen zu einer Tätigkeit um, die ihnen mehr liegt als die bereits erlernte. Gerade in den theorielastigen Geistes-, Sprach- oder Kulturwissenschaften sind Umwege, Weiterbildungen und Umorientierungen nicht selten. In manchen Fällen ist eine Ausbildung der Ausweg aus der schwierigen Situation – gerade im Hinblick auf den herrschenden Fachkräftemangel in technischen und sozialen Berufsfeldern.

Von einer solchen Entscheidung hat Andrea Müller bereits vor 20 Jahren profitiert. Die langwierige, erfolglose Jobsuche hat die damalige Absolventin dazu ermutigt, den Schritt in die Ausbildung zu wagen. Schon vor ihrem Psychologie-Studium hat sie sich für den Pflegeberuf interessiert. „Meine Bewerbungen an die Krankenhäuser um eine Ausbildung zur Krankenpflegerin waren allerdings erfolglos, da die meisten annahmen, ich würde danach ohnehin studieren“, erinnert sich die heute 50-Jährige. Auch nach ihrem Studium hatte sie die Erfahrung gemacht, dass längst nicht jedes Krankenhaus aufgeschlossen reagierte. Das Universitätsklinikum Bonn, bei dem Andrea Müller seit mehr als 20 Jahren arbeitet, hat der Diplom-Psychologin schließlich eine Chance gegeben.

Beruflich und privat ist sie oft Menschen begegnet, die sich aus unterschiedlichen Gründen für eine Ausbildung nach dem Studium entschieden haben. Auch ihr Ehemann wählte diesen Weg. „Mein Umfeld hat damals sehr verständnisvoll reagiert“, erinnert sie sich. Für die damalige Absolventin hingegen war es nicht ganz leicht, sich mit dem neuen Status anzufreunden. Mit Ende 20 saß sie plötzlich in der Berufsschule und merkte, dass sie den Mitschülern durch ihre Erfahrung fachlich oft einen Schritt voraus war: „Ich habe besonders in den Theoriestunden gemerkt, wie naturwissenschaftlich geprägt mein Studium war. Das war vor 20 Jahren in der Pflegeausbildung noch nicht so.“

Berufliche Weiterbildung ist entscheidend

Nach ihrer dreijährigen Ausbildung hat Andrea Müller zwölf Jahre lang auf einer neurologischen Station des Universitätsklinikums Bonn gearbeitet. „Damit habe ich mein berufliches Interesse weiter verfolgt, denn diesen Schwerpunkt hatte ich auch im Studium gewählt“, sagt sie. Während dieser Zeit hat sie sich ständig weitergebildet, vor allem im Bereich Patientenberatung. Auch dabei konnte sie die im Studium erlangten Kenntnisse einbringen. Inzwischen arbeitet Andrea Müller als freigestellte Praxisanleiterin. Zu ihren Aufgaben gehört, Pflegeschüler am Krankenbett anzuleiten und zu prüfen.

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Um sich in diesem Bereich noch besser aufzustellen, hat die 50-Jährige vor drei Jahren wieder zu studieren begonnen. Nach ihrem Bachelor-Abschluss absolviert sie den berufsbegleitenden Masterstudiengang „Lehrerin Pflege und Gesundheit“ an der Katholischen Hochschule NRW in Köln. „Dadurch möchte ich neue Anregungen und Ideen für die Anleitung meiner Schüler gewinnen“, sagt sie. Auch dabei hilft ihr das Selbstvertrauen und die Erfahrung aus ihrem Psychologie-Studium: „Im Gegensatz zu den meisten Kommilitonen weiß ich ja, dass ich ein Studium packen kann. Sorgen mache ich mir nur um die zeitliche Belastung.“ Diese Erfahrung teilt sie im Studium mit einigen anderen, die einen ähnlichen beruflichen Weg eingeschlagen haben: Unter den 40 Studierenden sind noch drei weitere Kommilitonen mit einem abgeschlossenen Studium in Germanistik, Theologie und Oecotrophologie.

„Kein Arbeitgeber möchte eine Notlösung sein.“

Unabhängig von den Beweggründen fällt die Entscheidung den wenigsten leicht. Während viele arbeitslose Absolventen während der nervenaufreibenden Jobsuche mit Frustration zu kämpfen haben, zweifeln Akademiker, die mit ihrer Berufswahl unglücklich sind, zusätzlich an sich selbst. Das Gefühl, wertvolle Zeit verschwendet zu haben und wieder bei null anzufangen, verstärkt den Druck. Eine wichtige Rolle bei diesem Entscheidungsprozess spielt das Umfeld. Wer von Eltern und Freunden unterstützt wird, entschließt sich in der Regel leichter zu dem richtungsweisenden Schritt.

Meist hilft es, mit nahestehenden Bezugspersonen offen über die Gründe für den beruflichen Neuanfang und den oft vorangegangenen Leidensdruck zu sprechen. Vorher steht allerdings ein Prozess an, den jeder mit sich selbst ausmachen muss: Der Abschied vom akademischen Selbstverständnis ist für viele Absolventinnen und Absolventen schwierig, aber notwendig. Schließlich führt die klassische Ausbildung nicht nur in die lang ersehnte Praxis, sondern auch zurück auf die Schulbank zwischen deutlich jüngere Mitschüler. Auch finanziell bedeutet eine Ausbildung oft zunächst einen Rückschritt: Wer sich mit BAföG und Nebenjobs eine eigene Wohnung leisten konnte, zieht mit Azubi-Gehalt meist eher in eine WG oder sogar zurück zu den Eltern.

Für Michael Hümmer, Berater für akademische Berufe bei der Agentur für Arbeit in Erlangen, ist die Motivation entscheidend: „Wer nach dem Studium über eine Ausbildung nachdenkt, sollte sich klarmachen, welche persönlichen Gründe dahinterstecken.“ Der Berufsberater erlebt oft, dass Absolventen nach langwierigen, erfolglosen Bewerbungsphasen eine Notlösung suchen. „Wenn Frust und Verzweiflung die Motivation sind, lässt sich das im Vorstellungsgespräch jedoch denkbar schlecht verkaufen“, sagt Michael Hümmer. „Kein Arbeitgeber möchte eine Notlösung sein.“

Stattdessen rät der Experte, bereits im Anschreiben genau herausarbeiten, was diese bestimmte Ausbildung ausmacht und sich dabei auf den angesprochenen Ausbildungsbetrieb zu beziehen. Bei der Motivationserklärung sollten Bewerber deutlich machen, dass sie Praktiker sind und dieses bestimmte Unternehmen ihnen eine attraktive Ausbildung bieten kann. „Eine Duale Ausbildung besteht zu 70 Prozent aus Praxis, in vielen Studiengängen sind es fast 100 Prozent Theorie“, sagt Hümmer. Das kann vor allem bei Ausbildungsberufen im eigenen Fachgebiet der entscheidende Ansatz sein, um im Vorstellungsgespräch klarzumachen: „Ich habe im Studium die theoretische Grundlagen vermittelt bekommen, jetzt möchte ich mir die Praxis aneignen.“

In anderen Fällen kann es sein, dass sich Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium eingestehen müssen, den falschen Fachbereich gewählt zu haben. Michael Hümmer hat das gerade bei angehenden Lehrern schon erlebt. „Besonders im Lehramtsstudium ist der Praxis-Input minimal. Manche, die schon seit ihrer Kindheit unterrichten wollten, merken dann direkt zu Beginn des Referendariats: Das kann ich nicht, das ist die Hölle für mich.“ Der Berater erinnert sich an zwei Referendare, die beide in eine ganz andere Richtung gegangen sind und eine kaufmännische Ausbildung beziehungsweise eine Ausbildung zum Steinmetz gewählt haben. Für beide sei der Abstand zum verschulten Studium ebenso entscheidend gewesen wie die schnellen Ergebnisse ihrer Arbeit, die sie jeden Tag selbst gesehen haben.

Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden, hatten die beiden angehenden Lehrer nicht – ebenso wenig wie eine Geographin, die sich zu einer Ausbildung als Technische Zeichnerin entschieden hat. „Meiner Erfahrung nach reagieren die Betriebe sehr offen“, sagt Michael Hümmer, der auch Studienabbrecher betreut und vermittelt. Gerade die mittelständischen Unternehmen seien an älteren Azubis interessiert, die besonders im Kundenkontakt erfahren und souverän auftreten könnten. Während Großkonzerne oft noch formbare Gymnasiasten oder sehr gute Realschüler bevorzugen, setzen vor allem mittelständische Unternehmen auf junge Absolventinnen und Absolventen.

Qualifizierung nach der Ausbildung

„Die wichtigste Grundlage ist immer, dass die Chemie stimmt“, sagt der Berufsberater. Das zeigt sich meistens bereits im Vorstellungsgespräch. „Jeder Berufseinstieg ist eine konkrete Entscheidung für den Arbeitgeber. Es gibt über ein Studium hinaus vielfältige Möglichkeiten“, sagt Hümmer. Nach der Ausbildung gibt es zahlreiche Maßnahmen zur Ausbildungsqualifizierung – etwa für den ehemaligen Referendar, der nach seiner Steinmetz-Ausbildung den Techniker aufsattelt. Michael Hümmer rät, bereits beim Vorstellungsgespräch abzuklopfen, wie die Perspektiven aussehen: „Auswahlverfahren heißt nicht nur, dass der Arbeitgeber mich auswählt, sondern auch umgekehrt.“

Besonders die Erfahrung und das souveräne Auftreten im Kundengespräch macht ältere Azubis für die Firma TeleSys interessant. „Wir planen die gesamte Kommunikationswelt für große Unternehmen, das bedeutet einen sehr hohen Anspruch und permanente Anforderungen“, betont Gerhard Förtsch, Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens für Kommunikationstechnik. „Da ist professionelles Auftreten entscheidend.“

Seit vielen Jahren betrachtet er Studierende und Absolventinnen und Absolventen als interessante Zielgruppe, von denen einige bereits den Weg in das 55-köpfige Team gefunden haben: „Wir brauchen die besten Leute“, betont Förtsch. „Die finden wir oft unter Studenten.“ Um diese für das Unternehmen zu gewinnen, gestaltet TeleSys sein Ausbildungskonzept flexibler als viele Konkurrenten. „Wie sprechen grundsätzlich nicht von Azubis, sondern von Umschülern“, sagt der Geschäftsführer. Im Rahmen des „Junior Sales Manager-Programms“ können Studierende und Absolventen die duale Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen, um den IHK-zertifizierten Abschluss als Systemkaufmann/-frau für Informationstechnologie und Telekommunikation zu erwerben.

„Gerade Umschüler mit Studienerfahrung, die gelernt haben, zu lernen, packen die Berufsschule mit Leichtigkeit und sind meistens die besten in der Klasse“, beobachtet Gerhard Förtsch. Die praktische Erfahrung lernen die Umschüler direkt von den erfahrenen Mitarbeitern. Jeder bekommt einen Vertriebsprofi zur Seite gestellt, den er zu Kundenterminen begleitet und nach einiger Zeit auch aktiv unterstützt, etwa beim Erstellen von Angeboten. Nach der Ausbildung tritt der Mentor seinem jungen Kollegen einige Kunden ab, damit dieser mit einem eigenen  Kundenstamm starten kann. Auch das Thema Ausbildungsvergütung regelt das Unternehmen flexibel: „Das Gehalt verhandeln wir mit jedem Umschüler individuell, da seine Bedürfnisse stark von seiner Lebenssituation abhängen“, betont der Geschäftsführer. „Jeder soll das bekommen, was er für seinen Lebensunterhalt benötigt.“

Eine persönliche, vertrauensvolle Basis ist für Gerhard Förtsch entscheidend: Bereits im Bewerbungsgespräch zeigt er seinen potenziellen neuen Mitarbeitern Perspektiven für die Zeit nach der Umschulung auf: „Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich nach der Ausbildung zu qualifizieren und somit auch finanziell weiterzuentwickeln. Bei uns können die Mitarbeiter etwas bewegen und zeigen, was sie können, während sie in großen Konzernen oft nur kleine Rädchen sind.“

Wie wichtig bei der Suche nach einem passenden Ausbildungsbetrieb das persönliche Miteinander ist, weiß auch Dr. Markus Eickhoff. Er ist als stellvertretender Geschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln (HWK) zuständig für den Bereich Bildungspolitik. „Wenn man sich gegenüber sitzt, lassen sich kritische Punkte im Lebenslauf immer am besten erklären“, sagt der Bildungsexperte. Ob die Chemie stimmt, zeigt sich zum Beispiel beim Azubi-Speed-Dating, das die HWK regelmäßig veranstaltet. In nur acht Minuten lernen sich angehende Handwerker und Ausbildungsbetriebe gegenseitig kennen und entscheiden im Anschluss, ob sie das Gespräch vertiefen möchten. „So bekommen auch Bewerber eine Chance, deren Unterlagen allein vielleicht nicht überzeugt hätten“, sagt Eickhoff.

Prinzipiell erlebt er seitens der Ausbildungsbetriebe im Handwerk kaum Vorbehalte gegenüber Studienabbrechern und Absolventen, die nach dem Abschluss in die Praxis streben. Er unterteilt die Betriebe in zwei Lager: „Natürlich gibt es Unternehmen, die junge, noch formbare Azubis bevorzugen. Weitaus größer ist jedoch das Lager der Betriebe, die auf handfeste Vorteile wie Lebenserfahrung, souveränes Auftreten im Kundenkontakt und den Besitz des Führerscheins setzen.“

Generell seien Motivation und Fleiß die wichtigsten Kriterien, um bei Personalern zu punkten. Um die Offenheit der Betriebe deutlich zu machen, heißt es in der bundesweiten Imagekampagne des Handwerks „Bei uns zählt nicht, wo man herkommt, sondern, wo man hinwill“.

Gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel, der besonders im Bereich Erneuerbare Energien, Elektrotechnik und Lebensmittelhandwerk herrsche, erlaube der Arbeitsmarkt nicht, die Zielgruppe der Absolventen für eine Ausbildung auszuschließen. „Bei einer Auszubildendenquote von rund acht Prozent ist die Ausbildung das dominierende Element bei der Nachwuchsförderung“, betont Dr. Markus Eickhoff. Über alle Wirtschaftsbereiche liege die Quote bei gut fünf Prozent.

Auch für Großkonzerne wie ALDI SÜD sind Auszubildende mit Studienerfahrung eine interessante Zielgruppe: „In der letzten Zeit können wir einen vermehrten Bewerbungseingang von Studienabbrechern auf Ausbildungsplätze feststellen“, sagt Anja Königstein, Gruppenleiterin Personalmarketing bei ALDI SÜD. Bewerber/innen mit abgeschlossenem Studium kämen allerdings eher selten vor. Besonders gefragt seien kaufmännische Ausbildungen im Bereich Einzelhandel und Informatik. „Generell beziehen wir diese Bewerbergruppe, ob ohne oder mit Studienabschluss, gerne in unsere Bewerbungsverfahren mit ein. Wichtig ist uns dabei, dass die bisherige Studienzeit der Bewerber im Rahmen der üblichen Studienzeit liegt“, sagt Königstein.

Für viele Bewerber sei die praktische Arbeit innerhalb ihrer Ausbildung von besonderer Bedeutung, sodass sich ihre Interessen oftmals eher in den Inhalten einer Ausbildung wiederfinden lassen. „Den Personengruppen, die sich gegen ein Studium entscheiden, möchten wir mit unserer Ausbildung zum Geprüften Handelsfachwirt (m/w) und mit unserem dualen Bachelor-Studium eine Alternative anbieten. Nach einem erfolgreichen Abschluss einer der beiden Ausbildungsgänge bieten wir Abiturienten attraktive Weiterentwicklungsmöglichkeiten an“, sagt die Personalmarketing-Expertin. Studierenden empfiehlt sie grundsätzlich, freie Zeiten innerhalb des Studiums für Praktika zu nutzen, um Unternehmen und Tätigkeiten kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen.

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