Mit der Familie im Büro
Wenn die Chefin gleichzeitig die eigene Mutter ist, verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Eine Geografin und eine Theaterpädagogin berichten, warum sie trotzdem in den Betrieb ihrer Eltern eingestiegen sind.
Text: Stefanie Schweizer
Linda Böhm erinnert sich an anfängliche Streitereien, als sie die Stelle bei mensch und region annahm; einem Unternehmen für nachhaltige Prozess- und Regionalentwicklung, 1992 von ihrer Mutter mitgegründet. Diplom-Geografin Birgit Böhm ist weiterhin Gesellschafterin und gemeinsam mit ihrem Mitgesellschafter kooperative Geschäftsführerin des Unternehmens – und damit auch Lindas Chefin.
Die Gründe für die anfänglichen Anlaufschwierigkeiten kann sich Linda Böhm heute gut erklären: „Es ist eben doch nicht so einfach, mit der Familie zusammenzuarbeiten und die Schwächen des anderen unter Zeitdruck auszuhalten. Es war auch schwierig, mir einzugestehen, dass ich gerne für meine Mutter arbeite. Eigentlich wollte ich mich auch in der Arbeit unabhängig von ihr fühlen.“
Ursprünglich wollte Linda Böhm etwas anderes machen als ihre Mutter. So begann sie zwar Geografie zu studieren, wollte sich aber, mit der Zulassung für Kommunikationsdesign in der Tasche, noch einmal neu orientieren. Schließlich blieb sie doch der Geografie treu. Sie absolvierte einen Master in Humangeografie und landete nach einem Praktikum in Hamburg wieder im Büro ihrer Mutter – mit einer vollen Stelle.
Offen reden – auch über Probleme
Dass sie die Stelle annahm, lag zum einen an der weiten Spanne an Themen und Aufgaben. Aber auch der familiäre Bezug spielte eine Rolle: Schon früh übernahm die Tochter Aushilfstätigkeiten, und ihre Mutter vermittelte ihr, was ihre Arbeit bringt und wie sie funktioniert. So ist Linda Böhm ins Team und die Aufgaben hineingewachsen.
Sie übernimmt bei mensch und region die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen. Zu ihren Aufgaben zählt es auch, Präsentationen, Flyer und Berichte grafisch und inhaltlich zu gestalten. Außerdem entwickelt, berät und managt sie Integrationsprojekte. „Meine Mutter und ich arbeiten meist sehr eng zusammen, sodass wir uns zu allen Aufgaben mehrmals täglich austauschen, uns auch gegenseitig um Rat fragen, Probleme besprechen, die innerhalb der Arbeit anfallen, oder gemeinsam neue Veranstaltungsformate entwickeln“, erklärt Linda Böhm.
Vorteile sehen Mutter und Tochter reichlich in ihrer Zusammenarbeit, nicht zuletzt, weil sie sich gegenseitig bestärken und die jeweils eigene Arbeitsweise reflektieren. „Meine Mutter weiß manchmal besser als ich, was ich kann, und stößt mich dann vertrauensvoll an, wenn ich unsicher bin,“ erzählt Linda Böhm.
Außerdem wirkt sich die familiäre Verbindung der beiden auf die Qualität der Kommunikation aus: „Ich kann viel offener mit meiner Mutter als Chefin sprechen, wenn mir etwas nicht gefällt, als ich es mit anderen Chefs oder Chefinnen tun würde. Das hat, glaube ich, nicht nur für mich Vorteile, sondern manchmal auch für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.“
Auch Birgit Böhm profitiert vom engen Verhältnis zu ihrer Tochter und sieht in der Arbeit mit ihr die Chance, selbst zu wachsen: „Oft ist es sehr hilfreich, wenn Linda mir sagt, was ich anders machen könnte.“ Herausforderungen in ihrer Doppelrolle sieht die Diplom-Geografin vor allem dann, wenn Krisen anstehen, wie zum Beispiel im Zuge der Corona-Pandemie. „Dann muss ich die Mutter wegstellen und alle gleich behandeln. Das bekomme ich hin, aber emotional ist es natürlich anspruchsvoll.“
Auch Linda Böhm legt großen Wert darauf, im Unternehmen Freiheiten und Pflichten einer Angestellten zu übernehmen – ganz unabhängig von jeglichem Verwandtschaftsverhältnis. Das sei für die Arbeitsatmosphäre im Team ein absolutes Muss. Wer vor der Entscheidung steht, im Unternehmen von Verwandten tätig zu werden, sollte sich vorab klar machen: „Für ein Arbeitsverhältnis zwischen Familienangehörigen gelten die gleichen Regeln wie für alle anderen Angestellten“, so Linda Böhm.
Neben der Gleichbehandlung spielen auch Vertrauen, Akzeptanz, Offenheit und Transparenz eine wichtige Rolle – und verlangen diesem besonderen Verhältnis damit vielleicht sogar mehr ab als Tätigkeiten, in denen Vorgesetzte und Angestellte nicht miteinander verwandt sind. „Vor allem sollten Konkurrenzen geklärt sein. Wenn es die gibt, ist eine Zusammenarbeit wahrscheinlich eher nicht angezeigt“, empfiehlt Birgit Böhm.
Arbeitsthemen beim Geburtstagskaffee
Mit Familienmitgliedern zu arbeiten, heißt unweigerlich, berufliche und private Ebenen zu verknüpfen. So kann es schnell passieren, dass beim Geburtstagskaffee doch noch kurz über die Aufgaben der bevorstehenden Woche gesprochen wird oder dass über den Bürotisch hinweg schnell private Angelegenheiten geregelt werden.
Birgit und Linda Böhm kennen die Schwierigkeit, beide Bereiche immer voneinander zu trennen. „Manchmal fällt es mir leichter, meine Mutter zu fragen, ob wir einen Kaffee trinken gehen wollen, wenn ich länger Urlaub hatte. Denn sich jeden Tag zu sehen und dann nach der Arbeit oder am Wochenende zusätzlich gemeinsam etwas zu unternehmen, kann einem auch zu viel werden. Das betrifft aber eher mich als Tochter und die Suche nach Unabhängigkeit von der eigenen Mutter“, schätzt Linda Böhm die Lage ein.
So liegt die Herausforderung in der Zusammenarbeit mit Familienangehörigen vor allem darin, sich selbst immer wieder zu reflektieren und zu kontrollieren, welcher „Hut“ gerade die eigenen Reaktionen und Emotionen bestimmt. Außerdem kommt dem Respekt vor dem Gegenüber als andere, selbstbestimmte Person eine Schlüsselfunktion zu.
„Wir diskutieren privat über Inhalte und Projekte, weil wir motiviert und interessiert an der Sache sind. Manchmal passiert es aber, dass ich etwas besprechen möchte und Linda gerade nicht arbeitet. Dann grenzt sie sich ab. Das finde ich gut und auch richtig“, erklärt Birgit Böhm.
Distanz lernen
Bei diesem Abgrenzungsprozess kann es helfen, einen zeitlichen oder räumlichen Rahmen festzulegen. „Zum Beispiel am Esstisch oder während des Mittag- oder Abendessens“, erklärt die Theaterpädagogin und Kulturmanagerin Adriana Zangl. Die gebürtige Bambergerin zog nach Wien, um Theater-, Film- und Medienwissenschaft zu studieren und sich zur Theaterpädagogin ausbilden zu lassen. Von klein auf half sie im Theater am Michelsberg, dem Familientheater ihrer Eltern, in verschiedensten Bereichen aus.
Noch heute übernimmt sie im Theater die Leitung und Planung der Ferientheaterkurse für Kinder. Dafür tauscht sie sich mit ihren Eltern über organisatorische Aspekte aus, erhält von ihnen täglich Informationen über neue Buchungen und gibt nach den Kursen die Rückmeldung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiter. „Ich habe als Jugendliche im Theater meiner Eltern die Möglichkeit gehabt, mir ein Taschengeld zu verdienen. Mittlerweile genieße ich es sehr, für sie zu arbeiten“, sagt Adriana Zangl.
- Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
- Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten durch den redaktionellen Teil und die Stellen-Datenbank einen breiten und dennoch konkreten Überblick über derzeitige Entwicklungen in Berufsfeldern und Branchen, können sich anhand der ausgewählten Jobs beruflich orientieren und bleiben so bei der Jobsuche am Ball. Unsere Erfahrung: Viele Abonnent*innen stoßen auf Tätigkeiten, die sie gar nicht auf dem Schirm hatten.
Herausforderungen bei der Zusammenarbeit mit Familienmitgliedern sieht die 29-Jährige auf menschlicher sowie beruflicher Ebene: „Man muss aufpassen, die Rollen nicht zu vermischen – bin ich jetzt Tochter oder Angestellte? Familiäre oder zwischenmenschliche Probleme müssen zu Hause bleiben, und man muss lernen, die Rolle als Angestellte und damit konstruktive Kritik annehmen zu können.“
Dass verschiedene Rollen sich überlappen, kann dazu führen, dass in so manch ohnehin anspruchsvoller Situation noch mehr Feingefühl erforderlich ist – wie beispielsweise bei der Gehaltsverhandlung mit der Chefin oder dem Chef.
„Einerseits sind meine Eltern meine Mentoren im Werdegang als Theaterpädagogin und ermutigen mich immer dazu, ein angemessenes Gehalt zu verlangen. Andererseits weiß ich, dass das Theater meiner Eltern nicht die finanziellen Möglichkeiten besitzt, mir immer ein angemessenes Gehalt zu bezahlen. Sie sind allerdings sehr bemüht, die Prozesse so fair wie möglich zu gestalten“, erklärt Adriana Zangl. Sie ist dennoch davon überzeugt, dass es nur Vorteile hat, die persönlichen Stärken und Schwächen des Chefs oder der Chefin gut zu kennen: „Man spart sich viele Hürden, die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen und -nehmern entstehen können.“
Skepsis im Freundeskreis
Der Gedanke, für ein anderes Büro in Hannover im selben Tätigkeitsfeld zu arbeiten und damit in Konkurrenz zum Unternehmen ihrer Mutter zu stehen, fühlt sich für Linda Böhm seltsam an. „Den Großteil meines Wissens für die praktische Arbeit habe ich bei ihr gelernt“, sagt die Humangeografin. Sie hat allerdings die Erfahrung gemacht, dass ihr Arbeitsverhältnis in der Gesellschaft nicht immer akzeptiert wird.
„Einige bewerten es sogar als schwach, sich beruflich nicht von seinen Eltern zu emanzipieren. Das hat mich manchmal verunsichert, aber meine Arbeit macht mir Spaß, und ich arbeite gerne mit meiner Mutter zusammen. Ich habe gelernt, dass das nicht jeder oder jede verstehen muss. Hauptsache ich tue, was mich glücklich macht“, sagt Linda Böhm.
Birgit Böhm teilt diese Erfahrung. Es habe Menschen im Freundeskreis gegeben, die Lindas Schritt irritiert habe. „Ich glaube auch, das ist ein gesellschaftlicher Aspekt“, sagt sie. „In Ägypten wäre das keine Frage, sondern selbstverständlich. Da wäre die Frage wohl eher, warum gehst du nicht in die Firma deiner Eltern?“
Deshalb ist für beide Frauen klar: Die Entscheidung, ob man im Familienunternehmen und damit mit Verwandten zusammenarbeiten möchte, sollte ganz frei gefällt werden. Auch die Theaterpädagogin Adriana Zangl vertritt diesen Standpunkt: „Man muss sich gegenüber ehrlich sein. Nehme ich den Job an, weil die Familientradition dies vorgibt oder weil ich es will? Es muss dein eigener Traum sein und nicht der deiner Familie.“ Viel wichtiger sei es, wie bei jedem anderen Stellenangebot auch, die Chancen hinter einer Tätigkeit abzuwägen: Entspricht die Stelle der eigenen Vorstellung von einer erfüllenden Tätigkeit und hält sie berufliche Entwicklungsmöglichkeiten bereit?