Wohnen neu denken und gestalten
Bedarf ermitteln: Im erste Schritt nehmen die sozialpädagogischen Fachkräfte für ambulante Wohnberatung bei ein Hausbesuch die Gegebenheiten erst einmal unter die Lupe.

Wohnen neu denken und gestalten

Krankheit oder Alter können die Bedürfnisse von Menschen stark verändern. Sozialfachkräfte und Politolog*innen sind in der ambulanten Wohnberatung im Einsatz für ein Leben zuhause.

Text: Michael Fehrenschild

Immer mehr Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause, in der vertrauten Umgebung bleiben – auch wenn Alter, Pflegebedürftigkeit, Demenz, Behinderung oder ein Unfall das Leben in den eigenen vier Wänden erschweren. Um private Wohnungen an veränderte Lebensbedingungen anzupassen, wurden Ende der 1980er Jahre die ersten Wohnberatungsstellen Deutschlands gegründet. Inzwischen gibt es allein in Nordrhein-Westfallen 130 solcher Anlaufpunkte. Hier arbeiten Sozialpädagogen, Sozialarbeiterinnen, Gerontologen, Pflegekräfte, Architekten sowie Schreinerinnen und Installateure Hand in Hand.

Um zunächst die individuellen Bedarfe überhaupt ermitteln zu können, nehmen die sozialpädagogischen Fachkräfte für ambulante Wohnberatung bei einem Hausbesuch die jeweiligen Gegebenheiten erst einmal unter die Lupe. In der Regel geht es um kleinere oder größere Umbaumaßnahmen, zum Beispiel, ob das Bad barrierearm oder -frei gestaltet werden kann, aber auch um technische Hilfen wie bessere Beleuchtung oder spezielle Assistenz-Systeme, unter anderem zur Herdsicherung. Häufig sorgt schon ein geschulter Blick für wichtige Verbesserungen, wie die Beseitigung von Stolperfallen. 

Vom Bedarf bis zur Umsetzung

Neben der Bestandsaufnahme helfen die Berater*innen bei Finanzierungsfragen, inklusive der Beantragung von Zuschüssen, sowie der Suche nach geeigneten Diensten und holen gegebenenfalls auch Einverständnisse von Vermieter*innen ein. Und das ist noch nicht alles. Das Angebot in Nordrhein-Westfalen – dem Bundesland mit den meisten Wohnberatungsstellen – erstreckt sich sogar bis zur Suche nach Handwerker*innen. Auch Kostenvoranschläge holen die Berater*innen ein und prüfen diese.

Nach Abschluss der Arbeiten wird eine Nachschau durchgeführt. Darüber hinaus ist die Unterstützung oft ganzheitlich. Wohnberater*innen sind manchmal sehr nah am Menschen, da sich die Ratsuchenden oft in einer schwierigen Lebenssituation befinden. Das kann die Beratung zur gesamten persönlichen Situation beinhalten, wobei viele Kompetenzen der sozialpädagogischen Ausbildung zum Einsatz kommen. Auch die Prävention, zum Beispiel, um Unfallgefahren zu erkennen, gehört zu den Leistungen.

Häufig ist in dem Beruf Netzwerkarbeit gefragt. Denn die Wohnberatung arbeitet eng mit anderen Akteuren und Dienstleistern zusammen, wie Behörden, Institutionen der freien Wohlfahrtspflege, Sozialstationen und Pflegediensten, Haus- und Fachärzt*innen, Kirchen oder Initiativen. Zudem gehört oft die Fachberatung zu den Aufgaben, unter anderem für Träger im Gesundheits-, ­Senioren-, und Behindertenbereich, aber auch für Wohnungsunternehmen. Hinzu kommt fast immer ein bisschen Öffentlichkeitsarbeit. Manchmal ist die Wohnberatung auch noch vor Ort aufzubauen. Nicht selten kann man ganz konkret an der Weiterentwicklung kommunaler Versorgungsstrukturen mitarbeiten.

Für diesen wachsenden Markt werden immer mehr kompetente Fachkräfte benötigt – in Teil- oder Vollzeit. Voraussetzung ist in der Regel ein abgeschlossenes Bachelor-Studium der Sozialen Arbeit (Dipl.-Sozialarbeiter/-pädagoge) oder einer ähnlichen Fachrichtung. Wer schon Wissen über Hilfsmittel und kommunale Strukturen mitbringt, hat die Nase vorn. Die geforderten Kompetenzen sind – wie in wohl den meisten sozialpädagogischen Berufen – Engagement, Teamfähigkeit und eigenverantwortliche Arbeitsweise.

Arbeitgeber des in der Regel kostenlosen Angebots sind die kommunalen Träger der Landkreise, Städte oder Gemeinden sowie freie gemeinnützige Einrichtungen und Wohnungsunternehmen. Das ist in Deutschland sehr unterschiedlich ausgestaltet und verteilt. Selbst Krankenhäuser suchen Sozialarbeiter*innen für die Wohnberatung. Denn auch ein Klinik­aufenthalt kann Änderungen in der Wohnsituation nach sich ziehen – beispielsweise durch kurz- oder längerfristige Immobilität. 

Darüber hinaus gibt es reine Wohnberatung für Menschen mit Behinderung. Dies bieten zum Beispiel die Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg an, eines der größten diakonischen Unternehmen Deutschlands. Damit will man den Betroffenen ermöglichen „selbstbestimmt eigene Wohnideen zu entwickeln und zu verwirklichen“ – und zwar unabhängig von Art und Schwere ihrer Beeinträchtigung. Hier steht die Beratung am Telefon und in Einrichtungen im Vordergrund, im Einzelfall auch mit Hausbesuchen. Das Angebot richtet sich auch explizit an junge Menschen. Denn Betroffene und Angehörige bekommen dort Unterstützung, um den Übergang von der Schule in den Beruf sowie den Auszug aus dem Elternhaus gut zu gestalten. 

Betreutes Wohnen

Und wenn das Alleine-Wohnen doch nicht oder nicht mehr geht, informieren die Wohnberater*innen auch über Alternativen wie betreute Wohnformen – und vermitteln gegebenenfalls dorthin. Hier gibt es sogar Zwischenstufen. Sozialpädagogische Betreuung in Form von Gesprächen im eigenen Wohnraum bietet beispielsweise stadt.mission.mensch in Kiel suchtkranken Menschen an. Neben diesem sogenannten „ambulant betreuten Einzelwohnen“ sind betreute Wohngemeinschaften für Sozialpädagog*innen ein klassisches Einsatzgebiet. Solche Wohngruppen gibt es in Deutschland seit den 1970er-Jahren. 

Der Trend zu alternativen Wohnformen begann damals als Reformbewegung und Gegen­entwurf zur Unterbringung in Heimen. Zu Beginn noch selten, gibt es heute viele solcher WGs für Kinder, Jugendliche, Menschen mit körperlicher oder psychischer Behinderung inklusive Suchterkrankung. Zunehmend kommen auch immer mehr Alten-Wohngemeinschaften hinzu, bis hin zu Demenz-WGs. Wer hier nach Jobs sucht, wird schnell fündig. Und die Nachfrage wird steigen – durch den demografischen Wandel insbesondere in der Betreuung von Senior*innen. Ein neueres Vorzeigeprojekt zum Thema „anders wohnen im Alter“ ist das 2018 eröffnete Nonnenbacher-Haus in Tübingen. Hier wohnen zehn Menschen 60plus unter einem Dach. Sie werden unter anderem von einer sozial­pädagogischen Fachkraft betreut.   

Auch andere Formen des Zusammenwohnens entwickelten sich in den letzten Jahren weiter. Die erste integrative Wohngemeinschaft wurde schon 1989 von Gemeinsam Leben Lernen e.V.  in München aus der Taufe gehoben. Beispielsweise wohnen oft Studierende mit Menschen mit leichter Behinderung in solchen WGs zusammen. Letztere achten auf ihre Nachbarn, haben aber auch Vorteile davon, etwa in Form eines Minijobs oder einer geringeren Miete. 

Im Regelfall sind in solche Projekte aber auch Fachkräfte eingebunden, die schauen, dass alles richtig läuft. Daher sind Heil- oder Sozialpädagog*innen auch schon mal die „WG-Leitung“. Alle haben bei dieser Lebensform ihren eigenen privaten Wohnraum, und doch ist niemand völlig allein. Das Ziel: Menschen mit Handicap sollen am ganz normalen Leben teilnehmen. Auf Wohnsinn.org gibt es sogar eine Wohnbörse für Interessierte.

Neue Strukturen schaffen

Das Thema Wohnen ist aber auch für Politolog*innen interessant, berührt es doch so viele Zukunftsaspekte der Gesellschaft. So kann man als Politikwissenschaftler*in in Richtung Städteplanung gehen und sich an den „heißen Eisen“ Mietenpolitik oder Stadt und Klimawandel beteiligen. 

Ein Blick auf aktuelle Stellenanzeigen zeigt, wie breit das Feld ist. So können sich Politikwissenschaftler*innen als Mitarbeiter*innen in Senioren- und Pflegestützpunkten bewerben. Dort kümmern sie sich dann um die Koordinierung aller für die wohnortnahe Versorgung älterer Menschen geeigneten Unterstützungsleistungen, erstellen eine „Angebotslandkarte“, beraten den Kreisseniorenrat und führen Pflegekonferenzen durch. Hier kann man dann ebenfalls Konzepte mitentwickeln für die Aus- und Fortbildung von Alltagsbegleiter*innen für Demenzkranke. 

Solche Jobs erfordern neben Organisations­stärke und Eigenverantwortlichkeit viel Kommunikation, Kontaktfreudigkeit und Kreativität. Dafür kann man aber auch wirklich mithelfen, neue Strukturen zu etablieren. Auch werden mitunter Referatsleiter*innen gesucht, die sich beispielsweise um das Thema Wohnen von Geflüchteten kümmern sowie um wohnungslose Menschen. Dazu braucht es einen Masterabschluss in Sozial- oder Politikwissenschaften, aber auch Erfahrung in der Verwaltung. 

Überhaupt sind etliche der interessanten Jobs – insbesondere die höheren Stellen – im öffentlichen Dienst angesiedelt. Oder man arbeitet an der Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, zum Beispiel als Referent*in für Wohn- und Mietenpolitik bei einem Interessenverband. Dann geht es um die politische Analyse der deutschen und europäischen Gesetze, um das Verfassen von Positionspapieren oder das Monitoring aktueller Entwicklungen. Außerdem kommuniziert man dann mit politischen Entscheidungsträger*innen.

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