Selbstoptimierung bis zum Burnout
Wer auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben will, muss immer noch besser werden. Geht das so bis zur Rente oder ist die Arbeit an den eigenen Kompetenzen irgendwann vollbracht?
Text: Sarah Kröger
Softwaresschulung, Führungslehrgang, Verhandlungstraining: Die Möglichkeiten, sich weiterzubilden sind unendlich – und der Druck, es zu tun, manchmal auch. Aber muss man jeden Trend mitmachen oder darf man auch mal selbstbewusst ablehnen? Peter Lysy (Foto: privat) ist Pfarrer und Betriebsseelsorger beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Zusammen mit einer Volkswirtin und zwei Soziologen hat er kürzlich eine Tagung zum Thema „Selbstoptimierung! Was sonst?“ konzipiert und organisiert.
WILA Arbeitsmarkt: Warum fanden Sie es wichtig, eine Tagung zum Thema „Selbstoptimierung“ zu organisieren?
Peter Lysy: Ein wichtiger Anlass war das 20-jährige Jubiläum des Begriffs des „Arbeitskraftunternehmers“, den der Soziologe Günther Voß geprägt hat, der auch auf unserer Tagung war. Ausgangspunkt seiner These war die Beobachtung einer neuen Art des Arbeitnehmers: Der Arbeitnehmer bekommt keine starren Aufträge mehr von seinem Arbeitgeber, sondern organisiert sich immer mehr selbst. Klassische Managementaufgaben werden auf den Arbeitnehmer übertragen, und er muss selbstständig planen und steuern.
"Die Sicherstellung der eigenen Arbeitsfähigkeit wirkt sich auf das ganze Leben aus."
Das führt nach Voß zur Verbetrieblichung des Selbst. Auf der einen Seite verfügt der Arbeitnehmer über relativ viel Freiheit, muss sich aber gleichzeitig auch ständig selbst disziplinieren, optimieren und vermarkten. Das heißt in der Konsequenz, dass die eigene Arbeit und die Sicherstellung der eigenen Arbeitsfähigkeit sich auf das gesamte Leben, die gesamte Lebensführung auswirken.
Wie sieht es 20 Jahre später für den Arbeitnehmenden aus?
Günther Voß zeigte in seiner Präsentation, dass der Trend weiter in diese Richtung geht. Ich kann das bestätigen bei dem, was ich in Betrieben so beobachte. Interessant war für mich die Erkenntnis, dass die Leute lernen, damit umzugehen, sowohl Individuen als auch Organisationen. Unternehmen schließen zum Beispiel Vereinbarungen mit ihren Mitarbeitern über die Verwendung von Smartphones und Erreichbarkeit ab – das ist ein organisationaler Lernprozess.
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Auf der anderen Seite sind da die Arbeitnehmer, die versuchen, ihr Leben besser zu strukturieren, indem sie sich dem Thema „Work-Life-Balance“ widmen. Unter dieser Überschrift versuchen die Mitarbeiter dem Trend der Verbetrieblichung entgegenzuwirken.
Durch die starke persönliche Identifikation mit dem Job wird es immer schwieriger, zwischen Privatem und Arbeit zu trennen. Wie sehen Sie den anhaltenden Trend der Entgrenzung?
Es kommt immer auf den Arbeitskontext an. Wenn die Aufgaben von vornherein so gestaltet sind, dass die Mitarbeitenden immer überfordert sind, dann ist es natürlich problematisch. Wenn die Menschen die nötigen Ressourcen zur Verfügung haben, um eine an sie gestellte Aufgabe zu bewältigen, dann haben sie hingegen die Möglichkeit, in ihrem Arbeiten ihre Selbstwirksamkeit zu erleben. Anders gesagt: Sie haben die faire Chance, sich Erfolge zu erarbeiten, an denen sie sich freuen können, statt permanent darum kämpfen zu müssen, ein drohendes, sogar vorprogrammiertes Scheitern zu vermeiden.
"Wir brauchen Spielräume, in denen Menschen sich als Gestalter erleben und nicht permanent überfordert sind."
Das war auch die Quintessenz unserer Podiumsdiskussion am Schluss der Tagung: Der Gegenbegriff zur Selbstoptimierung ist ganz klar die Selbstwirksamkeit. Am Schluss der Diskussion habe ich den Teilnehmenden die Frage gestellt, welche Maßnahme zur Verbesserung des betrieblichen Miteinanders sie am wichtigsten finden. Carlo Kroiß vom DGB forderte als Antwort mehr Mitbestimmung, der Seriengründer Martin Reents sprach sich für mehr Wertschätzung aus und Dr. Gabriele Hartl vom bayerischen Gesundheitsministerium nannte ebenso wie Andreas Weigelt von der Evangelisch-Lutherischen Kirche „Selbstwirksamkeit“ der Mitarbeitenden als wichtiges Ziel. Das läuft für mich alles in eine Richtung: Es geht um die Gestaltung von Spielräumen, in denen Menschen sich als Gestalter erleben und nicht permanent überfordert sind.
Kann man es sich als Arbeitnehmender überhaupt leisten, sich nicht ständig selbst zu optimieren?
Wenn man neu im Job ist, dann muss man sich natürlich auch erst einmal beweisen. Und wir leben generell in einer Zeit, in der man permanent lernen muss. Arbeitgeber fordern das immer mehr ein. Man kann sich nicht mehr bequem im Job einrichten, wie das früher vielleicht mal der Fall war. Besonders die technologischen Entwicklungen gehen immer schneller voran, und so müssen wir stets auf dem aktuellen Stand bleiben. Das ist auch in Ordnung so.
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Die Frage ist aber: Wird mir Zeit vom Unternehmen zur Verfügung gestellt, um mich weiterzubilden? Oder muss ich die Fortbildungen in meiner Freizeit machen? Auf der Tagung erzählte Thomas Fehr, Vorstand eines IT-Unternehmens aus München, dass er seinen Mitarbeitern 15 Prozent ihrer Arbeitszeit für Weiterbildung zur Verfügung stellt. Das finde ich einen guten Ansatz. Und Herr Kroiß rief als Bildungssekretär des DGB in Erinnerung, dass Bayern als eines der wenigen Bundesländer kein Weiterbildungsgesetz hat. Es gibt hier also auch noch regulative Spielräume, die für das lebenslange Lernen einen besseren Rahmen setzen können.
Muss ich mein Leben lang an meinem Lebenslauf und meinen Qualifikationen arbeiten oder gibt es einen Punkt, an dem ich sagen kann: „Ich bin so gut, wie ich bin“?
Wenn ich ein gewisses Qualitätsniveau erreicht habe, gibt es sicherlich Phasen, in denen ich mich eine Weile einrichten kann und das Erlernte einfach anwende. Aber auch solch eine Phase ist zum Lernen geeignet. Wenn ich das theoretisch Erworbene in die Praxis umsetze, stellt sich ja schon wieder ein Lerneffekt ein, denn Theorie und Praxis liegen oft Meilen auseinander.
"Es geht nicht darum, ob ich mein Leben lang lerne, sondern dass ich entscheide, was ich bereit bin zu lernen."
Ich würde es also eher so sehen, dass ich jeden Tag lernen darf und mich als permanent Lernender wahrnehme. Und dann kommt es darauf an, was von mir gefordert wird. Es gibt berufliche Entwicklungen und Trends, auf die ich mich entsprechend einstellen muss. Natürlich kann ich auch die Entscheidung treffen, diese Lernentwicklung nicht mehr mitzumachen. Das heißt dann aber auch, dass es bald Leute gibt, die besser sind als ich. Es geht nicht darum, ob ich mein Leben lang lerne, sondern dass ich entscheide, was ich bereit bin zu lernen und was nicht.
Gibt es da nicht einen Unterschied zwischen lebenslangem Lernen und permanenter Optimierung des Selbst?
Ich würde hier einen wesentlichen Unterschied machen. Wenn ich „Selbstoptimierung“ so verstehe, dass ich mich aufgrund der äußeren Anforderungen selbst optimieren muss, steht dahinter ein Zwang, eine extrinsische Motivation. Wenn ich hingegen wirklich etwas lerne, es mir aneigne, dann bedarf es meines Erachtens einer intrinsischen Form der Motivation, den Willen, etwas zu können oder zu verstehen. Sonst vergesse ich es mittelfristig wieder.
Anders gesagt: Beim Lernen bin ich immer Subjekt, bei der Selbstoptimierung laufe ich Gefahr, zum Objekt, zum Material der Selbstoptimierung zu werden. Beim Lernen folgt man der Tradition des Humanismus, geht es um die Entfaltung eines Selbst, um Selbstwerdung.
Lebenslanges Lernen setzt voraus, dass jemand immer die Möglichkeit dazu hat. Was ist, wenn die private Situation das nicht zulässt?
Dazu vielleicht ein Eindruck aus meiner beruflichen Praxis: Ich begleite als Betriebsseelsorger Menschen in Krisen- oder Übergangssituationen. Bei Problemen denke ich nicht sofort an eine Katastrophe, sondern frage: „Welche Möglichkeiten und Chancen stecken in der jeweiligen Situation?“ Die versuche ich dann gemeinsam mit der Person zu entdecken.
"In Unternehmen werden Projektgruppen gebildet, die von vorneherein unterbesetzt sind."
Jemand, der aus einer persönlichen Krise heraus wächst, hat einen wahnsinnigen Lernweg hinter sich. In der Reflexion der Krisensituation kann die Person sich dann auch fragen: „Wie passt das jetzt in mein Berufsleben hinein, was kann ich damit anfangen?“ Ich erlebe sehr oft, wie Menschen, die nach einer langen Krankheit wieder zurückkommen, etwas ändern, sich zum Beispiel einen neuen Arbeitsplatz suchen. Das ist dann auch eine große Chance.
Welche Themen wurden auf der Konferenz noch besprochen?
Die Betriebsräte haben uns zum Beispiel berichtet, dass sie bei wichtigen Themen laut Betriebsverfassungsgesetz keine Mitspracherechte haben, sondern nur beraten dürfen. Es werden dann zum Beispiel Projektgruppen gebildet, bei denen von vornherein klar ist, dass sie ihren Auftrag mit der Personalausstattung nicht bewältigen können – sie sind unterbesetzt. Das führt dann automatisch dazu, dass einige Leute viel zu viel arbeiten. Der Betriebsrat kann in solchen Fällen aber nur Empfehlungen aussprechen, weil das sonst die unternehmerische Freiheit einschränkt.
"Gerade in Zeiten, in denen es eng wird, wird natürlich zuerst geschaut, dass das Unternehmen überlebt."
Aber auch wenn die Rahmenbedingungen politisch schon gesetzt sind, zum Beispiel bei den betrieblichen Gesundheitsmaßnahmen, kann es zu Hindernissen kommen. Denn Fitness- und Sportangebote werden nicht von allen Mitarbeitern auch wahrgenommen, sondern stärker von denen genutzt, die in ihrer Freizeit sowieso schon Sport machen, und nicht von denen, die es nötig hätten.
Ein weiterer Diskussionspunkt war auch der Interessenkonflikt der Unternehmer. Ihnen ist Gesundheitsprävention schon wichtig, aber noch wichtiger ist ihnen in der Regel, dass die Leute am Arbeitsplatz sind und ihre Aufträge abarbeiten. Gerade in Zeiten, in denen es eng wird, wird natürlich zuerst geschaut, dass das Unternehmen überlebt. Gesundheit und Prävention sind aber keine kurzfristigen, konjunkturabhängigen Themen, sondern Aufgaben, die einen langen Atem brauchen, weil sie sich oft erst mittel- bis langfristig auszahlen.