Dreist schlägt authentisch
Bewerberinnen und Bewerber müssen sich im Vorstellungsgespräch ins rechte Licht rücken, doch wo verläuft die Grenze zwischen Ausschmückung und dreister Lüge (Foto: contrastwerkstatt/Fotolia)?

Dreist schlägt authentisch

Im Vorstellungsgespräch zu schummeln, kann sich auszahlen: Oft gehen Stellen an Bewerber/innen, die sich besser darstellen als sie sind. Eine aktuelle Studie zeigt, dass intelligente Bewerber/innen besonders gut faken können.

Text: Janna Degener

Robert Seiler heißt eigentlich anders – von seiner Jobsuche berichtet er aber lieber mit Pseudonym. Denn nach seinem Abschluss hatte der Sozialarbeiter große Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeit zu finden.

Dann war eine Stelle bei einem sozialen Träger ausgeschrieben, der Dienstleistungen in Gefängnissen anbietet, und Robert Seiler wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dort erfuhr er, der immer große Probleme mit Mathematik gehabt hatte, zu seinem Entsetzen, dass er den Strafgefangenen, die in Werkstätten zu Tischlern und Malern ausgebildet wurden, unter anderem Grundkenntnisse in diesem Fach vermitteln sollte.

„Der Vorgesetzte fragte mich, ob ich in der Schule gut in Mathematik gewesen sei und ob ich die Grundrechenarten wie die schriftliche Division, den Satz des Pythagoras, den Dreisatz oder die Bruchrechnung beherrsche. Ich sagte, das sei überhaupt kein Problem, obwohl ich seit dem 14. Lebensjahr alle Rechnungen mit dem Taschenrechner durchgeführt und auf dem Abiturzeugnis mit Hängen und Würgen eine Vier bekommen hatte“, erinnert er sich.

Authentisch bleiben?

Die Notlüge zahlte sich aus: Robert Seiler schlug sich in dem Job zwar mehr schlecht als recht durch, und den Strafgefangenen wurde schnell klar, dass sie besser im Rechnen waren als ihr Lehrer. Doch der Sozialarbeiter schaffte es letztlich, die Maßnahme in den neuen Förderzeitraum hinüberzuretten. Nach eineinhalb – zugegebenermaßen harten – Jahren als Mathematiklehrer für Strafgefangene bekam er aufgrund seiner Erfahrungen mit der Klientel schließlich eine gut bezahlte und sichere Stelle als Sozialarbeiter in einer anderen Justizvollzugsanstalt, in der er sich auf Anhieb wohlfühlte.

Authentizität gilt als A und O im Bewerbungsprozess. Dennoch zeigt das Beispiel von Robert Seiler, dass sich knallharte Lügen auszahlen können – für die Bewerber/innen, aber auch für den Arbeitgeber, der in diesem Fall verzweifelt auf der Suche nach einem Dozenten war.

Doch auch wenn Bewerber/innen sich in einer weniger aussichtslosen Situation als Robert Seiler befinden und vielleicht auch davor zurückschrecken, ihrem Arbeitgeber ins Gesicht zu lügen: Beschönigungen und Übertreibungen sind im Grunde genommen selbstverständlicher Bestandteil eines jeden Bewerbungsgesprächs. Wer etwa beim Bier mit guten Freunden über die letzte Chefin schimpft, sollte für das Gespräch mit seinem potentiellen Arbeitgeber nicht nur andere Worte wählen, sondern sich auch Argumente überlegen, warum er von den Erfahrungen im letzten Job profitiert hat und sich nun trotzdem einen beruflichen Wandel wünscht.

Die Stärken im Fokus

Im Vorstellungsgespräch gilt es natürlich, sich ins rechte Licht zu rücken und die eigenen Antworten an die vermuteten Anforderungen anzupassen, denn schließlich möchte sich jeder Bewerber und jede Bewerberin gegen die Konkurrenz durchsetzen. Bei manchen Fragen ist das leichter als bei anderen.

Hätte der Personaler Robert Seiler etwa gebeten, ihm den Satz des Pythagoras zu erklären, wären seine Schwächen schnell zutage getreten. Prof. Dr. Klaus Melchers, Leiter der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Ulm, beschäftigt sich aus psychologischer Perspektive mit dem Thema und gibt ein anderes Beispiel:

„Wenn ich eine Journalistin frage, wie sie vorgeht, wenn ein Interviewpartner nur mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ antwortet, fordere ich sie heraus, ihre Strategien zu beschreiben. Für sie ist es dann schwer, eine banale Lüge zu erzählen. Die Frage nach den eigenen Schwächen, die sehr häufig in Vorstellungsgesprächen aufkommt, lädt den Bewerber dagegen schon fast dazu ein, eine Lüge aufzutischen. Manche antworten etwa, sie seien zu gewissenhaft oder in der Zusammenarbeit mit anderen zu ungeduldig. Diese Eigenschaften kann man allerdings ebenso gut als Stärke auslegen, während die wirklichen Schwächen verborgen bleiben.“

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Faking als Pluspunkt

Robert Seiler war fachlich sicherlich nicht der beste Kandidat für die zu besetzende Stelle. Doch er hat den Weg durch die schwierige berufliche Zeit gemeistert – wie er auch zuvor die brenzlige Situation im Vorstellungsgespräch bewältigen konnte. Dass er damit kein Einzelfall ist, zeigt eine aktuelle Studie zu Faking in Auswahlgesprächen, die Klaus Melchers gemeinsam mit Kolleg/innen der Universität Ulm und der University of Missouri im US-amerikanischen St. Louis durchgeführt hat.

„Manch ein Personaler findet es vielleicht unfair, angelogen zu werden. Wichtiger ist für viele Arbeitgeber allerdings die Frage, ob sie im Vorstellungsprozess die richtige Person für die Stelle finden, die es zu besetzen gilt. Und es kann durchaus sein, dass eine Person, die im Interview die Unwahrheit sagt, später die bessere Leistung zeigt“, erklärt Klaus Melchers.

Unter Faking verstehen die Wissenschaftler/innen eine breite Palette verschiedener Möglichkeiten, wie Bewerber/innen sich besser darstellen als sie wirklich sind. „Es kann beispielsweise passieren, dass jemand frei erfindet, eine bestimmte Ausbildung absolviert oder Qualifikationen wie etwa Computer- oder Sprachkenntnisse erworben zu haben, obwohl das überhaupt nicht zutrifft. Ebenso kann es aber auch sein, dass jemand einfach nur übertreibt, indem er behauptet, über viel Erfahrung im Umgang mit einem Tool zu verfügen, obwohl er lediglich Grundlagenwissen aufweist“, sagt Klaus Melchers.

Aufwendige Simulation

Um herauszufinden, ob Faking in Auswahlgespräche zu besseren Leistungsbeurteilungen führt und ob es die Vorhersagekraft der Interviews beeinflusst, haben die Forscher simulierte Auswahlgespräche mit 111 Proband/innen geführt, in denen ihre akademische Leistungsfähigkeit eingeschätzt werden sollte.

Alle Proband/innen führten diese Auswahlgespräche zweimal. In einem der Gespräche sollten sie sich bestmöglich präsentieren, gutes Abschneiden wurde mit einem Geldpreis belohnt. Im anderen Gespräch wurden die Proband/innen hingegen gebeten, möglichst ehrlich über ihr Verhalten im Studium zu berichten.

Zusätzliche Informationen zu Persönlichkeitsmerkmalen, demographischen Variablen und dem Notendurchschnitt der Studierenden bekamen die Forscher durch einen Online-Fragebogen. Zudem konnten sie auf die Einschätzungen von Mitstudierenden zurückgreifen. Außerdem füllten die Proband/innen einen Intelligenztest aus und einen Test, der Rückschlüsse auf die Fähigkeit erlaubt, Bewertungskriterien zu identifizieren.

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Zur Auswertung der Ergebnisse wurden die bewerteten Antworten aus beiden Gesprächen gegenübergestellt und mit den Resultaten der weiteren Erhebungen verglichen. „Es zeigte sich, dass diejenigen Teilnehmer/innen, die mehr ‚fakten‘, bessere Noten hatten“, sagt Klaus Melchers. Seine Erklärung: „Um gut faken zu können, müssen Bewerberinnen und Bewerber verstehen, worum es im Vorstellungsgespräch geht, und in der Lage sein, eine sinnvoll klingende Antwort zu geben.

Bewerber, die eine höhere kognitive Leistungsfähigkeit aufweisen, die also intelligenter sind, gelingt das besser. Wenn Personaler also diejenigen Personen auswählen, die gut faken können, geraten sie an intelligente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Anders gesagt: Für gute Studienleistungen ist Intelligenz notwendig. Und die hilft auch beim Faken.“  

Lügen haben lange Beine?

Wer sich im Vorstellungsgespräch verstellt, heißt es oft, hat ohnehin keine Chance. Psychologische Studien allerdings kommen zu dem Ergebnis, dass Beschönigungen und Lügen nicht so leicht zu erkennen sind wie häufig vermutet: „Viele Leute haben das Gefühl zu merken, wenn sie angeschwindelt werden. Die Forschung zum Lügen spricht allerdings dafür, dass dies nicht möglich ist: Manchmal lügt das Gegenüber, während wir denken, es ist ehrlich. Und manchmal sagt es die Wahrheit, während wir fest davon ausgehen, angelogen zu werden“, sagt Klaus Melchers.

Trotz dieser überraschenden Studienergebnisse möchte der Psychologe Berufseinsteiger/innen nicht dazu ermuntern, im Bewerbungsprozess die Unwahrheit zu sagen. „Jeder Karriereberater oder -coach wird empfehlen, sich vor dem Vorstellungsgespräch Gedanken darüber zu machen, was das Gegenüber dort hören möchte: Worum geht es in der Tätigkeit? Was muss man dafür können? Bringe ich diese Qualifikationen mit, und wie kann ich sie an den Mann oder die Frau bringen? Auch ich bin dieser Meinung: Letztlich geht es vor allem darum, die eigenen Stärken bestmöglich zu platzieren. Und das kann man häufig durchaus auch auf ehrliche Art und Weise tun.“

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