Die Zukunft der Mobilität
Der Querschnittsbereich ist für Fachkräfte aus verschiedenen Disziplinen spannend. Wer hier einsteigen will, sollte nicht nur Leidenschaft für das Thema, sondern auch ein Interesse an Digitalisierungsprozessen mitbringen.
Interview: Annika Voßen
Dr. Annika Busch-Geertsema forscht in der AG Mobilitätsforschung am Institut für Humangeographie der Uni Frankfurt zu Themen wie Mobilitätsverhalten, Digitalisierung oder Radverkehr sowie Verkehrs- und Mobilitätspolitik.
WILA Arbeitsmarkt: Die Verkehrswende verbinden viele mit der Einführung von Elektroautos, also einem technischen Aspekt. Das ist zu einseitig gedacht, oder?
Dr. Annika Busch-Geertsema: Ja, die Elektromobilität kann ein Baustein sein. Aber mit der Verkehrswende ist vor allem gedacht, dass sich der sogenannte Modal Split – also die Verteilung auf die verschiedenen Verkehrsmittel – ändert, weg vom motorisierten Individualverkehr hin zu Verkehrsmitteln des Umweltverbundes, also Öffentliche Verkehrsmittel, Fahrrad, Fuß.
Hier führe ich gerne die drei Vs an: Es gilt, Verkehr zu vermeiden, Verkehr zu verlagern und erst drittens den Verkehr zu verbessern – zu letzterem würde ich Elektromobilität hauptsächlich rechnen, nämlich wenn es darum geht, die Ökobilanz zu verbessern. Aber Elektromobilität hilft auch, den Verkehr zu verlagern, wenn man zum Beispiel an Pedelecs denkt. Tatsächlich wird bei Elektromobilität meistens nur an Autos gedacht – angekommen ist sie in Wirklichkeit aber bei den Fahrrädern und auch bei Elektrobussen.
"Ich denke, generell ist im Bereich Mobilität gerade ein ganz großes Möglichkeitsfenster offen, beruflich unterzukommen."
Sie selbst sind promovierte Geografin. Was sollte man mitbringen, wenn man im Bereich Mobilität arbeiten oder forschen will? Technik-Affinität?
In vielen Feldern hilft es bestimmt zu wissen, was ein Algorithmus ist, oder im Zweifel sogar, ein bisschen programmieren zu können, also ein Grundverständnis dafür zu haben, wie Codes oder bestimmte Dienste funktionieren. Wenn man sogar selbst programmieren kann, wird man, glaube ich, überall auf dem Arbeitsmarkt mit Kusshand genommen.
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Ich denke, generell ist im Bereich Mobilität gerade ein ganz großes Möglichkeitsfenster offen, beruflich unterzukommen, wenn man sich für das Thema interessiert. Mir fallen vor allem Verwaltungen ein, die händeringend Verkehrsplaner/innen suchen, weil es keine Bewerber/innen gibt. Die werden von Unternehmen gleich von der Uni abgeworben, auch weil die Einstiegsgehälter mitunter besser sind.
Ist das Thema Mobilität besonders interdisziplinär?
Interdisziplinarität halte ich für sehr wichtig im Mobilitätsbereich, weil das einfach ein Querschnittsthema ist. Mobilität ist relevant für so viele Disziplinen. Gleichzeitig gehört aber auch alles zusammen. Wenn man zum Beispiel mit einem Reallabor die Mobilität im Quartier untersucht, ist es wichtig, dass man Planer/innen, Sozialwissenschaftler/innen, aber auch die Gesellschaft oder Praktiker dabei hat. Man muss den Schritt aus der Hochschulforschung raus in Richtung transdisziplinäre Forschung gehen, zu der auch die Gesellschaft und die Praxis ihr Wissen beiträgt. Ich glaube, dass auch der Fördertrend in diese Richtung geht.
Mit welchen Abschlüssen kann man im Bereich Mobilität einsteigen, nicht nur in der Forschung?
Ingenieurwissenschaften sind stark gefragt, Verkehrs- und Raumplanungsingenieur/innen vor allem. Ich glaube aber auch, dass Geografie mit dem Blick fürs große Ganze, aber auch Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie, Umweltwissenschaften oder Wirtschaftswissenschaften universitäre Ausbildungen sind, mit denen man sich in Richtung Verkehr spezialisieren kann. Psycholog/innen können zum Beispiel sehr fein das Individuum in den Blick nehmen.
Sie können sich anschauen, welche Einstellungen hinter gewissen Verhaltensweisen stehen. Oder wie Verhaltensänderungen funktionieren, wie Menschen beispielsweise darauf reagieren, wenn eine Straße eine gewisse Zeit lang für den Autoverkehr gesperrt ist. Mal davon abgesehen, dass Psycholog/innen auch eine sehr gute Methodenausbildung haben.
Die Interdisziplinarität zeigt sich übrigens auch bei uns im Institut: Wenn wir wissenschaftliche Mitarbeiter/innen-Stellen ausschreiben, schreiben wir sie immer sehr offen aus. Es gab schon Soziolog/innen, die bei uns gearbeitet haben, Planer/innen, Psycholog/innen, Wirtschaftswissenschaftler/innen. Das liegt aber auch daran, dass wir in der Geografie das Querschnittsthema Mobilität haben. Insgesamt waren wir immer sehr offen und haben uns eher gefreut, wenn aus anderen Disziplinen Bewerbungen kamen, und haben das als spannende Ergänzung gesehen. Unsere Sichtweise auf Forschung hat dadurch entscheidende Anstöße gekriegt.
"Was man wissen sollte: Die meisten Forschungen zu den Themen Mobilität und Verkehr sind sehr anwendungsorientiert."
Was sind aktuelle Forschungsthemen?
Ich interessiere mich gerade für das Thema Mobilität und Digitalisierung. Das ist allgemeiner Trend. Zu „mobility as a service“ wird stark geforscht, ebenso zu Elektrifizierung. Auch Autonomes Fahren ist ein ganz großes Thema. Ich betrachte die Digitalisierung aber eher aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive. Zurzeit betreibe ich Forschung in der S-Bahn: Ich schaue mir an, wie Leute ihr Smartphone nutzen und ob Leute durch ihr Smartphone ihre Mobilität verändern und wenn ja, in welcher Weise. Hier führe ich gerade die Interviews durch.
Spannend finde ich auch das Thema soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Klimawirkung. Ich habe mit einem Kollegen zusammen in Offenbach zu Fahrradstraßen geforscht, außerdem interessiert mich der Modal Shift, also die Verlagerung vom Individualverkehr auf andere Verkehrsmittel und die damit verbundenen Verhaltensänderungen. Was man wissen sollte: Die meisten Forschungen zu den Themen Mobilität und Verkehr sind sehr anwendungsorientiert. Man sollte auch Spaß daran haben, sich in andere Disziplinen reinzudenken, über den Tellerrand zu schauen.
Sie beschäftigen sich auch mit Mobilitätspolitik. Geht da der Trend in die richtige Richtung?
Das würde ich eher mit Nein als mit Ja beantworten. Ich erkenne schon, dass es Ansätze gibt, nachhaltige Mobilität zu fördern. Da müssen wir verschiedenen Bewegungen sehr dankbar sein, es kommt Druck auf aus der Gesellschaft: Ich denke da an Fridays for Future oder die ganzen Initiativen zu Radentscheiden für eine nachhaltigere und gerechtere Mobilität in Städten.
Außerdem gab es die Skandale unter dem Stichwort Dieselgate. Hinzu kommt der wachsende Verkehrsdruck: Die Autos werden größer, sie werden immer noch mehr und brauchen auch mehr Platz. Gleichzeitig ziehen mehr Menschen in die Städte. Die Konkurrenz um den Platz wächst. Und all dieser Druck führt dazu, dass die Politik irgendwie handeln muss.
"Man merkt schon, dass es in Deutschland besonders autofreundlich abläuft."
Das klingt pessimistisch…
Deutschland sieht sich als Autoland und als Technologie-Standort und hat eine starke Autolobby. Und das spiegelt sich in den Förderkulissen, aber auch darin, dass es politisch bisher nicht umsetzbar ist, ein Tempolimit einzuführen, auch wenn ein Großteil der Bevölkerung dafür ist. Oder wenn es darum geht, Innenstädte autofrei zu machen! Das wird hier kaum angedacht, weil es so ein dickes Brett ist – in anderen Ländern wird das dagegen längst umgesetzt, gerade in Großstädten. Da merkt man schon, dass es in Deutschland besonders autofreundlich abläuft.
Was ich allerdings sehr spannend finde, ist die Zunahme von sogenannten Verkehrsversuchen. Dass zum Beispiel eine Straße oder ein Platz ein Jahr lang für den Autoverkehr gesperrt wird, und dass dann wissenschaftlich untersucht wird, wie solche Plätze alternativ genutzt werden und wie die Menschen sich solche Räume wieder aneignen. Es gibt da verschiedene Sachen, sowohl auf räumlicher als auch auf anderer Ebene.
Hessens Landesregierung experimentiert beispielsweise damit, den ÖPNV für verschiedene Zielgruppen erschwinglich zu gestalten, zum Beispiel mit einem Schülerticket, Beschäftigtenticket oder Seniorenticket, das für das ganze Land gültig ist. Das zeigt, dass trotz meines eher negativen Blicks auf die Mobilität hier – Stichworte Autoland und Technologiestandort – viel in Bewegung ist.
"Die Digitalisierung bringt ganz viele Daten mit, die für uns in der Forschung total spannend sind."
Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Mobilität von morgen?
Bei „Mobility as a Service“ versucht man, immer mehr Mobilitätsangebote von verschiedenen Anbietern über einen Dienst zur Verfügung zu stellen. Dann kann sich der Nutzer oder die Nutzerin ganz unkompliziert wie bei einer Speisekarte zwischen den Angeboten entscheiden und direkt bezahlen über die App. International passiert da gerade sehr viel. Das Feld ist total spannend mit all den neuen Akteuren, die auf den Markt treten.
Carsharing wurde dadurch revolutioniert und auch Bikesharing. Und es gibt neue Angebote, die wie Ridepooling zwischen privatem und öffentlichem Verkehr liegen. Diese Angebote unterliegen dabei allerdings immer auch den wirtschaftlichen Interessen der Anbieter. Das muss bedacht werden. Und natürlich bringt die Digitalisierung auch ganz viele Daten mit, die für uns in der Forschung total spannend sind, die aber auch ein nicht zu unterschätzendes Risiko mit sich tragen.
"Es ist wichtig, Digitalisierung als Gelegenheitsfenster zu erkennen und als ein Werkzeug von vielen zu nutzen, um eine nachhaltige, sozial gerechte und zukunftsfähige Mobilität zu gestalten."
Weil sie auch von den Unternehmen verwendet werden können?
Ja. Ich glaube, dass letztendlich die Frage, wie wir den digitalen Wandel nutzen, ganz wichtig ist: Lassen wir ihn einfach mit uns geschehen und schauen, was passiert, wenn wir ihn von Unternehmen steuern lassen, die nicht nach den Richtlinien gehen, die uns als Gesellschaft wichtig sind?
Es ist ein Risiko, wenn sie all unsere Bewegungsprofile kennen, wenn die Preise für Mobilität und die Mobilität an sich komplett über die Nachfrage gesteuert werden. Und auch, wenn private Unternehmen unsere Verkehrssysteme zu planen anfangen, wenn es um Smart Cities geht, und sie dann auch steuern und Städte die Leistungen nur noch einkaufen. Hier sehe ich Schwierigkeiten, was die Umwelt-, Klima- und soziale Wirkung angeht.
Ich glaube daher, dass die Alternative sehr wichtig ist: Dass wir mitreden und mitbestimmen. Dass die Gesellschaft und die Politik die Digitalisierung als Gelegenheitsfenster erkennen und als ein Werkzeug von vielen nutzen, um eine nachhaltige, sozial gerechte und zukunftsfähige Mobilität zu gestalten. Auch wenn das bedeutet, dass wir nicht für einen Appel und ein Ei unsere Wege statt zu Fuß mit einem Uber zurücklegen. Dass wir selbst nicht nur diesen ganz bequemen Weg gehen, sondern auch mitdenken. Und dass die Leute, die sich in Städten mit Verkehr beschäftigen, auch wissen, was ein Algorithmus ist.