Wie funktioniert ein Fernstudium?
Teppich statt Hörsaal? Auf den ersten Blick gemütlich. Aber ein Fernstudium ist knochenharte Arbeit. Foto: Clipdealer

Wie funktioniert ein Fernstudium?

Berufsbegleitend zu studieren liegt im Trend: Fernstudiengänge boomen, darunter auch viele Angebote für Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen. Die Doppelbelastung ist allerdings nicht zu unterschätzen.

Text: Melissa Strifler 

Immer mehr Deutsche nehmen das breite Angebot an Fernstudiengängen wahr und hoffen dank Zusatzabschluss auf neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Aufsteigen in der bekannten Branche oder ein neues Berufsfeld erkunden: Die Möglichkeiten sind vielfältig. Während laut einer Studie der International University of Applied Science im Jahr 2010 noch 90.000 Studierende an deutschen Fernhochschulen eingeschrieben waren, zählte das Jahr 2016 rund 160.000.

Mit einem jährlichen Plus von knapp sieben Prozent zählt das Fernstudium damit zu  einer der am stärksten wachsenden Branchen im deutschen Bildungsmarkt. „Der demografische und der technische Wandel  sorgen dafür, dass man nicht mehr ein Leben lang den Beruf ausüben kann, den man gelernt hat. Man muss sich immer weiter qualifizieren, um sich in Zukunft besser aufstellen zu können“, sagt Susanne Bossemeyer, Pressesprecherin der Fernuniversität in Hagen.

„Alle wesentlichen Unterlagen stehen im Netz"

Die Hochschule in Hagen ist die einzige staatliche Fernuniversität in Deutschland mit mehr als 76.000 Studierenden, davon rund 4.500 Studierende im Ausland – in weit über 100 Ländern. Die Kommunikation sei ohne Probleme möglich, erklärt Bossemeyer: „Alle wesentlichen Unterlagen stehen im Netz. Durch die Digitalisierung ist es viel leichter, sich auszutauschen, als früher.“

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Studierende können sich bei einem Fernstudium die Zeit selbst einteilen. Sie sind flexibler, zeitlich und örtlich unabhängig – das lässt sich vor allem auch mit einer Berufstätigkeit oder Familienaufgaben kombinieren. Ein großer Vorteil für Arbeitnehmer/innen ist, dass sie trotz Studium weiter ihr regelmäßiges Einkommen beziehen. Berufliche Fähigkeiten werden mit theoretischem Wissen verbunden.

Allerdings müssen sich die Studierenden zum Lernen selbst motivieren, und das am besten jeden Tag. Abends oder am Wochenende, wenn andere ihren Feierabend genießen, heißt es, Prüfungsstoff büffeln und Inhalte pauken. Gutes Selbstmanagement und Disziplin zählen hier zu den Grundvoraussetzungen. „Ein Teilzeit-Studium dauert um die zwölf Semester, die meisten schaffen das aber schneller“, sagt Pressesprecherin Bossemeyer. Auch ein Pausensemester sei möglich, wenn man zum Beispiel im nächsten halben Jahr in der Arbeit stark gefordert sei. „Viele können auf die Unterstützung der Arbeitgeber zählen, die ebenfalls von der Weiterbildung ihrer Arbeitnehmer profitieren.“

Das Durchschnittsalter der Studierenden an der Fernuniversität Hagen liegt nach Angaben der Hochschule zwischen 28 und 35 Jahren; die meisten, die sich einschreiben, haben bereits erste berufliche Schritte hinter sich. 80 Prozent sind berufstätig, 40 Prozent weisen noch dazu schon ein abgeschlossenes Hochschulstudium vor. „Besonders geeignet ist ein Fernstudium für Berufstätige, die für Weiterqualifikationen nicht den Job aufgeben können“, erklärt Bossemeyer.

Den richtigen Studiengang finden

Mit der grundsätzlichen Entscheidung für ein Fernstudium ist es aber nicht getan: Den richtigen Studiengang zu finden, ist gar nicht so einfach. Das Angebot ist groß und in den vergangenen Jahren noch einmal enorm gewachsen. Es hilft bei der Suche, ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Während sich die einen in ihrer Branche weiterbilden, nutzen andere die Chance, sich noch einmal neu zu orientieren. 

So auch Anja Bruendel, die über das Studium an der Fernuniversität Hagen in einen völlig neuen Berufszweig schnuppert. Die 47-Jährige studiert Kulturwissenschaften mit Fachschwerpunkt Literatur, mittlerweile im sechsten Semester. Nach ihrem Abschluss möchte sie als Lektorin tätig sein. „Vom Studium selbst erhoffe ich mir eine umfassende Bildung im Bereich Literatur und Philosophie“, erzählt Bruendel. Sie ist verheiratet, Mutter und berufstätig – 34 Stunden in der Woche arbeitet sie in der Anästhesie-Abteilung einer großen Hamburger Klinik.

Nach ihrem Abitur begann sie eine Ausbildung zur Krankenschwester, danach studierte sie ab 1993 Ägyptologie, Vor- und Frühgeschichte. Allerdings hätte sie in diesem Bereich nur Zeitverträge bekommen. Ständige Umzüge wären nötig gewesen und nicht mit einer Familienplanung zu vereinbaren. Bruendel kehrte nach ihrem Studium wieder in ihren erlernten Beruf zurück.

Die größte Herausforderung ist das Zeitmanagement 

„Ein großes Problem und zugleich die größte Herausforderung am Fernstudium ist das Zeitmanagement. Da jedes Modul mit einer Prüfung abschließt, muss man nicht nur den Stoff eines Moduls erarbeiten und mit Sekundärliteratur vertiefen, sondern je nach Modul auch für Klausuren und mündliche Prüfungen lernen oder Hausarbeiten schreiben“, erklärt Bruendel. „Das mit dem Beruf zu kombinieren, ist sehr schwer und erfordert einen guten Zeitplan, der dann auch streng eingehalten werden muss. Kommt etwas dazwischen wie zum Beispiel eine Krankheit, wird es fast unmöglich, das Modul abzuschließen.“

Fragen zum Stoff werden auf der Uni-Plattform erörtert oder in sozialen Netzwerken gestellt. „Da die Beantwortung meist nicht sofort erfolgt, hängt man häufig eine Zeit lang ratlos in der Luft“, erzählt Bruendel. Die Reihenfolge der Modulbelegung ist beliebig, die Lernpartner wechseln dadurch ständig, und Lerngruppen lösen sich nach einem abgeschlossenen Modul schnell auf. „Ein weiterer Nachteil ist der fehlende, persönliche Kontakt zu den Modulbetreuern. Kommunikation findet über die Uni-Plattform oder per Email statt. Gibt es Probleme mit Prüfungen, Exposés oder Hausarbeiten, kann man das nicht persönlich klären, sondern schreibt Unmengen von Emails, was zu Missverständnissen in der Kommunikation und Zeitverlusten führt.“ 

Trotzdem würde Bruendel sich jederzeit wieder für ein Fernstudium entscheiden, da ein normales Studium neben der Arbeit für sie undenkbar wäre. Man muss als Studentin oder Student nicht anwesend sein und verbringt seine Zeit nicht in überfüllten Hörsälen. Das Lerntempo wird individuell bestimmt, die Studieninhalte nach den Neigungen ausgesucht und vertieft. Studieren und trotzdem für den Lebensunterhalt selbst aufkommen, darin sieht Bruendel einen großen Vorteil.

Ranking der Fernuniversitäten

Und auch die Finanzierung ist für sie kein Problem. „Da ich über ein Einkommen verfüge und als Teilzeitstudentin nur ein Modul pro Semester belege – Vollzeitstudenten belegen zwei –, zahle ich in diesem Zeitraum im Schnitt 176 Euro für das Studienmaterial und Asta plus Hotelkosten und Bahnfahrkarten für Seminare.“ Doch wie sucht man sich bei dem großen Angebot an Universitäten die richtige aus?

„In einer Zeitschrift fand ich ein Ranking der Fernuniversitäten in Deutschland. Man bekam eine sehr gute Übersicht über sämtliche Fernunis und ihre Angebote. Das ersparte mir die Recherche. Die Fernuni in Hagen belegte den ersten Platz, und da Nordrhein-Westfalen keine Studiengebühren erhebt, entschied ich mich für Hagen. Ausschlaggebend war natürlich auch die Möglichkeit, dort Literatur studieren zu können.“

Hartmut Finkeldey nutzt das Angebot der Fernuniversität, um seinen abgebrochenen Master der Philosophie abzuschließen. Damals war der Job wichtiger: „Meine zwei kleinen Kinder hatten Hunger, statt Studium stand Arbeit auf dem Plan. Ich wollte jetzt doch noch ein Studium zu Ende bringen, nachdem die Kinder alt genug sind“, erklärt der 50-Jährige.

Selbstmotivation braucht es seiner Meinung nach immer – bei allem, was man anpackt. „Gruppenarbeit war nie so meins, deswegen finde ich das jetzt ganz gut so. Beim Fernstudium selbst sehe ich kaum Unterschiede zum normalen Studium, von den fehlenden sozialen Kontakten natürlich abgesehen.“ Zum persönlichen Austausch kommt es dank einer Facebook-Gruppe des Studiengangs trotzdem.

„Wir haben einen ganz netten Kulturwissenschafts-Fernuni-Hagen-Stammtisch in Hamburg, da treffen wir uns einmal im Monat und tauschen uns aus“, berichtet Finkeldey. Mit seinen Jobs im Catering und als Aushilfe in einer Bibliothek lässt sich das Fernstudium mit 350 Euro pro Semester finanzieren. „Wir haben in der Familie beschlossen, dass das Studium sozusagen Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk ist.“ 

Ablauf eines Fernstudiums

Der Ablauf ist einfach. Die Studierenden bekommen das Material zugeschickt; meistens zählen dazu ein Lehrbuch, viel Informationsmaterial sowie verschiedene Studienhefte, die Tipps zum Lernen der einzelnen Lektionen geben. Die Studierenden bearbeiten die Lerninhalte selbstständig. Dazu gehören unter anderem Einsendeaufgaben,  je nach Studiengang in Form von Zusammenfassungen oder Multiple-Choice-Fragen.

Die Aufgaben dienen der Selbstkontrolle, sind allerdings auch oft die Grundlage für die Zulassung zur Abschlussprüfung. Über das Studienportal arbeiten die Studierenden in Online-Seminaren, Videokonferenzen und Internet-Diskussionsgruppen zusammen, helfen sich gegenseitig, halten Vorträge und präsentieren den bisherigen Stand von Arbeitsergebnissen. Bei diesen Methoden verabreden sich die Beteiligten zu einer bestimmten Zeit im Studienportal, möglich ist aber auch die Arbeit mit zeitunabhängigen Formaten. Die schriftliche Kommunikation findet hauptsächlich im Internet per Email statt. Moderne Anbieter wie WhatsApp oder Skype werden meistens, aber nicht immer, wegen mangelnder Sicherheit ausgeschlossen.

Die Fernuniversität Hagen besitzt über 20 Regionalzentren überall in Deutschland verteilt. Vor Ort werden Prüfungen geschrieben, außerdem finden hier auf freiwilliger Basis Lehrveranstaltungen statt – ein paar Mal pro Semester oder jede Woche. Hier können sich auch Lerngruppen bilden und regelmäßig treffen. Trotz Fernstudium besteht die Möglichkeit, in der Gruppe zu lernen und zu arbeiten. Es gibt demnach eine bunte Mischung an unterstützenden Möglichkeiten. Am Ende des Studiums steht die Abschluss­arbeit an, die jeder Studierende mit dem oder der jeweiligen Betreuer/in bespricht. Sie wird wie bei jeder Universität eingereicht und bewertet. Mündliche Prüfungen finden in Videokonferenzen statt.

Finanzierungsmöglichkeiten

Nicht zu vergessen sind die Kosten, die ein Fernstudium mit sich bringt. Die Gebühren von privaten Anbietern hängen von Studiendauer, Studienabschluss und den enthaltenen Lern- und Arbeitsmitteln sowie Prüfungsgebühren ab. Die Summen liegen zwischen 100 Euro für Einzelkurse und weit über 10.000 Euro für komplette Studiengänge.

„Generell sind die Kosten für ein Fernstudium steuerlich anrechenbar. Da Fernstudierende in der Regel berufstätig sind, wird das immer genutzt“, weiß Karina Degreif, zuständig für Beratung, Projektentwicklung und -management bei dem Hochschulverbund Distance Learning (HDL), einem Netzwerk, in dem sich Hochschulen und Einrichtungen der wissenschaftlichen Weiterbildung in Deutschland zusammengeschlossen haben. „Die einzelnen Bundesländer bieten zusätzlich weitere Optionen wie zum Beispiel Bildungsprämie oder Bildungsurlaub an. Viele Hochschulen ermöglichen Ratenzahlung. Das muss bei dem jeweiligen Anbieter erfragt werden. Natürlich sollten vorab Angebote verglichen werden. Staatliche Anbieter können günstiger sein als private Anbieter“, erklärt Degreif.

Zusätzlich zur staatlichen Fernuniversität Hagen bieten auch andere staatliche Hochschulen Fernstudiengänge an. Doch wann entscheidet man sich für eine private Hochschule, wann für eine staatliche? „Das kann pauschal nicht beantwortet werden. Wenn ich ein spezifisches Angebot suche, das nur private Hochschulen anbieten, dann ist das die richtige Wahl“, erklärt Degreif.

Oft werde bei Abschlüssen von staatlichen Hochschulen  wiederum eine höhere Wertigkeit vermutet. Wichtig sei es, die verschiedenen Angebote auf Seriosität zu prüfen. Hochwertige Studiengänge erkenne man unter anderem an einem didaktischen Konzept, einer guten Betreuung während des Studiums sowie einer vertraglichen Basis mit Rücktrittsmöglichkeiten. „Ob sich die Studierenden für ein Fernstudium entscheiden, hängt letztendlich von der Lebenssituation ab“, so Degreif.

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