Sozialwissenschaften am Puls des Verbrechens
Warum wird jemand straffällig und was muss man verändern, um Städte sicherer zu machen: Soziolog*innen beschäftigen sich mit einer ganzen Reihe von Fragestellungen im Themenfeld Kriminalität.

Sozialwissenschaften am Puls des Verbrechens

Wer sich für empirische Sozialforschung interessiert und effizient analysiert, ist für die kriminologische Forschung gut geeignet, sagt Dr. Maike Meyer.

Interview: Christine Sommer-Guist 

Seit 2017 leitet Dr. Maike Meyer die Kriminalistisch-Kriminologische Forschungsstelle (KKF) in Nordrhein-Westfalen. Foto: privat

WILA Arbeitsmarkt: Wie definieren Sie ­Kriminalsoziologie?
Dr. Maike Meyer: Der Begriff wird selten verwendet. In der Regel spricht man von Sozialwissenschaftler/innen, die kriminologische Forschung betreiben, sich mit der theoretischen und empirischen Forschung von abweichendem Verhalten beschäftigen und Erkenntnisse für die Kriminologie liefern.

Wie kamen Sie zu der Kriminalsoziologie?
Ich habe zunächst Soziale Arbeit studiert und mich für kriminologische Kurse und Fragestellungen interessiert. Also fragte ich eine meiner Professorinnen, wie ich in den Bereich reinschnuppern könne. Zufällig hatte sie eine Stelle, über die ich später zum LKA in Niedersachsen kam, wo ich als Praktikantin und danach als Hilfskraft arbeitete. Spätestens da entschied ich mich für die Kriminologie. Ich erwarb nebenberuflich an der Fernuni Hagen Statistik- und Methodenkenntnisse, studierte im Anschluss in Bielefeld Soziologie, befasste mich mit kriminologischen Fragestellungen und Projekten und promovierte in dem Bereich.

"Wir leisten einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Bevölkerung."

Was macht den Beruf für Sie spannend und wichtig?
Er ist abwechslungsreich! Kriminalität tritt in vielen Erscheinungsformen auf und ebenso vielfältig sind die Fragestellungen. Zudem schafft unsere Forschung die Grundlagen für die Optimierung der Kriminalitätsbekämpfung, womit wir einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit der Bevölkerung leisten.

Welche Aufgaben fallen am häufigsten an?
Wir identifizieren Erkenntnisbedarfe, konzipieren darauf aufbauend Forschungsprojekte und bereiten deren Ergebnisse auf. Bei Forschungsstellen innerhalb der Polizei leiten sich die Erkenntnisinteressen zumeist aus öffentlichen und politischen Interessen ab. So haben wir in der KKF ein Projekt, das sich mit sexueller Gewalt gegen Frauen beschäftigt, das wir in Folge der Silvesternacht 2015/2016, der #MeToo-Debatte und der Diskussion um die Veränderung des Sexualstrafrechts konzipierten.

Welche Voraussetzungen bringen Berufseinsteiger/innen idealerweise mit?
Für die Forschung braucht man eine tiefgehende Methodenausbildung sowie fundierte Kenntnisse und Erfahrungen in der empirischen Sozialforschung. Hierauf sollte im Studium ein Fokus gelegt werden. Inhaltlich bietet sich ein Studium der Soziologie oder ein sozialwissenschaftliches Studium mit soziologischen Inhalten an.

Ich halte es zudem für empfehlenswert, den Bachelor und Master zu absolvieren, im besten Fall sogar mit unterschiedlichen Schwerpunkten, an unterschiedlichen Universitäten oder in unterschiedlichen Studiengängen, weil die Erforschung von Kriminalität so interdisziplinär ist, dass man über wissenschaftliche Tellerränder hinausschauen muss. 

"Es ist wichtig, Erfahrungen zu sammeln und ein großes Netzwerk aufzubauen."

Wie gelingt der Berufseinstieg?
Neben einem gut gefüllten Werkzeugkoffer mit Kenntnissen der quantitativen und qualitativen Sozialforschung ist es wichtig, Erfahrungen zu sammeln und ein großes Netzwerk aufzubauen. Das gelingt über Praktika und Jobs als studentische und wissenschaftliche Hilfskraft, aber auch über Fachtagungen. Empfehlenswert für Nachwuchswissenschaftler/innen sind die Tagung vom Netzwerk „Kriminologie in Nordrhein-Westfalen“ sowie die des „Norddeutschen Kriminologischen Gesprächskreises“ (NordKrim). Darüber hinaus gibt es Newsletter wie den „Kriminologie Infodienst“, der über Stellenausschreibungen, Projekte und Publikationen informiert.

Wer sind mögliche Arbeitgeber? 
Als Kriminalsoziolog/in arbeitet man in der Regel da, wo kriminologische Forschung betrieben wird – an Universitäten und Hochschulen, in Forschungseinrichtungen wie dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), aber auch in der Justiz, wo kriminologische Dienste angesiedelt sind, sowie in Dienststellen der Polizei. Es gibt auch die Möglichkeit, beratende Funktionen beispielsweise in der Politik oder der Wirtschaft einzunehmen. 

"Ich beobachte einen Trend, dass Sozialwissenschaftler/innen etwa von Organisationen wie der Polizei gesucht werden." 

Sind Kriminalsoziolog/innen gesuchte Arbeitskräfte?
Es gibt viele projektbezogene, befristete Stellen, die für junge Akademiker/innen interessant sind. Das hängt damit zusammen, dass es viele Fördermittel für Forschung gibt, weil die Wissenschaft in der Gesellschaft an Bedeutung zunimmt. Unbefristete Stellen hingegen sind rar. Allerdings beobachte ich einen Trend, dass Sozialwissenschaftler/innen etwa von Organisationen wie der Polizei gesucht werden und Stellen für Bachelor- und Master-Absolvent/innen sowie für promovierte Sozialwissenschaftler/innen geschaffen werden.

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