Digitale Welten erschaffen
Im Entstehungsprozess eines Games sind viele verschiedene Fachkräfte eingebunden, wie beispielsweise der Game-Producer und die Grafik-Desingerin.

Digitale Welten erschaffen

Auch ohne Informatik- und Grafik-Design-Kenntnisse können Akademikerinnen und Akademiker in der Games-Branche Fuß fassen. Dafür brauchen sie Kreativität, und sie sollten wissen, wie die Branche funktioniert.

Text: Nicole Kretschmer 

Von den ersten Schlangen in Pixelform bis zu hochauflösenden gigantischen Spielewelten: PC- und Videospiele haben sich in den letzten dreißig Jahren rasant verändert, sodass heutzutage viel mehr Fachkräfte gebraucht werden als noch vor ein paar Jahren. Und nicht nur technisch hat sich einiges getan wie Linda Kruse, die stellvertretende Vorstandsvorsitzende von game, dem Verband der deutschen Games-Branche, berichtet: „Der deutsche Games-Markt ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Allein 2019 ist der Umsatz um 6 Prozent auf über 6 Milliarden Euro gestiegen.“ Damit wurde mehr Umsatz in diesem Bereich erzielt als mit Filmen, Büchern oder Musik.

Die Branche boomt, doch ist Deutschland vor allem ein Absatzmarkt. Der Marktanteil von deutschen Games-Produktionen liegt lediglich bei knapp fünf Prozent. Linda Kruse führt das darauf zurück, dass die Entwicklung eines Spiels in Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Kanada um bis zu 30 Prozent günstiger ist als hierzulande. Unterstützung bekommt die Branche von oben, sagt die Expertin: „2019 wurde erstmals eine bundesweite Games-Förderung in Höhe von 50 Millionen Euro jährlich im Koalitionsvertrag festgeschrieben und bis einschließlich 2023 verstetigt. Die Aufholjagd kann damit beginnen!“

Und auch sonst hat die Branche viel zu bieten: Dreiviertel der Angestellten sind in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Die überwiegende Mehrheit ist dabei fest angestellt und die meisten Beschäftigten arbeiten in Vollzeit. Interessant ist die Branche auch für Fachkräfte, die international arbeiten möchten. „Viele deutsche Studios steuern aus Deutschland heraus sämtliche Aktivitäten weltweit“, erklärt Kruse.

Hier werden jedoch nicht nur – wie man zunächst annehmen könnte – Grafikdesigner, IT-Spezialistinnen und BWLer gebraucht, wie auch die stellvertretende Vorstandsvorsitzende bestätigt: „Auch Absolventen der Geistes- und Sozialwissenschaften finden hier passende Bereiche für sich, etwa rund um Kommunikation, Marketing und Storytelling oder Level- und Content-Design. Und auch Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler können ihr Wissen in der Games-Branche umsetzen. Zum Beispiel können sie ihr umfassendes Verständnis von Ökosystemen in der Umsetzung von Spielewelten einsetzen.“

Der Einstieg

Besonders in ihren Anfängen war die Games-Branche noch weniger professionalisiert, und der Quereinstieg war die Regel. „Seit dem Jahr 2000 gibt es aber auch in Deutschland zunehmend Ausbildungsmöglichkeiten, die gezielt in die Spiele-Entwicklung führen, etwa bei privaten Schulen wie der Games Academy in Berlin, den SAE Instituten oder der School for Games, die ebenfalls in Berlin verortet ist“, berichtet Kruse.

Auch an Universitäten und Fachhochschulen gibt es mittlerweile entsprechende Angebote, zum Beispiel an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW), der Hochschule für Technik und Wissenschaft in Berlin (htw), der Technischen Hochschule in Köln (TH) oder der Hochschule der Medien in Stuttgart (hdm). Hier lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen, welcher Bereich für einen interessant ist und welche Schwerpunkte das Studium an der jeweiligen Ausbildungsstätte hat.

„Der Quereinstieg ist auch heute noch möglich“, sagt Kruse, die außerdem auch Gründerin eines eigenen Game-Studios namens „The Good Evil“ ist. Sie rät Fachkräften, die den Quereinstieg wagen wollen, sich umfassend über die Arbeitsprozesse der Games-Entwicklung zu informieren. Außerdem sollten sie sich den Umgang mit den benötigten Werkzeugen aneignen, etwa Know-how für den Einsatz einer Grafiksoftware oder Kenntnisse in der Betriebswirtschaftslehre. „Das kann etwa im Rahmen eigener Projekte oder durch Praktika bei Spielefirmen gelingen.“

Wichtig sind außerdem Soft Skills. Die Gründerin sieht hier vor allem eine gute Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenzen im Vordergrund: „Die Games-Branche ist eine sehr interdisziplinäre Branche. Hier treffen die Kreativ- und Technologiebranche auf die Wirtschaftswissenschaft.“ Außerdem sind Fremdsprachenkenntnisse in Englisch sowie ein gewisses technisches Verständnis und natürlich Kreativität unerlässlich.

Eine Welt erschaffen

PC- und Videospiele sind in ihrer Aufmachung und Storyline unglaublich vielfältig: Es gibt Lebenssimulationen wie „Die Sims“, Shooter wie „Fortnite“ und Aufbauspiele wie „Anno 1800“. Writerinnen und Storyteller sind die Köpfe, die sich die Geschichten von der Hauptfigur bis zur letzten Szene ausdenken. Dabei entwickeln die Autor*innen nicht nur die Handlung, sondern kümmern sich auch um die Dramaturgie und Hintergründe.

Wichtig hierbei ist, dass die Welten und Charaktere spannend und möglichst glaubhaft sind, um die Spieler*innen zu fesseln. Die Fachkräfte brauchen hierfür eine gehörige Portion an Fantasie und Kreativität. Gleichzeitig sind Erfahrungen im Storytelling und in der Rhetorik unerlässlich. Linda Kruse rät außerdem: „Wer im Bereich Storytelling tätig sein will, sollte zudem ein Feingefühl im Bereich Emotionalität mitbringen.“

Für die grundlegende Spielmechanik sind die Game Designer*innen verantwortlich. Sie erstellen die Regeln der digitalen Welten und achten darauf, dass sich aus ihnen ein Spielablauf ergibt. Leveldesigner erschaffen die Spiel-Welten und Level, in denen sich die Spieler*innen bewegen. Wie die einzelnen Gegenstände und Figuren aussehen, entwickeln die Grafik-Designer*innen unter Berücksichtigung der Ideen des Storytellers.

Für die einzelnen Spielmomente müssen die Fachkräfte auf Balance, Dramaturgie, Performance, Story, Interaktion und viele weitere Anforderungen achten. Neben räumlichem Denken, Kreativität und Fachwissen über die verschiedenen Genres ist auch das Thema Spielerführung wichtig. Interessant sind beide Berufsbilder für Kommunikationsexpert*innen wie Journalistinnen, Publizisten, Medien- und Theaterwissenschaftlerinnen oder Politikwissenschaftler.

Von der Idee …

Eine Idee allein reicht nicht aus, damit ein PC- oder Videospiel entsteht. Producer*innen sorgen für die Fertigstellung des Spiels. Dabei koordinieren sie die einzelnen Arbeitsbereiche untereinander und müssen sich um Zeitaufwand, Kosten und Qualität kümmern. Außerdem sind sie die zentrale Schnittstelle, damit die Zusammenarbeit zwischen externen und internen Entwickler*innen funktioniert.

Dafür brauchen sie Organisationstalent, analytisches und kaufmännisches Denken und Handeln sowie Durchsetzungsfähigkeit und Know-how in der Teamführung. Auch wenn in diesem Bereich typischerweise eher Fachkräfte aus den Wirtschaftswissenschaften aktiv sind, können hier ebenso Akademiker*innen aus anderen Bereichen mit Spezialwissen und Netzwerkkontakten punkten.

Hat der Game-Producer seinen Job richtig gemacht und Idee, Story und Design zusammengebracht, sollte das Spiel nun optisch und inhaltlich erlebbar sein. Hier fehlt nun aber noch das Sound Design: Wer schon einmal einen Film ohne Ton gesehen hat, weiß, dass für Spannung und Emotionen Musik und Geräusche unerlässlich sind. Sound Designer*innen erschaffen Geräusche aller Art und erzeugen damit Stimmungen im Spielmoment. Dafür benötigen die Fachkräfte Kenntnisse im Umgang mit Audio Tools. Dieses spannende Berufsfeld steht allen Kreativköpfen offen, die Fachwissen in Musik und Dramaturgie mitbringen, wie beispielsweise Musiker, Musikwissenschaftlerinnen oder Musikproduzenten.

… bis zum fertigen Produkt!

Das Spiel ist fertig, wenn nach den Testläufen auch die letzten Fehler behoben sind. Danach geht es an die Vermarktung. Hier braucht es aber nicht nur Fachkräfte für das Marketing: Da ein Spiel meistens in einer Sprache entsteht, es aber häufig weltweit vermarktet wird, sind Localisation-Manager*innen im Einsatz, um die Produkte landesspezifisch anzupassen. Zu ihren Aufgaben gehört es, das Produkt in die jeweilige Sprache zu übersetzen oder übersetzen zu lassen. Dabei sollten die Inhalte nicht verfälscht werden und verständlich bleiben.

Außerdem passen sie nicht nur die Sprache an, sondern müssen auch landesspezifische Regeln befolgen: Beispielsweise dürfen in manchen Staaten, wie lange Zeit in Deutschland, bestimmte Symbole nicht gezeigt werden. Hier waren Symbole des NS-Regime nicht zugelassen – auch dann nicht, wenn es inhaltlich um den zweiten Weltkrieg ging. Das änderte sich erst 2018. Fachkräfte, die sich für diesen Bereich interessieren, sollten sowohl Sprachgefühl und technisches Verständnis mitbringen als auch verschiedene Fremdsprachen beherrschen. Besonders interessant ist dieser Bereich für Übersetzer*innen sowie Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaftler*innen wie auch Ethnologen, Linguistinnen oder Romanisten.

Zum Weiterlesen:

Aber nicht nur das Produkt an sich braucht Betreuung, denn ohne die Fans und Spieler*innen läuft nichts. Damit diese am Ball bleiben und im Idealfall noch mehr dazukommen, gibt es die Community-Manager*innen. Sie halten den direkten Kontakt zu den Spieler*innen, um ihr Feedback und ihre Wünsche in Erfahrung zu bringen und an das Entwicklerteam weiterzuleiten.

Außerdem gehört es zu ihren Aufgaben, das Unternehmen gegenüber der Community zu vertreten, wenn die Fans beispielsweise mit etwas unzufrieden sind oder Fehler gefunden haben. Dafür brauchen diese Fachkräfte gute Kommunikationsfähigkeiten. „Hier ist auch analytisches Denken wichtig“, so Kruse, „um erkennen zu können, wie eine Zielgruppe oder Community aussieht und welche Bedürfnisse sie hat.“ Gefragt sind hier also Kommunikationstalente wie Medien- und Kommunikationswissenschaftler*innen oder Journalist*innen.

Abseits der Spieleentwicklung

Bereits für die Entstehung von Spielen braucht es viele verschiedene Fachkräfte. Aber auch nach der Produktion ist unterschiedliches Fachwissen im Umgang mit den Games gefragt. Dazu zählen zum Beispiel Kenntnisse aus der Medienpädagogik. Hier gibt es zum einen die Fachkräfte, die Kinder und Jugendliche darin schulen, wie sie mit verschiedenen Medien umgehen und ihnen auch die Gefahren von Spielsucht erklären. Das ist insbesondere wichtig, da sie heutzutage durch Smartphones und Tablets einen leichten Zugang zu einer sehr großen Anzahl an Games haben.

Zum anderen forschen Medienpädagog*innen auch zu den neusten Entwicklungen in der Games-Branche, zeigen Missstände auf und geben Empfehlungen ab. Sie sind jedoch nicht die einzigen Wissenschaftler*innen, die über oder zu PC- und Videospielen forschen. Spiele sind auch Gegenstand der Mediensoziologie, der Kultur- und Musikwissenschaften sowie in der Rechtswissenschaft.

Darüber hinaus beschäftigen sich nun auch viele andere Bereiche mit dem Thema spielend zu lernen. Beispielsweise erhalten Nutzer*innen einer Fitnessapp wie Freeletics Belohnungen für erfolgte Trainingseinheiten und können sich mit erreichten Punktzahlen untereinander vergleichen. Das stärkt nicht nur die Motivation der Teilnehmer*innen, sondern sorgt auch dafür, dass sie am Ball bleiben und die App weiter nutzen. Solche Anwendungen gibt es auch in der Werbung, im Bildungsbereich und im Personalmanagement.

Trend: Serious Game

Die Games-Branche ist vor allem als Unterhaltungsbranche bekannt, aber es gibt bereits eine lange Tradition für „ernsthafte“ Spiele. Mittlerweile werden Serious Games in vielen unterschiedlichen Bereichen genutzt: „Die Spiele werden auf vielfältige Weise eingesetzt, um komplexes Wissen zu vermitteln, die Motivation zu fördern oder Heilungsprozesse zu unterstützen. Medizinstudierende etwa üben mit einer 3D­-Simulation für den späteren Alltag in der Notaufnahme. Schülerinnen und Schüler pauken beim virtuellen Autorennen Englischvokabeln“, erzählt Kruse. Ein interessantes Beispiel für Serious Games ist „Moving Tomorrow – An Intercultural Journey“ von waza! UG. Hier schlüpfen die Spieler*innen in die Rolle von Lucy, die für ihre Arbeit für das Öko-Start-up Runergy die ganze Welt bereist und dabei viel über andere Unternehmenskulturen lernt.

Auch im Wissenschaftsladen Bonn wurde bereits mit „Serena Supergreen“ ein eigenes Serious Game entwickelt. Hier geht es um gendersensible Berufsorientierung im Arbeitsfeld erneuerbare Energien. Mit an Bord war auch Linda Kruse und ihr Team von The Good Evil. Sie sagt, dass gerade das Themenfeld Umweltschutz und Klimawandel Potential für Serious Games bietet: „Fachkräfte aus den Umweltwissenschaften können Simulationen nutzen, um die Folgen des Klimawandels und die Notwendigkeit nachhaltiger Gegenmaßnahmen zu verdeutlichen.“

Interessant ist dieser Trend vor allem, weil er zunehmend auch die Wissenschaft erreicht: In immer mehr Forschungsprojekten werden mithilfe von Serious Games wichtige Daten erhoben oder Fortschritte erzielt. 2011 haben Forscher*innen der University of Washington mit dem Biologie-Spiel „Foldit“ einen großen Erfolg eingefahren:

Ziel der Forscher*innen war es, die dreidimensionale Struktur eines Proteins zu entschlüsseln. Das war ihnen vorher nicht gelungen, da viel Rechenzeit für die Vorhersage der Proteinstruktur benötigt wird. Die Spieler*innen, die keine biologischen Vorkenntnisse brauchten, sollten im Spiel ein Protein mithilfe von Werkzeugen selbst manipulieren. Punkte vergab das System dafür, wie gut das Protein am Ende gefaltet war. Durch die Daten, die so zusammenkamen, schaffte es das Programm, den Aufbau innerhalb weniger Tage zu entschlüsseln.

Und die Zukunft?

Auch Corona hat Auswirkungen auf die Branchen – wenn auch nur kleine: Anders als üblich, tummelten sich in diesem Jahr nicht tausende Spielefans vor den Toren der Messehallen in Köln, um die weltweit größte Messe für PC- und Videospiele zu besuchen. Die Gamescom fand erstmals digital statt – für die Veranstalter*innen trotz allem ein positives Erlebnis, wie sie in einer Pressemitteilung verlauten ließen. Wie es weitergeht in der Branche, ist nahezu unmöglich zu sagen, meint Linda Kruse: „Sie zählt zu den dynamischsten und innovativsten Branchen der Welt. Das macht sie so unglaublich spannend.“

Als Taktgeber der digitalen Welt bezeichnet sie die Menschen, die in der Games-Branche arbeiten, denn sie sind es auch, die mit ihren Entwicklungen und Ideen nicht nur die Games-Branche voranbringen, sondern auch viele Wirtschaftszweige wie den Automobilbau, die Medizin oder die Bildung maßgeblich beeinflussen. Das macht die Expertinnen und Experten aus dem Bereich auch zu gefragten Fachkräften: „Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Games-Branche zählen zu den händeringend gesuchten Digital-Experten; ein beruflicher Einstieg in die Branche kann der Start einer erfolgreichen Karriere sein. Mit Blick in die Zukunft der Games-Branche lässt sich deshalb nur eins sagen: Sie wird uns begeistern. Immer wieder.“

  • Infodienst-Trainee-Stellen Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
  • Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten durch den redaktionellen Teil und die Stellen-Datenbank einen breiten und dennoch konkreten Überblick über derzeitige Entwicklungen in Berufsfeldern und Branchen, können sich anhand der ausgewählten Jobs beruflich orientieren und bleiben so bei der Jobsuche am Ball. Unsere Erfahrung: Viele Abonnent*innen stoßen auf Tätigkeiten, die sie gar nicht auf dem Schirm hatten.

Weitere WILA-Angebote