MINT-Förderung: Mit Kindern forschen
Christina Pulido ist Chemikerin und Mathematikerin. In ihrem Experimentierlabor erforscht die 36-Jährige mit Kindern naturwissenschaftliche Phänomene. (Foto: Atelier Rainer Jordan)

MINT-Förderung: Mit Kindern forschen

Der Mangel an MINT-Fachkräften ist Topthema auf dem Arbeitsmarkt. Jobs entstehen deswegen auch in der Nachwuchsförderung – allerdings oft befristet.

Text: Stephanie Bissels

Fachkräfte in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen werden in Deutschland gesucht. Immer wieder ist von der sogenannten „MINT-Lücke" zu hören, die den Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) verdeutlichen soll.

Laut Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat sich diese Lücke im vergangenen Jahr noch einmal deutlich vergrößert. Im Herbst 2017 fehlten Arbeitgebern zufolge in Deutschland etwa 290.000 MINT-Arbeitskräfte – das sind 43 Prozent mehr als im Vorjahr. In manchen Regionen, etwa in Bayern und Baden-Württemberg, werden vor allem MINT-Expert/innen mit akademischem Abschluss gesucht. Aber auch bei Fachkräften mit abgeschlossener Berufsausbildung gibt es deutschlandweit Engpässe.

Für Absolventinnen und Absolventen von grünen Studiengängen ergeben sich daraus jedoch nur bedingt berufliche Chancen in klassischen MINT-Berufen. Denn in erster Linie sind es Expertinnen und Experten aus der IT-Branche, die gesucht werden, gefolgt von Fachkräften, die in der Metall- und Elek­troindustrie oder in der chemischen Industrie arbeiten.

Wissen kreativ vermitteln

Dennoch eröffnet der zunehmende Bedarf an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den MINT-Fächern auch Möglichkeiten für grüne Fachkräfte. So können sie zum Beispiel dazu beitragen, den notwendigen Nachwuchs für naturwissenschaftlich-technische Berufe zu sichern. Dies macht sich der Bereich MINT-Förderung zur Aufgabe. Die hier tätigen Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen möchten Kinder und Jugendliche für entsprechende Ausbildungs- und Studienplätze begeistern sowie Kompetenzen fördern – und zwar in allen Bildungsbereichen: Von der Kita über die allgemeinbildende Schule bis in die Hochschule sowie in der beruflichen Aus- und Weiterbildung.

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Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von öffentlich, unternehmerisch oder privat geförderten Initiativen in Deutschland, deren Ziel es ist, Interesse für naturwissenschaftlich-technische Zusammenhänge zu wecken. Allein die Plattform Komm, mach MINT listet mehr als 1.000 MINT-Initiativen in Deutschland auf. Neben einigen schulischen Projekten finden sich dort größtenteils außerschulische Angebote. Hierfür werden unterschiedliche Fachkräfte benötigt, die ihr Wissen weitergeben sowie MINT-Angebote konzipieren und koordinieren.

Frauen als Vorbild

Silvia Cello ist Wirtschaftsingenieurin und hat sich bewusst dafür entschieden, junge Menschen mit naturwissenschaftlich-technischen Fähigkeiten und Interessen, insbesondere Mädchen und Frauen, zu unterstützen. Seit mittlerweile sieben Jahren arbeitet sie bei Life Bildung Umwelt Chancengleichheit e.V., einer gemeinnützigen Organisation in Berlin, die Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Beratung und Vernetzung anbietet. Unter dem Dach der Organisation sind schon einige MINT-Projekte entstanden – zum Beispiel „Enter Technik", ein Technisches Jahr für junge Frauen, das ihnen ermöglicht, sich in verschiedenen Unternehmen auszuprobieren. „Die Teilnehmerinnen lernen in den zwölf Monaten nicht nur unterschiedliche Arbeitgeber kennen, sondern auch verschiedene Ausbildungsgänge", berichtet Cello. Die Erfolgsquoten lassen sich sehen: Etwa 80 Prozent der Frauen entscheiden sich danach, eine Ausbildung oder ein Studium in einem MINT-Beruf zu absolvieren. Die Mitarbeiter/innen von Life e.V. begleiten die jungen Frauen dabei von Anfang an und übernehmen auch das Matching zwischen den Unternehmen und den Teilnehmerinnen. Klar, dass sie dafür nicht nur Fachkenntnisse und ein Verständnis für die Branche brauchen. Pädagogisches Feingefühl, Coaching- und Methoden-Kompetenzen sind ebenso wichtig, um herauszufinden, wer am besten zu wem passt.

Gemeinsam mit ihren Kolleginnen hat Silvia Cello weitere MINT-Projekte mit auf den Weg gebracht. Zum Beispiel „think electric - junge Frauen in Technikberufen". „Hier ging es darum, junge Frauen für die betriebliche Ausbildung zur Elektronikerin zu gewinnen", erklärt sie das mittlerweile abgeschlossene Projekt. In solchen Vorhaben ist Silvia Cello nicht nur Projektkoordinatorin, sie nimmt gleichzeitig eine entscheidende Vorbildrolle ein. Begeisterung und Selbstvertrauen zu wecken, gelingt ihr auch, weil sie authentisch erzählen kann oder den Teilnehmerinnen zeigt, wie man lötet oder Prototypen baut.

Im aktuellen Verbundprojekt „mach Grün! Berufe entdecken und gestalten", in dem nachhaltiges Handeln im Beruf im Mittelpunkt steht, entwickelt Cello derzeit einen sogenannten Berufsorientierungsparcours zu Nachhaltigkeitskompetenzen. Gleichzeitig arbeitet sie in Kooperation mit dem Goethe-Institut an einem Parcours zu MINT-Berufen für Schüler/innen in Italien. Bereiche wie IT, Bionik oder Erneuerbare Energien werden hier praxisnah vorgestellt. „Hierfür muss ich Arbeitsfelder analysieren, technische Vorgänge didaktisch sinnvoll reduzieren und ansprechend in Experimentierstationen aufbereiten", erklärt sie die Herausforderung.

Motiviert und engagiert

Dass Silvia Cello heute in der MINT-Förderung arbeitet, hat neben ihrem ausgeprägten pä­dagogischen Interesse auch mit einem Schlüsselerlebnis während ihres Studiums zu tun. „Als ich studiert habe", so erzählt sie, „gab es noch auffällig wenige Frauen unter den Wirtschaftsingenieuren, unter zehn Prozent. Vor allem an den praktischen Kursen in der Metallwerkstatt, die mich sehr interessierten, beteiligten sich nur wenige Frauen. An einem Kurstag tauchte plötzlich eine Gruppe von 20 Frauen in der Werkstatt auf, die einen Solarspeicher gebaut haben. Ich war total baff", beschreibt Cello die Situation. Sie fand heraus, dass der Kurs explizit für Studentinnen ausgerichtet wurde, was offensichtlich der Grund für die Vielzahl der Anmeldungen war.

„Das hat mir gezeigt, dass man mit den richtigen Konzepten etwas bewegen kann", macht sie ihren Einsatz und ihre Berufswahl deutlich. Auch netzwerken zu können und eine Sensibilität für die unterschiedlichen Akteure mitzubringen, sei eine wichtige Voraussetzung für ihre tägliche Arbeit. Obwohl Silvia Cello derzeit kein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat und ihre Anstellung in der Regel direkt von bewilligten Anträgen und Fördermitteln abhängig ist, bereut sie ihre Entscheidung in die MINT-Förderung zu gehen nicht. „Da wir immer wieder Modellprojekte durchführen und neue Ansätze erproben, haben wir wenig Routinearbeiten, das Arbeitsumfeld ist kreativ und ich arbeite mit vielen persönlich sehr engagierten Menschen zusammen", erklärt sie. Manche Kolleginnen und Kollegen seien trotz ständigen Befristungen schon seit über 20 Jahren dabei.

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Ob sie in der MINT-Förderung ein mögliches Berufsfeld für Akademikerinnen und Akademiker aus den naturwissenschaftlichen Fächern sieht? Ja, die MINT-Förderung sei wichtig und werde auch zukünftig eine Rolle spielen, wagt Cello eine Prognose. Denn Nachwuchskräfte fehlen in der Wirtschaft und die Potenziale seien noch nicht voll ausgeschöpft, vor allem bei den Frauen. Die Frage, die man aber stellen müsse, sei vielmehr: In welcher Art und Form findet MINT-Förderung statt? Wichtig dabei ist, so die Ingenieurin, dass die MINT-Förderung nachhaltig wirksam verankert und zum Beispiel ein Teil der Lehrkräfteausbildung wird. Auch Unternehmen und Hochschulen im MINT-Bereich müssten offener werden und weiter an der Förderung von Frauen in MINT-Berufen arbeiten.

Mit Kindern forschen

Einen ganz ähnlichen Arbeitsplatz hat die Diplom-Biologin Sabine Fahle. Sie arbeitet im Chemikum in Marburg – einem Mitmachlabor für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. „Jeder Mensch ab vier Jahren kann hier experimentieren und naturwissenschaftliche Phänomene erforschen", erklärt die 51-Jährige. Das Chemikum hat sich zum Ziel gesetzt, naturwissenschaftliche Grundkompetenzen zu vermitteln, Berührungsängste zu MINT-Fächern abzubauen und die Schule bei der berufsorientierten Arbeit zu unterstützen. Seit mittlerweile sechs Jahren ist Sabine Fahle im Chemikum aktiv. „Zunächst wollte ich mich nur ehrenamtlich im Trägerverein engagieren", erzählt sie, „doch dann ergab sich eine Koordinatorenstelle". Sabine Fahle nahm die unbefristete Dreiviertel-Stelle an und ist seitdem für die Organisation der Arbeitsabläufe, die Öffentlichkeitsarbeit, die inhaltliche Konzeption einiger Experimentreihen und für vieles mehr zuständig.

Zusätzlich dazu arbeitet sie weitere 25 Prozent in dem vom Land Hessen geförderten Projekt „MINT - Die Stars von morgen". Interessierte Schülerinnen und Schüler im Alter von 14 bis 16 Jahren können hier verschiedene mehrtägige Workshops zu den Themen Informatik, Chemie, Biologie, Medizin oder Technik besuchen. So heißt ein bei den Jugendlichen beliebtes Angebot aus dem medizinisch-biologischen Bereich: Ich, die unbekannte Lebensform. „Die Kurse richten sich in erster Linie an Haupt-, Real- und Gesamtschüler in der Berufsorientierungsphase", beschreibt Sabine Fahle die Zielgruppe des Angebots.

Kein sicheres Arbeitsfeld

Doch trotz Sponsoren und weiteren MINT-Förderprogrammen, wie dem MINT Girls-Camp, ist das Personal am Chemikum knapp. „Ich bin die einzige Mitarbeiterin, die eine Festanstellung hat", berichtet Fahle. Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind 450-Euro-Kräfte oder haben Projektstellen über einen Sonderforschungsbereich der Universität Marburg. Den Bereich der MINT-Förderung als ein potenzielles Berufsfeld für (grüne) Akademiker und Akademikerinnen auszumachen, sieht die Biologin daher kritisch. „Wenn es beruflich klappt, in die MINT-Förderung einzusteigen, ist das schön. Ich denke aber, dass ist eher die Ausnahme und langfristig schwierig, da einige Projekte nur für kurze Zeit gefördert werden", gibt die Biologin zu bedenken. Hinzu käme, dass viele Stellen an außerschulischen Lernstandorten mit abgeordneten Lehrkräften besetzt werden. Als Biolog/in beispielsweise erfüllt man da die formalen Kriterien nicht, weiß Fahle.

Sie empfiehlt daher die MINT-Förderung eher als eine mögliche Option aufzufassen, grundsätzlich aber unbedingt den fachlichen Berufsweg im Auge zu behalten und sich hierfür gegebenenfalls zusätzliche Kompetenzen anzueignen: „MINT ist ja ein großes Feld. In der Informatik wird vergleichsweise wenig ausgebildet, da wird es zukünftig viele freie Stellen geben", schätzt sie. Die Universität Marburg bietet zum Beispiel ein Ergänzungsstudium Informatik an. „Biologen mit solchen Kompetenzen werden gute Chancen haben", ist Fahle sicher.

Die fachliche Karriere weiterverfolgen

Diesen Ansatz zu verfolgen, ist auch für Christina Haaf vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit in Bielefeld von zentraler Bedeutung. Das Kompetenzzentrum ist ein wichtiger Ansprechpartner in Sachen MINT-Förderung. Einige bundesweit bedeutende MINT-Projekte wie der Girls'Day oder das Projekt „Komm mach MINT" sind dort entstanden. Von den mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind etwas mehr als die Hälfte in MINT-Projekten beschäftigt, schätzt die Pressesprecherin.

Dass insbesondere Frauen mit einer Ausbildung oder einem Studium im MINT-Bereich den fachlichen Berufsweg konsequent weiterverfolgen und keinen Quereinstieg in andere Bereiche suchen, ist dem Kompetenzzentrum ein wichtiges Anliegen, betont Haaf. „Studien haben gezeigt", so berichtet sie, „dass MINT-Absolventinnen häufiger in andere Bereiche abwandern als MINT-Absolventen". Beispielsweise finden Ingenieurinnen mit Interesse am Schreiben eine berufliche Perspektive im technischen Journalismus oder mathematisch interessierte Frauen studieren häufiger auf Lehramt als Männer.

Für eine chancengerechte Berufswahl

„Es gibt eine Vielzahl von Faktoren, die dazu führen, dass sich Frauen in den MINT-Berufen nicht zuhause fühlen", sagt Christina Haaf. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen in den MINT-Berufen zwar, aber sehr langsam und auf niedrigem Niveau. 2015 lag der Frauenanteil bei lediglich 15 Prozent. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei sicher ein wichtiger Grund, aber nicht der alleinige. Hierfür zieht die Pressesprecherin einen Vergleich: „Obwohl im Ärzteberuf die Arbeitszeiten nicht gerade familienfreundlich sind, arbeiten sehr viele Frauen als Ärztinnen." Dieser Beruf sei gesellschaftlich akzeptiert. Daran müsse man bei vielen anderen MINT-Berufen noch arbeiten. „Es ist schade, wenn Frauen mit MINT-Talenten aufgrund von Sterotypen aus dieser Karriere rausfallen."

Dennoch, so sagt Haaf, seien an Schnittstellen wie in Science Centern, Schülerlaboren oder in den einzelnen Projekten MINT-Frauen und -Männer, die einerseits Fachkenntnisse und andererseits auch pädagogisch-didaktische und koordinatorische Fähigkeiten mitbringen, sehr gut platziert. Auch, weil sie eine wichtige Vorbildrolle einnehmen. „Wen das interessiert, der findet da sicherlich ein spannendes Aufgabenfeld", sagt Haaf.

Das kann auch Cristina Pulido bestätigen. Die in Berlin lebende Spanierin hat ihren eigenen Weg gefunden, um junge Menschen für Natur und Technik zu begeistern. Die Chemikerin, die ähnlich wie Sabine Fahle und Silvia Cello viel pädagogische Erfahrung mitbringt, hat sich selbstständig gemacht und auf eigenes Risiko ein Kinderlabor gegründet. Hier vermittelt sie Kindern ab vier Jahren die Freude an der Wissenschaft und am Experimentieren. Den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, war für sie nicht einfach, aber Pulido ist zufrieden. Die Arbeit macht ihr viel Freude und ihr Entdeckum rentierte sich schon nach kurzer Zeit auch finanziell – ganz ohne MINT-Fördermittel.

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