Quereinstieg: Doch noch Lehrer werden?
Lehrermangel herrscht vor allem an den Grundschulen. Foto: © drubig-photo / Fotolia

Quereinstieg: Doch noch Lehrer werden?

Viele Bundesländer suchen händeringend Lehrkräfte. Der Mangel herrscht vor allem an Grundschulen, erklärt die Gewerkschafterin Ilka Hoffmann.

Ilka Hoffmann ist in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zuständig für den Bereich Schule. Mit ihr sprach Annika Schneider. 

WILA Arbeitsmarkt: Ist gerade ein guter Zeitpunkt, um Lehrerin oder Lehrer zu werden?

Ilka-HoffmannIlka Hoffmann: Ja. Man muss froh sein, dass sich viele junge Menschen dafür entscheiden. Viele entscheiden sich allerdings dafür, auf Lehramt für Gymnasium zu studieren, weil sie das natürlich zuletzt kennengelernt haben. Auch da wird es einen Mangel in einzelnen Fächern geben, in naturwissenschaftlichen zum Beispiel.

Aber der ganz große Mangel herrscht in der Grundschule. Im Moment werden viele Lehrkräfte von Gymnasien an Grundschulen abgeordnet. Für Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger wird der Arbeitsplatz deswegen eher eine Grundschule sein, außerdem in der Sekundarstufe I in Schulformen wie der Gemeinschaftsschule, Gesamtschule und Sekundarschule.

Mit welchen Fächern habe ich in der Grundschule eine Chance?

Mathematik, Deutsch, Sport oder Musik sind zum Beispiel günstig. Wenn ich nicht auf Lehramt studiert habe, muss ich aber auf jeden Fall noch die Didaktik der Primarstufe dazu erwerben, da geht es um Dinge wie Erstlesen und Erstrechnen. Kerngeschäft an einer Grundschule ist es, dass man Kindern die Grundbildung vermittelt.

Ohne Lehramtsstudium muss ich also in jedem Fall zurück an die Uni?

Nein, das wird im Moment nicht gemacht, weil das zu lange dauert. Wenn jetzt eine Quereinsteigerin an die Schule kommt, zum Beispiel mit einem abgeschlossenen Geographie-Studium, werden ihr berufsbegleitend Weiterbildungsangebote gemacht. In einigen Bundesländern geschieht das an der Universität, in anderen aber auch am Landesinstitut oder am Studienseminar – das ist sehr unterschiedlich.

Ist der Lehreralltag ohne passendes Studium denn überhaupt zu bewältigen?

Das hängt sehr vom Typ ab und ist eine persönliche Frage: Wie gut kann ich mit Kindern umgehen, und wie gut kann ich in einer größeren Gruppe von sehr unterschiedlichen Kindern agieren? Wenn man mit Kindern und Jugendlichen nicht klarkommt, wird man diesen Beruf nicht bewältigen können. 

Welche Schwierigkeiten treten beim Seiteneinstieg auf?

Man muss sich daran gewöhnen, dass man relativ schnell relativ viele Entscheidungen treffen muss. Das, was man an Reizen bekommt, ist sehr dicht, und das ist sozial sehr herausfordernd. Vor allem in Städten, zum Beispiel in Berlin, muss man sehr schnell Entscheidungen in schwierigen sozialen Kontexten treffen. Dafür braucht man ein gutes Reflexionsvermögen und muss sehr belastbar sein.

 Was kann man tun, damit man nicht nach einem Jahr schon ein Burnout hat?

Ich würde mir sehr gut überlegen, ob ich gegenüber einer größeren Gruppe auch ein gewisses Standing habe. Habe ich Lust darauf, mich mit Kindern auseinanderzusetzen und ihnen etwas beizubringen? Oder ist es eher so, dass ich mein Fach gerne mag und dabei auch nicht gestört werden will? Das Lehramt ist eine dezidiert pädagogische, soziale Aufgabe. Heute sind die sozialen Herausforderungen an Schulen recht hoch.

Jedes Bundesland gestaltet den Seiteneinstieg anders. Worauf sollte ich als Interessentin achten?

Ganz wichtig finde ich, dass in der Schule Mentorinnen zu Verfügung stehen, dass ich also eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner vor Ort habe, der mir bei Problemen helfen kann. Wichtig ist auch, dass ich überhaupt etwas angeboten bekomme. Es gibt nicht überall genug Personen, die diesen Berufseinstieg begleiten. Da kann es passieren, dass man einfach ins kalte Wasser geworfen wird.

Gibt es ein Bundesland, das das besonders gut hinbekommt?

Bis jetzt noch nicht. Wir sind gerade dabei, die Angebote bundesweit zu analysieren und uns einen Überblick zu verschaffen. Ganz schlimm finden wir, dass in manchen Bundesländern die Fortbildung noch selbst bezahlt werden muss. Das kann nicht sein, das muss natürlich kostenfrei sein. Im Großen und Ganzen sehe ich da noch kein ideales Bundesland. Alle sind derzeit am Schwimmen und schauen, wie sie die Notsituation am besten überbrücken.

Als Seiteneinsteigerin muss ich ja dann damit rechnen, dass mit mir irgendwelche Löcher gestopft werden an Schulen, wo sonst keiner hin will.

Es kann einem passieren, dass man aufs Land geschickt wird. Zum Beispiel: Ich möchte in NRW in irgendeine schicke Stadt und lande dann im Sauerland. Oder man arbeitet tatsächlich an diesen Brennpunktschulen, wo schon viele krank sind. Aber es gibt auch Bundesländer, da fehlt es überall, an allen Arten von Schulen, zum Beispiel in Sachsen oder Berlin. 

Habe ich nach einem Seiteneinstieg die gleichen Chancen wie auch die Lehramtsabsolventinnen und -absolventen?

Dafür kämpfen wir als Gewerkschaft. Wie die Bezahlung erfolgt, ist noch lange nicht ausdiskutiert. Die meisten Länder bieten Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern, die ohne Referendariat direkt an die Schule gehen, einen befristeten Angestelltenvertrag an. Wir fordern berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahmen, die dazu führen, dass jemand zwei Fächer hat, die volle Lehrerausbildung bescheinigt bekommt und dann auch das gleiche Gehalt erhält. Aber so weit sind wir noch nicht. 

In NRW beispielsweise kann ich in den Vorbereitungsdienst, also das Referendariat, quer einsteigen, und bin danach mit den Lehramtsstudierenden gleichgestellt.

Das ist natürlich der beste Weg. Erstens hat man die Praxisausbildung, zweitens ist man dann eine volle Lehrkraft und bekommt auch das gleiche Gehalt.

Für alle, die fachlich arbeiten wollen, ist das Gymnasium vermutlich die reizvollste Schulform. Gibt es da gar keine Chance?

Wenn ich vor allem Lehrerin werden und direkt eine volle, unbefristete Stelle haben möchte, dann ist der sicherste Weg tatsächlich, Grundschul- oder Förderschullehramt zu studieren. Am Gymnasium findet man nur dann einen Platz, wenn die Fächerkombination stimmt. Da gibt es genügend voll ausgebildete Lehrkräfte. Es gibt Bedarf in einzelnen Regionen und Bereichen, wie etwa Physik oder Musik. Vielleicht nimmt das auch noch einmal zu. Aber sicherer ist der Weg ins Grundschullehramt. 

Vielen Dank!

Wege in den Lehrerberuf

  • Beim Wechsel in den Lehrerberuf werden die Bezeichnungen Seiteneinstieg, Quereinstieg und Direkteinstieg unterschieden, die in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich definiert sind – je nach dem, ob Interessierte direkt unterrichten, ob sie parallel dazu ein berufbegleitendes Studium absolvieren müssen und/oder ob sie erst einmal in den Vorbereitungsdienst gehen.
  • Die Regelungen zum Seiteneinstieg in den Schuldienst unterscheiden sich in den verschiedenen Bundesländern – ebenso wie die Chancen an den verschiedenen Schulformen. Informationen finden Sie auf den Seiten der zuständigen Landesministerien. Einen Überblick gibt außerdem der deutsche Bildungsserver.
  • Mit Selbsttests, die zum Teil auch von den Schul- und Bildungsministerien empfohlen werden, können Interessentinnen und Interessenten herausfinden, ob sie sich für den Lehrerberuf eignen: Career Counseling for Teachers und www.cct-austria.at Selbsterkundung zum Lehrerberuf mit Filmimpulsen: www.self.mzul.lmu.de
  • Auch in Zukunft bleibt der Bedarf an Lehrkräften hoch. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 knapp 43.000 neue Lehrerstellen gebraucht werden. Der Prognose zufolge müssen in Deutschland bis dahin allein 21.000 Stellen in der Primarstufe, also der Grundschule, geschaffen werden. In der Sekundarstufe II müsssten hingegen wegen sinkenden Bedarfs über 5.000 Stellen abgebaut werden. 
Weitere WILA-Angebote