Die nachhaltigen Ernährungsexperten
Bio der doch ein anderes Siegel? Für die Zertifizierung nachhaltiger Lebensmittel werden Expert/innen gesucht. Foto: © ferkelraggae / Fotolia.de

Die nachhaltigen Ernährungsexperten

Öko-Verbände, Institute, Bio-Unternehmen: In kleinen, auf gesunde Ernährung spezialisierten Organisationen und Firmen gibt es interessante Jobs für Oecotrophologen. Drei Beispiele.

Text: Janna Degener 

Eva Wittmann wusste während des Studiums noch nicht genau, in welchem Bereich sie später arbeiten wollte, hatte sich aber schon immer für den Bio-Bereich interessiert. Bei der Planung ihres Praxissemesters im Oecotrophologie-Studium stieß sie dann auf Berichte von ehemaligen Student/innen, die bei Demeter, einem Verband für ökologischen Anbau, gearbeitet hatten.

Sie bewarb sich dort initiativ und konnte als Praktikantin im Bereich Mitgliederbetreuung einsteigen: Zu ihren Aufgaben gehörte es dann, die Mitarbeiter/innen zu unterstützen, die sich um die einzelnen Mitgliedersegmente, also Molker/innen, Bäcker/innen, Fleischer/innen sowie die Gastronomie, kümmerten. Nebenbei erledigte Eva Wittmann auch einige Zuarbeiten für die Bereiche Messe und Marketing. Schon während des Praktikums bot man ihr dann die Möglichkeit, ein Traineeship bei Demeter zu absolvieren.

Eva Wittmann nutzte die Chance und stieg nach dem Bachelorabschluss als Trainee im Bereich Messe/Event/Marketing bei Demeter ein, den sie kurz darauf übernehmen konnte, als ihre Chefin in Mutterschutz ging. Hier war sie dafür zuständig, die Auftritte von Demeter auf verschiedenen Messen, vor allem auf der großen Fachmesse „Biofach“, sowie auf kleineren Bio- und Landwirtschaftsmessen zu organisieren. Als sie dann später zu ihrem Freund nach Oberschwaben zog, kündigte sie die Stelle in Darmstadt. Sie arbeitet bis heute aber weiterhin als freie Mitarbeiterin für den Messebereich von Demeter und unterstützt nebenbei ihren Freund, der IT-Lösungen für landwirtschaftliche Unternehmen anbietet und auch selbst einen Demeter-Hof hat.

Julia Kreisel machte nach dem Studium ein Praktikum beim Handelsunternehmen Tegut in Fulda und schaffte dann den Sprung in die Zertifizierungsstelle des LACON Privatinstituts für Qualitätssicherung und Zertifizierung ökologisch erzeugter Lebensmittel, wo sie sich jetzt vornehmlich um die Biozertifizierung von verarbeitenden Betrieben sowie auch für die Zertifizierung „ohne Gentechnik“ kümmert.

Einen Teil ihrer Arbeitszeit verbringt die Oecotrophologin als Außendienstmitarbeiterin mit Audit-Tätigkeiten: Sie prüft also bei den Betrieben vor Ort, ob sie die Anforderungen der Öko-Verordnung einhalten. Weil bei den Prüfungen das Vier-Augen-Prinzip vorgesehen ist, verbringt sie den anderen Teil ihrer Arbeitszeit im Büro, um Berichte von anderen LACON-Mitarbeitern/innen sowie externen Kontrolleur/innen, die auch im Außendienst tätig sind, zu prüfen. Darüber hinaus hält sie Kontakt zu den Kontrolleur/innen, die auf freiberuflicher Basis angestellt sind, und sie berät auch Betriebe, wenn sie Fragen zu neuen Produkten, Rezepturen oder Etikettierungen haben. 

Auch Marina Heni fand den Berufseinstieg in die Ernährungsbranche über ihr Praxissemester im Oecotrophologie-Studium: Den ersten Teil des Praxissemesters verbrachte sie in der Ernährungsberatung einer Vorsorge- und Rehabilitations-Fachklinik, den zweiten Teil in dem Bio-Backwarenunternehmen Schnitzer, wo sie dann auch ihre Diplomarbeit über die Entwicklung von haltbaren, glutenfreien Frischbroten praktisch erarbeitete  und anschließend im Bereich Produktentwicklung einstieg.

Nach sieben Jahren wechselte sie schließlich zum Handelsunternehmen BioGourmet, wo sie seither im Bereich Produkt- und Qualitätsmanagement tätig ist. BioGourmet produziert nicht selbst, sondern vertreibt Produkte von Bio-Herstellern unter seiner Marke. Hier ist es ihre Aufgabe, in Absprache mit dem Geschäftsführer und dem kleinen Team zu prüfen, welche neuen Produkte ins Sortiment passen könnten, und die Einführung der Neuprodukte zu koordinieren. Dazu gehört, dass sie die lebensmittelrechtlichen Aspekte im Hinterkopf hat, mit Lieferanten die Spezifikationen, Artikeldaten, Verpackungsmaterialien und -formen abstimmt, in Zusammenarbeit mit einer Graphikagentur das Design der Verpackungen gestaltet, die Druckaufträge über Erstproduktionen vergibt und plant, wann die Produkte zuerst am Lager sein sollen, um verkauft zu werden.

„Hier stehen ökologische Fragestellungen im Fokus und nicht immer die Karriere und die Gehaltsabrechnung"

Ob es wie bei Demeter zum Beispiel um die Umstellung von Landwirten auf die biodynamische Wirtschaftsweise und die Sicherstellung von mehr Demeter-Lebensmitteln am Markt, wie bei LACON um die Zertifizierung von Lebensmitteln, wie bei BioGourmet um den Handel oder auch um große Bereiche wie die Gesundheitsberatung und den Lebensmittel-Journalismus geht – die Ernährungsbranche bietet über die komplette Wertschöpfungskette hinweg vielfältige Tätigkeitsfelder für Akademiker/innen, die fernab von Nestlé, Unilever und Co. im nachhaltigen Segment arbeiten möchten.


Eva Wittmann, Julia Kreisel und Marina Heni legen Wert darauf, dass sie sich zwar mit Nahrungsmitteln beschäftigen, jedoch fernab der klassischen Ernährungsindustrie arbeiten. Eva Wittmann sagt: „Demeter ist der älteste Verband im Biobereich und legt Wert darauf, die konsequentesten und strengsten Richtlinien zu haben. Mir ist das wichtig für meine Arbeit, denn mit den Themen, die wir transportieren, kann ich mich identifizieren. Auch im Messebereich, der an sich nicht besonders nachhaltig ist – schließlich wird hier für wenige Tage ein Riesenaufwand betrieben, bevor dann alles wieder abgebaut, abgerissen und entsorgt wird – legen wir an unserem Stand Wert auf Angebote, die den Qualitätsanspruch der Demeter Marke widerspiegeln“.

Julia Kreisel meint über ihre Tätigkeit bei LACON: „Wir zertifizieren unter anderem Nachhaltigkeitsstandards. Und wir kümmern uns zum Beispiel auch um das UTZ-Siegel, das faire Bedingungen für Kakao-, Kaffee- und Teebauern schaffen, Kinderarbeit vermeiden und bei der Ernte nicht zu viele Flächen brachlegen will sowie das RSPO-Siegel, das sich um den nachhaltigen Anbau von Palmöl kümmert. Auch Zertifizierungen für nachhaltige Unternehmensführung und für den Bereich ‚vegan und vegetarisch‘ bieten wir an. LACON kommt ursprünglich aus der Biobranche und hat ein großes Interesse daran, nachhaltige Standards zu fördern.“

Auch für Marina Heni ist es schließlich wichtig, in einem Bio-Unternehmen zu arbeiten: „In unserer Familie hatten biologische Produkte schon immer einen hohen Stellenwert, und Bio liegt mir deshalb am Herzen. Aus diesem Interesse heraus bin ich auch in einem reinen Bio-Unternehmen gelandet, obwohl es für mich nicht zwingend so kommen musste. Wenn man einmal drin ist, bleibt man der Branche auch verbunden. So kam es, dass ich von einer Biofirma in die nächste gewechselt bin.“ In der Branche sei es wichtig, dass man das Ganze aus eigener Motivation und persönlicher Verantwortung heraus betrachtet: „Denn hier stehen ökologische, wirtschaftliche und soziale Fragestellungen im Fokus und nicht immer die Karriere und die Gehaltsabrechnung wie vielleicht bei Angestellten in konventionellen Unternehmen." 

Chancen auf dem Arbeitsmarkt 

Bei der vorsorgenden, sanften, grünen Ernährung handelt sich nicht mehr um ein Nischenthema, sondern eine Branche, die im Kommen ist. Anke Klitzing, die die Geschäftsstelle des Slow Food Deutschland e.V. leitet, meint: „In der Wirtschaft und im NGO-Bereich gibt es die unterschiedlichsten Jobs – von handfesten Tätigkeiten in der Gastronomie, in der Landwirtschaft oder in kleineren Betrieben der verarbeitenden Industrie bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit in Agenturen wie die sinnwerkstatt in Berlin oder Sanshine Communications im süddeutschen Raum, die sich mit den Themen Ernährung und nachhaltiges Leben beschäftigen.“

Eva Wittmann bestätigt diese Einschätzung: „Die Branche wächst nicht so schnell wie andere Branchen, aber es ist durchaus Wachstum da, und es gibt auch Arbeitsplätze.“ Auch Marina Heni sagt: „Es gibt in Deutschland und weltweit eine Vielzahl an produzierenden Biounternehmen, gerade im Naturkostbereich.

Dabei handelt es sich natürlich zumeist um kleine Unternehmen, die schlank aufgestellt sind. Aber es gibt auch neben BioGourmet andere Bio-Handelsunternehmen die je nach Umfang ihrer Sortimentsgruppen mehrere Produktmanager/innen benötigen. Und Julia Kreisel betont: „Der Biomarkt wächst zwar nicht mehr extrem, weil die Biozertifizierung jetzt schon eine relativ lange Geschichte hat. Aber es kommen immer mal neue Bereiche dazu, und es gibt auch vermehrt Online-Shops, das ist ein wachsender Markt. Überhaupt tut sich im Bereich der Nachhaltigkeitsstandards etwas. Gerade die Regional-Standards haben definitiv Potential, wir suchen da oft gute Leute“.

Tätigkeiten und Herausforderungen 

Eva Wittmann, Julia Kreisel und Marina Heni sind begeistert von ihren Jobs. Eva Wittmann muss die Messeauftritt von Demeter unter anderem finanziell planen: „Der Messebereich stellt einen großen Posten dar, was das Budget angeht. Es ist ein hoher Zeitaufwand zu planen und einzuschätzen, welche Kosten auf uns zukommen. Ich muss auch überlegen, wie wir unseren Messestand refinanzieren können. Unsere Mitglieder können zum Beispiel eine Standfläche bei uns buchen. Das bedeutet, dass ich Mitaussteller akquirieren, Anmeldungen durchführen und den entsprechenden Service bereitstellen muss.“

Darüber hinaus gehört es zu ihren Aufgaben, sich um die Standgestaltung zu kümmern. Sie arbeitet also mit Standbauunternehmen, Messebauern sowie Graphikunternehmen zusammen, um Flyer zu erstellen oder Poster zu entwickeln, und sie koordiniert auch vor Ort den Auf- und Abbau. Außerdem muss sie für die Mitarbeiter/innen aus ihrem Unternehmen Hotels auswählen, Zimmereinteilungen vornehmen und sich darum kümmern, dass die Kolleg/innen vor Ort alles vorfinden, was sie für ihre Arbeit benötigen – von Gesprächsnotizen bis hin zu Infomaterialien.

Schließlich kümmert sich Eva Wittmann im Auftrag von Demeter auch um den Bereich Kommunikation, was je nach Größe des Messeauftritts viel Zeit in Anspruch nimmt: „Bei der Biofach zum Beispiel sind wir ein wichtiger Aussteller, so dass viel Kommunikation im Vor- und Nachfeld stattfinden muss“, sagt sie. Die Arbeit vor Ort gefällt ihr besonders gut, aber natürlich verbringt sie auch viel Zeit am Schreibtisch. Toll findet sie, dass sie ihren Bereich sehr eigenständig planen, gestalten und organisieren kann: „Natürlich kann der Job auch stressig sein, denn ich bin für jede Steckdose am Stand und für jede Zimmerbuchung verantwortlich. Aber ich habe bei meiner Arbeit immer ein klares Ziel vor Augen. Und es ist dann ein berauschendes Gefühl, wenn dann vor Ort alles läuft und der Druck abfällt.“ Anders als andere Demeter-Mitarbeiter/innen habe sie als Messefrau auch viel Kontakt zu den Mitgliedern, so dass sie sich direkt ein Feedback abholen kann, das finde sie sehr inspirierend.

Auch Julia Kreisel kann relativ eigenständig entscheiden, wie sie ihren Arbeitsalltag bei LACON gestaltet: Normalerweise wechselt sie wöchentlich zwischen Innen- und Außendienst. Wenn sie im Außendienst ist, muss sie sich ansehen, welche Rohstoffe der Betrieb von welchen Lieferanten bezieht und wie das fertige Produkt dann aussieht: „Wenn ein Bäcker zum Beispiel mit Dinkelmehl arbeitet, muss ich prüfen, für welche Produkte das Mehl gebraucht wurde, ob für die Anzahl der Brote, die er im letzten Jahr gebacken hat, auch wirklich genug eingekauft wurde. Ich mache auch eine Rezepturprüfung und sehe mir an, welche Zusatz- und Hilfsstoffe genutzt wurden und ob sie nach der Öko-Verordnung zulässig sind. Außerdem schaue ich im Lager nach, ob es eine getrennte Lagerung Bio-Zutaten und Nicht-Bio-Zutaten gibt, um Kontaminationen auszuschließen.“

Die Möglichkeit, sich selbstständig zu organisieren, betrachtet Julia Kreisel auch als Herausforderung: „Manchmal ist es eine Gratwanderung, zu entscheiden, wie viel Zeit ich wo verbringe, um allen Aufgaben gerecht zu werden“, erzählt sie. Darüber hinaus müsse sie die Verordnungen natürlich sehr gut kennen, und anfangs musste sie lernen, wichtige Entscheidungen selbstbewusst und eigenständig zu treffen. 

Marina Heni dagegen arbeitet als Produkt- und Qualitätsmanagerin fast ausschließlich vom Büro aus, während sie als Produktentwicklerin noch regelmäßig in der Versuchsbackstube stand: Damals war sie für die Entwicklung von glutenfreien Backwaren zuständig. Das heißt, dass sie sich Produkte ausdachte, die gut in das Sortiment passten oder die Kapazität von Anlagen auslasten sollten. Auf der Basis dieser Idee musste sie dann Rezepturen schreiben und in Versuchsreihen testen.

Sie musste die von ihr selbst gebackenen Produkte nicht nur verkosten, sondern zum Beispiel auch auf deren Haltbarkeit achten. Insgesamt mag Marina Heni ihren Job vor allem wegen seiner Vielseitigkeit: Sie sitzt heute zwar vor allem im Büro, manchmal kann sie aber auch als Produktmanagerin noch Backversuche und andere Verkostungen durchführen. Und weil das Team sehr klein ist, war sie bis vor Kurzem zum Beispiel auch noch für das Marketing zuständig, hat also Werbeflyer und Texte für die Website geschrieben.

Zugangswege in die Berufswelt

Eva Wittmann, Julia Kreisel und Marina Heni haben alle Oecotrophologie studiert und finden, dass das Studium eine gute Basis für ihre heutige Tätigkeit ist. Marina Heni betont, dass sie in einem kleinen Unternehmen wie BioGourmet für viele unterschiedliche Bereiche tätig ist. Sie profitiere deshalb davon, dass sie auch im Studium verschiedene Themen wie zum Beispiel das Lebensmittelrecht und der Umgang mit Verordnungen Thema waren, ohne sich zu sehr zu spezialisieren.

Auch Julia Kreisel hat im Studium die Grundlagen der Öko-Verordnung kennen gelernt. Während ihrer Einarbeitung musste sie sich in ihre Details einarbeiten. „Wer als Auditor auf die Betriebe losgelassen werden will, muss zunächst an berufsbegleitenden Schulungsmaßnahmen und Begleit-Audits teilnehmen“, erklärt sie. Darüber hinaus habe das Studium aber auch die wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen gelegt, die sie heute braucht, um bei ihren Kontrollen die Finanzbuchhaltungen zu prüfen. Auch ihrem Arbeitgeber sei der Studienabschluss sehr wichtig, wobei im Zertifizierungswesen neben Oecotropholog/innen auch Lebensmitteltechnolog/innen gesucht werden.

Eva Wittmann schließlich profitiert im Job vor allem von den Soft Skills, die sie im Studium erworben hat: „Im Projektmanagement-Modul habe ich viel gelernt, und meine Projektarbeit im Studium war mit meiner Bachelorarbeit verbunden, die ich bei Demeter geschrieben habe: Ich habe den Naturkostfachhandel dazu befragt, welche Marken in den jeweiligen Sortimentsbereichen als besonders wichtig wahrgenommen werden und welche Rolle dabei die Verbandszertifizierung spielt. Wichtig ist in meinem Job vor allem, dass ich mich gut organisiere, dass ich vorausschauend plane und dass ich in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahre.“ Bei Demeter seien neben Oecotropholog/innen auch viele Agrarwissenschaftler/innen angestellt. 

Wer in den nachhaltigen Ernährungsbereich einsteigen möchte, sollte vor allem Möglichkeiten suchen, Kontakte in der Branche zu knüpfen. Anke Klitzing von Slow Food Deutschland e.V. sagt: „Slow Food beginnt im Boden und hört am Tisch auf. Alles, was dazwischen passiert, gehört ebenso dazu. Doch in Deutschland ist diese ganzheitliche Sichtweise auf das Thema Ernährung noch nicht verbreitet, und dementsprechend gibt es bisher auch noch kaum Möglichkeiten, sich gebündelte Informationen über das Arbeiten im nachhaltigen Ernährungs-Bereich einzuholen. Deshalb muss man ein bisschen nach entsprechenden Ansätzen suchen und zum Beispiel bei Veranstaltungen wie Messen, Märkten oder Podiumsdiskussionen entsprechende Kontakte knüpfen.“

Wer das tut, für das Thema brennt und auch bereit ist, sich – wenn nötig – in neue Wissensgebiete einzuarbeiten, habe aber schon mit dem Bachelorabschluss gute Einstiegschancen. 

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