Angriffe auf Journalist*innen: Bespuckt und geohrfeigt
Journalismus ist für viele Akademiker*innen immer noch ein Traumberuf. Wer sich dafür entscheidet, muss sich auch mit der jetzigen Situation auseinandersetzen.

Angriffe auf Journalist*innen: Bespuckt und geohrfeigt

Übergriffe gegen Medienschaffende haben deutlich zugenommen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen stuft die Situation in Deutschland nur noch als „zufriedenstellend“ ein.

Text: Annika Voßen

Eigentlich wollte der Welt-Reporter in der Live-Schalte im Regierungsviertel nur über den Impfgipfel berichten, als drei Männer ihn und sein Team bedrängten. Die Schalte wurde abgebrochen, die Polizei gerufen.

Die Störer – offenbar Aktivisten der „Querdenker“-Bewegung – erwartet nun ein Ermittlungsverfahren. Dieses Beispiel zeigt: Wer sich als Journalistin oder Journalist dafür entscheidet, vor Ort zu berichten, sollte nicht nur auf seinen Idealismus setzen, die Öffentlichkeit bestmöglich informieren und die Wahrheit ans Licht bringen zu wollen, sondern auf Übergriffe vorbereitet sein und sich zu schützen wissen.

Denn nicht überall werden Journalist*innen gern gesehen und als vierte Gewalt im Staat mit Respekt behandelt. Immer häufiger werden sie – nicht nur vom rechten Rand – mit Misstrauen beäugt, als „Lügenpresse“ beschimpft, bedroht und angegriffen. Wie die Rangliste der Pressefreiheit zeigt, die die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) Mitte April veröffentlichte, hat sich während der Corona-Pandemie die Lage für Medienschaffende weltweit verschlechtert.

Situation in Deutschland

Auch in demokratischen Staaten wie Deutschland konnten Journalist*innen, Kameraleute und Fotograf*innen im vergangenen Jahr ihre Arbeit nicht uneingeschränkt ausüben. Die Situation sei in Deutschland nicht mehr „gut“, sondern nur noch „zufriedenstellend“, so RSF. Im Vergleich von 180 Ländern rangiert Deutschland zwar immer noch auf Platz 13, wurde aber um zwei Plätze herabgestuft und verlor auch punktemäßig.

Grundlagen für die schlechtere Bewertung waren zum einen die Analyse der derzeitigen Gesetze und juristischen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Pressefreiheit, aber vor allem die Zunahme gewalttätiger Übergriffe. In der Presseerklärung der Organisation heißt es, dass die „Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland im Jahr 2020 eine noch nie dagewesene Dimension erreicht“, habe. Gezählt wurden 65 Übergriffe, die Zahl habe sich somit verfünffacht. Hinzu kommen nicht gemeldete Fälle und auch verbale Drohungen.

Vor allem bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen eskalierte die pressefeindliche Stimmung schon häufig und mündete mehrmals in Gewalt. „Zum Teil haben Neonazis und Hooligans die Demons­trationen genutzt, um unter dem Deckmantel einer bürgerlichen Protestbewegung gezielt und mit großer Brutalität Medienschaffende anzugreifen.

Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden geschubst, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Demonstrierende haben vor allem immer wieder auf die Kameras der Medienschaffenden geschlagen“, heißt es in der RSF-Pressemitteilung.

Mehr Polizeischutz 

Das Thema Pressefreiheit scheint durch das weltweite RSF-Ranking deutlich mehr Aufmerksamkeit zu erfahren. Dass die Zahl der Angriffe auf Medienschaffende enorm gestiegen ist, konnte man schon einige Wochen vorher, im Januar 2021, in der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen nachlesen:

beim Kriminalpolizeilichen Meldedienst der politisch motivierten Kriminalität wurden im Jahr 2020 insgesamt 252 Delikte der Kategorie „Gewaltdelikte“ gegen Medien aufgeführt, die physische und/oder psychische Gewalt umfassen. Handlungsbedarf in Bezug auf die Arbeit der Polizei sah der Bund hier nicht: „Für den konkreten Schutz der Journalistinnen und Journalisten in der jeweiligen Situation vor Ort sind grundsätzlich die Polizeien der Länder zuständig.“

Wie die Tagesschau berichtete, will die Bundesregierung nun aber den Schutz von Medienvertreter*innen erhöhen. Die Einsatzkonzepte der Polizei für entsprechende Demonstrationen würden das Risiko von Angriffen auf Journalist*innen „künftig noch stärker berücksichtigen“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums nach der Veröffentlichung des Rankings.

Schon jetzt sei der Schutz von Medienschaffenden Teil der Einsatzkonzepte – etwa dadurch, dass die Polizei bei Demonstrationen Bereiche einrichte, wo Journalist*innen besonders vor Übergriffen geschützt seien. Gerade die Polizei war in den vergangenen Monaten in die Kritik geraten, weil sie beispielsweise im November bei einer Querdenker-Demo in Leipzig die Journalist*innen vor Ort nicht ausreichend geschützt oder sogar selbst an der freien Berichterstattung gehindert hatte.

Mehr Unterstützung durch den Arbeitgeber

Auch Medienhäuser stehen nun unter Druck, ihre Mitarbeitenden besser zu unterstützen. RSF, Verdi, DJV, Neue deutsche Medienmacher und weitere Organisationen haben die Initiative ergriffen und einen „Kodex für Medienhäuser“ entwickelt. Hierin wird als Maßnahme etwa die Ernennung einer zen­tralen Ansprechperson im Unternehmen für Bedrohungen und Angriffe – dazu gehören auch Hassmails – genannt, die gegenüber Festangestellten und Freien die Funktion einer Clearingstelle übernimmt.

Diese informiert die betroffenen Kolleg*innen zum Beispiel über mögliche externe psychologische oder juristische Unterstützung oder die Kostenübernahme von Personenschutz bei Dreharbeiten. Erste große Medienhäuser wie Spiegel, Zeit, Frankfurter Rundschau und die Nachrichtenagentur Dpa haben sich schon auf den Medienkodex verpflichtet.

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