
Im Kampf gegen Menschenfeindlichkeit
Ressentiments gegen Fremde, Andersdenkende und Minderheiten sind wieder „salonfähig“ geworden. Wer sich dagegen stark machen will, hat verschiedene Möglichkeiten.
Text: Michael Fehrenschild
Es gärt. Auf den Straßen, in den Köpfen, in der Politik. Es fallen immer wieder Sätze in aller Öffentlichkeit, die man so in Deutschland einfach nicht mehr für möglich gehalten hätte. Und: keiner weiß, wohin das alles noch führt. Der braune Spuk ist wiedererwacht – und zwar so stark wie seit Kriegsende nicht mehr. Weg war er nie.
Tatsächlich war der rechte Rand in den 1970er und 80er Jahren noch klein und – zum Beispiel in Form der NPD – eher ein Auffangbecken für Ewiggestrige. Daher war der Rechtsextremismus auch fast nur ein Thema für darauf spezialisierte Politikwissenschaftler/innen. Medien und Gesellschaft hatten vor allem den Linksterrorismus der RAF auf dem Schirm.
Zu den echten Pionieren, bei denen das damals schon anders war, zählt Forena – der Forschungsschwerpunkt-Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf, der bereits 1987 gegründet wurde. „Vor 30 Jahren waren wir in der deutschen Hochschullandschaft noch ziemlich allein auf weiter Flur, das hat sich spätestens seit den sogenannten NSU-Terrormorden geändert“, erklärt der dort arbeitende Sozialwissenschaftler Alexander Häusler. Und mit dem Aufstieg von Pegida und AfD wurde das neue alte Phänomen erst recht breitenwirksam.
Eine gute Nachricht immerhin ist: Diese Entwicklung schuf auch neue Stellen „gegen rechts“, zum Beispiel in der Forschung. Aktuell gibt es in vielen Universitäten und Fachhochschulen, Lehrstühle, Projekte und Weiterbildungen dazu. Und der Alltag eines solchen Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin auf diesem Gebiet ist sehr abwechslungsreich:
„Eine meiner Aufgaben ist es, Rechtsextremismus sowohl in Parteien als auch in der Form von sozialen Bewegungen zu beobachten, Entwicklungen auszuwerten und Analysen zu erstellen. Aber es ist kein reiner Bürojob. Als Fachhochschule sind wir sehr praxisorientiert. Wir bilden auch Sozialpädagogen und Sozialarbeiter aus und sensibilisieren sie zu dem Thema. Zudem bin ich in vielen Gremien tätig, die sich mit Jugend- und Präventionsarbeit beschäftigen. Ich bewege mich daher nicht nur im wissenschaftlichen Elfenbeinturm, sondern betreibe viel Aufklärungsarbeit, bin viel unterwegs und halte beispielsweise Vorträge über rechtsextreme Gruppen und Parteien“, so Häusler.
Mögliche Arbeitgeber
Wer selbst auch in diese berufliche Richtung gehen möchte, kann bei verschiedenen Einrichtungen ganz konkret nach Stellen schauen. Die Anzahl der Ausschreibungen ist zwar überschaubar, aber es findet sich durchaus das ein oder andere Jobangebot. Zu den interessanten Institutionen gehören der Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI), das Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig, die Moses Mendelssohn Akademie in Potsdam oder das Zentrum für Antisemitismus Forschung in Berlin. Und diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig. Im Gegenteil. Es kommen eher mehr Adressen hinzu. Gesucht werden hier zumeist Historiker/innen, Politikwissenschaftler/innen, Soziologen/innen oder Parteienforscher/innen.
Für Akademiker/innen mit diesen und anderen Uni-Abschlüssen lohnt auch der Blick auf die Websites der großen Stiftungen. Dazu zählt die Amadeo Antonio Stiftung, benannt nach einem jungen Mann aus Angola, der 1990 von Neonazis ermordet wurde. Sie verfolgt das Ziel der „Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet“.
Stiftungen im Fokus
Seit ihrer Gründung im Jahr 1998 konnten rund 1.500 Projekte und Initiativen gefördert werden. Aber auch die F.C. Flick Stiftung, die vor allem junge Menschen in den neuen Bundesländern unterstützt, oder die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft bieten die eine oder andere Arbeitsmöglichkeit. Träger wie diese beschäftigen zumeist eine bunte Mischung von Hochschulabsolvent/innen. Die Spannbreite reicht von Politologen/innen und Historiker/innen über Kultur- und Religionswissenschaftler/innen bis hin zu Juristen/innen.
Und auch die Stiftungen der Parteien halten manch reelle Einstiegschance bereit, zum Beispiel die Friedrich-Ebert-, Heinrich-Böll- oder Rosa-Luxemburg-Stiftung. Um dort zu arbeiten, muss man übrigens nicht zwangsläufig Mitglied der jeweiligen Partei sein.
Weitere potenzielle Arbeitgeber sind das Anne Frank Zentrum, die deutsche Partnereinrichtung des Amsterdamer Anne Frank Hauses und die Bundeszentrale für politische Bildung, die ebenfalls eine Menge Aufklärungsarbeit über die extreme Rechte leistet. Die 2006 gegründete Antidiskriminierungsstelle des Bundes, deren Beratungsangebot sich ausdrücklich auch gegen Antisemitismus und Rassismus richtet, beschäftigt sogar 35 Menschen – und bietet regelmäßig Praktikumsplätze an.
Arbeiten in der Opferberatung
Ein weiteres „verwandtes“ Berufsfeld, um sich gegen Menschenfeindlichkeit zu engagieren, ist die Unterstützung und Beratung für Opfer rechter Gewalt. Und das sind nicht wenige: Seit dem Mauerfall gibt es tausende Fälle in der Bundesrepublik. Die ersten Opferberatungsstellen entstanden bereits in den frühen 1990ern in den neuen Bundesländern. Seit den NSU-Terrormorden wurden sie in ganz Deutschland installiert.
Anke Hoffstadt, die heute künftige Sozialarbeitende ausbildet und zuvor für die Opferberatung Rheinland arbeitete, gibt Einblick in diese vielseitige Tätigkeit: „Zum Alltag gehört es, Beratungsgespräche zu führen, Sachstandsanfragen bei Polizei und Staatsanwaltschaft zu stellen, die Opfer zu Polizei, Ärztinnen, Therapeuten und Anwälten zu begleiten, Korrespondenz mit Krankenkassen und Entschädigungsbehörden zu führen, Prozesse zu begleiten und immer wieder: Anträge schreiben, Anträge schreiben, Anträge schreiben.“ Es handelt sich schlicht um eine Begleitung in jeder Hinsicht: vom Ersatz einer zerschlagenen Brille bis hin zu seelischem Beistand.
In diesen Beratungsstellen arbeiten ebenfalls Akademiker/innen mit den unterschiedlichsten Abschlüssen. Dazu gehören Absolvent/innen der Sozialen Arbeit, der Empowerment Studies und der Menschenrechtspädagogik, aber auch Psychologen/innen, Juristen/innen sowie Geisteswissenschaftler/innen verschiedener Fachdisziplinen. Einen Hochschulabschluss, und zwar mindestens einen Bachelor, sollte man also dafür mitbringen – und noch einiges mehr.
Denn Opferberatung ist wirklich kein Beruf wie jeder andere. Hoffstadt betont: „Nötig sind starke Nerven, Empathie, Verhandlungsgeschick und ein gewisses Maß an strategischen Kompetenzen. Dazu kommen Gewissenhaftigkeit und ein gutes Zeitmanagement. Ganz wichtig ist Warmherzigkeit und vor allem: Viel Wissen darüber, dass es ein Arbeitsfeld ist, dass zutiefst politisch ist! Es geht ums Einmischen, da sind kluge Reflexion, Haltung und Kraft gefragt.“
Darüber hinaus braucht man Kenntnisse, die in die Tiefe des Themas führen. „Unerlässlich ist eine Fortbildung zu Strukturen und Akteuren der extremen Rechten, zu Rassismus, Antisemitismus und allen Formen der Gewalt und Diskriminierung. Auch sollte sich eine Beraterin gut in allen Fragen des Strafrechts, des Opferentschädigungsrechts und des Opferschutzes auskennen“, erklärt Hoffstadt.
Diese Stellen gibt es sowohl als Voll- oder Teilzeitjob. Aber die 43-Jährige, die selbst Geschichte studiert hat und über Umwege zu dieser Stelle kam, empfiehlt: „Da die Aufgaben und die Arbeit emotional belastend und anstrengend sind, ist es gut, den Job nicht 40 Stunden in der Woche auszuüben. Denn es braucht auch Zeit zur Erholung und um Abstand von den Inhalten dieser Arbeit zu gewinnen. Da ist ein kurzes Wochenende meistens nicht ausreichend.“
Wer sich für dieses Themenfeld interessiert: Der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. stellt auf seiner Seite viele Informationen zur Verfügung: www.verband-brg.de.
Ausstiegsprogramme und Erinnerungsarbeit
Es gibt noch ein Einsatzfeld, das viel Einfühlsamkeit erfordert. So existieren diverse Aussteigerprogramme für Menschen, die sich aus der rechten Szene absetzen wollen. Das ist für die Betroffenen nicht immer einfach. Denn es kann den Verlust des gesamten sozialen Umfelds und den Beginn eines anderen Lebens beinhalten. Vereine wie Exit e.V. helfen dabei. Dort arbeiten Fachleute, die Berufserfahrungen in Justiz, Justizvollzug, Polizei, Jugend- oder Sektenhilfen gesammelt haben.
Immer wichtiger wird zudem der Kampf gegen das Vergessen des NS-Unrechts, auch weil die Zeitzeugen immer weniger werden und gleichzeitig selbst der Holocaust von Neonazis und Rechtspopulist/innen relativiert wird. „Die Gesellschaft ist deutlich polarisierter, als sie es etwa in der Kohl-Ära war. Neben den Geschichtsleugnern gibt es aber auch eine starke Gegenbewegung. So hat die Erinnerungskultur in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus inzwischen eine breite Zustimmung bekommen, was jahrzehntelang nicht der Fall war“, erläutert Häusler.
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Inzwischen existieren wesentlich mehr Mahn- und Gedenkorte, und viele der älteren wurden modernisiert. So zum Beispiel Bergen-Belsen in Niedersachsen: Wo 1952 nur ein Denkmal an die dort begangenen Massenmorde des NS-Staates erinnerte, zeigt heute eine moderne Ausstellung den Besucherinnen und Besuchern genau, was dort geschah – und auch warum. Bekannt sind auch die Dauerausstellung zur Topografie des Terrors in Berlin oder das El-De Haus, das ehemalige Hauptquartier der Gestapo in Köln.
Mittlerweile werden aber auch viele unbekanntere Schauplätze zu Erinnerungsorten, wie die Gedenkstätte Augustaschacht bei Osnabrück – ein ehemaliges Arbeitserziehungslager. Viele Menschen arbeiten an diesen Orten, die zugleich Zentren für Aufklärungsarbeit „gegen rechts“ sind, frei-, neben- aber auch hauptberuflich. Und Bildungsreisen für Schülerinnen und Schüler, aber auch Erwachsene an die Orte der Shoa wollen natürlich konzipiert und vor Ort begleitet werden.
Bildungsarbeit gegen Rechts
Eine andere Option ist der komplette Sicherheitsbereich. Häusler erklärt: „Ein wachsendes Feld ist die Auseinandersetzung mit den rechts motivierten Gewaltdelikten. In Polizei und Justiz hat das stark an Bedeutung gewonnen.“ Es gibt heute eine Menge Jobs im nachrichtendienstlichen und polizeilichen Bereich, die sich mit Rechtsextremismus, aber auch Islamismus und Linksradikalismus befassen. Überhaupt kommen gar nicht wenige Berufe um die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht herum. Hier kann man Weiterbildungsarbeit leisten. Häusler führt aus:
„Rechtsextremismus ist aktuell nicht nur ein Thema für Parteienforscher, sondern für Sozialarbeiter, Leute, die in Jugendeinrichtungen arbeiten, Menschen, die in irgendeiner Form in der politischen Weiterbildung agieren oder im kommunalen Rahmen tätig sind. Für all diese Berufsfelder ist es wichtig, einen zumindest rudimentären Einblick in aktuelle Entwicklungen der rechten Szenen zu haben, um damit adäquat umgehen zu können. Die Hochschulausbildung zu diesem Themenfeld ist immer noch zu stiefmütterlich. Etliche Angebote, um sich zu spezialisieren, basieren auf freiwilligem Engagement.“ Hier rät der Experte: „Dieses Feld ist sehr breit. So kann man zum Beispiel beim Bildungswerk des DGB eine Ausbildung zur Fachkraft Rechtsextremismus machen.“
Doch eins ist auch klar: Menschen, die „gegen rechts“ tätig sind, müssen mit unangenehmen Begleiterscheinungen rechnen. „Anfeindungen sind sehr breit gefächert. Das reicht von Klagen bis hin zu unflätigen Anrufen, Drohbriefen und in manchen Fällen sogar zu persönlichen Bedrohungen“, so Häusler. Beharrlichkeit und manchmal ein dickes Fell gehören also schon dazu. Und ab und an sogar etwas Mut.