Die DNA der Stadt entwickeln
Zukunftsfähige Stadtplanung braucht fächerübergreifendes Denken und die Fähigkeit, Städte neu gestalten zu können. Für Fachleute mit diesen Kompetenzen sieht Christa Reicher beste Jobchancen.
Interview: Elisabeth Korn
Vor 25 Jahren hat Prof. Christa Reicher (Foto: Michel Kitenge) das Planungsbüros Reicher Haase Assoziierte (RHA) gegründet. Heute ist die Architektin und Städteplanerin Geschäftsführerin und Professorin an der RWTH Aachen. Hier baut sie derzeit den internationalen Studiengang „Transforming City Regions“ auf, der im Herbst 2019 starten soll.
WILA Arbeitsmarkt: Frau Reicher, was waren die prägnantesten Veränderungen ihres Berufsfeldes in den vergangenen 25 Jahren?
Christa Reicher: Es haben sich nicht nur die Anforderungen, sondern auch die Aufgaben verändert. Die Frage von Transformation und dem Weiterbauen von Stadt hat immer eine große Rolle gespielt, aber mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Inhalten. Als ich vor 25 Jahren ein Planungsbüro gegründet habe, war vor allem das Thema Wohnungs(neu)bau als Planungs- und Entwurfsaufgabe gefragt.
Ein paar Jahre später kam der Wohnungsbau nahezu zum Erliegen, und es ging stärker in die Richtung Stadtumbau, auch verbunden mit der Herausforderung, wie die Revitalisierung und Erneuerung in Städten und Regionen mit gravierenden Transformationsprozessen gestaltet werden müssen. In den letzten Jahren beobachte ich einen Paradigmenwechsel vom Umbau hin zum Neubau, vor allem auch Stadterweiterung und regelrechte Stadtteilneugründungen im großen Stil.
"Heute wird Stadt wieder groß gedacht."
Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf das Anforderungsprofil von Fachleuten für Stadtentwicklung?
Vor fünf oder zehn Jahren haben wir Städtebauer viel stärker im kleinen Maßstab (um-)gebaut und Stadterneuerungskonzepte entwickelt. Heute wird wieder „Stadt“ im großen Maßstab geplant und gedacht, das bringt große Herausforderungen mit sich. Natürlich ist die gestaltende Kompetenz wichtig, man muss „Stadt“ entwerfen, organisieren und gestalten können.
Darüber hinaus ist die Prozessgestaltung wichtig, denn die Realisierung von städtebaulichen Konzepten dauert in der Regel einige Jahre. Bis zur konkreten baulichen Umsetzung müssen immer wieder neue Anforderungen in die Konzeption eingearbeitet werden, ohne dass der Qualitätsanspruch leidet.
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Bei so vielfältigen Aufgabenfeldern spielt doch sicher auch interdisziplinäres Arbeiten eine große Rolle, oder?
Von Stadtplanerinnen und Stadtplanern wird heute erwartet, dass sie unterschiedliche Anforderungen zusammenführen können wie die Säulen einer DNA. Bei der Städteplanung arbeiten in der Regel viele Experten zusammen: Verkehrsexperten, Freiraumexperten, Klimaexperten, Ökonomen.
All diese Themen müssen integriert und integrierend gedacht werden, denn am Ende soll eine überzeugende Konzeption stehen. Komplexität und Flexibilität sind wichtige Fähigkeiten, denn zum Berufsalltag gehören sowohl das Reagieren auf neue Anforderungen als auch das Verstehen der Komplexität von Stadt. Ein Stadtplaner braucht kein detailliertes Expertenwissen in angedockten Fachdisziplinen, aber er muss ein Grundverständnis dafür haben und die Relevanz dieser Themen erkennen und wertschätzen.
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Und wie wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung?
Die Frage nach Ressourceneffizienz hat verstärkt Einzug in die Stadtplanung und -entwicklung gehalten. Nachhaltigkeitsdenken ist wichtig, denn wir bauen nicht nur für morgen, sondern wollen Konzepte entwickeln, die auch in einem halben Jahrhundert noch tragfähig sind.
Das bedeutet, dass man sehr genau auf die Brücke zwischen den Maßstabsebenen achten muss. Für mich ist Städtebau einerseits eine Frage der (Gebäude-)Typologie und andererseits eine Frage der konzeptionellen und strategischen Organisation von Stadt und Region, zum Beispiel mit welchen Strategien nachhaltige und tragfähige Zukunftsfelder entwickelt werden können.
"Transdisziplinarität spielt in und nach der Ausbildung zunehmend eine wichtige Rolle"
Wie schätzen Sie die Lage auf dem Arbeitsmarkt ein, wie stehen die Chancen für neue Bewerber/innen?
Ich stelle fest, dass sowohl in der Praxis als auch in der Ausbildung zunehmend Wert auf eine transdisziplinäre Herangehensweise gelegt wird. In meinem Forschungskolleg zum Thema Energieeffizienz im Quartier sind Doktoranden aus den unterschiedlichsten Fachdisziplinen: Stadtplaner, Architekten, Marketing, Betriebswirtschaft und Soziologie.
Sie alle beschäftigen sich mit der Frage, wie Energieeffizienz gesteigert werden kann. Dieses Forschungskolleg geht 2019 mit dem Titel „Nachhaltige Energiesysteme im Quartier“ in die zweite Phase. Durch solch einen intensiven Austausch von theoretischem Wissen und Planungspraxis, also gegenseitigen Wissenstransfer, entsteht ein neuer Typus des Stadtplaners und des Städtebauers, der sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Wer interdisziplinär ausgebildet ist und gleichzeitig die gestalterische Komponente mitbringt, wird im Moment regelrecht umworben.