
Die Klimakrise geht alle Ressorts an
Das Thema endlich ernst nehmen: Dazu ruft die Berliner Klimajournalistin Sara Schurmann auf. Sie fordert Fortbildungen zu den Klima-Forschungsergebnissen in allen Redaktionen.
Interview: Anja Schreiber

WILA Arbeitsmarkt: Sie haben im September 2020 Ihre Kolleg*innen in einem offenen Brief aufgefordert, die Klimakrise ernst zu nehmen. Wie kam es dazu?
Sara Schurmann: Ehrlich gesagt war mir selbst lange nicht bewusst, wie ernst die Klimakrise ist. Zwar habe ich mich schon die Jahre zuvor viel mit dem Thema beschäftigt und kannte die grundlegenden Zahlen und Fakten. Dennoch dachte ich, dass frühestens meine Enkelkinder stark von der Klimakrise betroffen sein werden. Erst im Sommer 2020 wurde mir bewusst, dass wir nicht bis 2050 Zeit haben, um die Krise zu lösen ... und zwar nach den Verhandlungen zum EU-Corona-Finanzpaket.
In allen großen Medien gab es Artikel darüber, wie historisch einmalig die Einigung sei, dass die EU gemeinsam Schulden aufnehme. Am Ende der Berichte gab es dann meist nur einen Absatz dazu, dass die Gelder für das Klima zusammengestrichen wurden. Das passte vorn und hinten nicht mit den Klimazielen zusammen, die Emissionen in den kommenden Jahren massiv zu reduzieren. Das war der Moment, als mir bewusst wurde, dass die Klimakrise viel akuter ist, als wir sie journalistisch oft darstellen.
„Journalistisch ist die Klimakrise aktuell ein Thema neben vielen anderen – nicht eine akute, alles umfassende Menschheitskrise.“
Sollten Journalist*innen über die Klimakrise künftig anders berichten?
Ja. Es scheint mir im Journalismus ein strukturelles Problem zu geben: Zwar vermelden Journalist*innen immer neue Temperaturrekorde und berichten über starke Hurrikane, Überflutungen, aussterbende Tiere oder über Dürre in Deutschland, aber viele scheinen nicht mehr das Gesamtbild zu sehen, das diese Meldungen ergeben. Sie machen sich – und anderen – gar nicht klar, was all diese Entwicklungen zusammengenommen für die Welt bedeuten, in der wir leben. Doch genau das wäre unser Job! Journalistisch ist die Klimakrise aktuell ein Thema neben vielen anderen – nicht eine akute, alles umfassende Menschheitskrise. Und genau das muss sich ändern.
„Was oft auch fehlt, ist ein Bewusstsein darüber, was die Klimakrise konkret mit unserem Leben zu tun hat. Sie ist weit mehr als ein Fall für Fachjournalist*innen.“
Aber es gibt doch auch gute Berichterstattungen über den Klimawandel.
Es gibt viele exzellente Berichte über die Klimakrise. Manche Kolleg*innen warnen teilweise schon seit Jahrzehnten vor den Gefahren. Alle, die es wissen wollen, können also erfahren, wie dramatisch die Lage ist. Aber wer das nicht möchte, kann es immer noch verdrängen und den Berichten, anders als bei Corona, ausweichen. Was oft auch fehlt, ist ein Bewusstsein darüber, was die Klimakrise konkret mit unserem Leben zu tun hat. Sie ist weit mehr als ein Fall für Fachjournalist*innen. Sie betrifft alle Bereiche unseres Lebens und damit auch den Journalismus.
„Niemand sollte mehr politische oder wirtschaftliche Entscheidungen kommentieren, ohne ihre Auswirkungen auf das Klima mitzudenken.“
Warum gibt es dieses Bewusstsein Ihrer Meinung nach noch nicht in den Redaktionen?
Der Klimawandel war lange Zeit ein Thema für Fachjournalist*innen, meist aus den Wissenschaftsredaktionen. Und es ist auch gar nicht so einfach, sich neben den eigenen Themen in diese komplexen Fakten und Zusammenhänge einzuarbeiten. Das hängt natürlich auch mit der Arbeitsverdichtung in den Redaktionen zusammen. Doch heute sollten alle Journalist*innen – insbesondere Politik- und Wirtschaftsredakteur*innen – wissen, welche extremen Folgen die IPCC-Berichte für 1,5 und 2 Grad Erderwärmung voraussagen.
Niemand sollte mehr politische oder wirtschaftliche Entscheidungen kommentieren, ohne ihre Auswirkungen auf das Klima mitzudenken. Sie müssen den Diskurs verstehen und die Situation einschätzen können. Die Klimakrise betrifft genauso die Reise- und Tech-Branche wie den Kultur- und Sportbetrieb. Sie hat auch Auswirkungen auf Mode und Essen. Damit wird das Thema ein Querschnittsthema für alle Ressorts, so wie es auch die Corona-Pandemie ist. Es gehört also auch in Ressorts wie etwa Gesundheit, Immobilien, Kultur und Sport.
„Einfach mal das Wort Klima googeln hilft wenig, weil man auf eine ungeheure Masse an Informationen trifft.“
Bei der Corona-Pandemie mussten sich Journalist*innen in das Thema einarbeiten, über alle Ressortgrenzen hinweg. Sollte das jetzt auch beim Megathema Klimakrise geschehen?
Ganz genau! Die Corona-Krise könnte da ein Vorbild sein, weil es in dieser Zeit für alle eine Lern-Situation gab. Allerdings musste jede und jeder für sich alleine lernen, einerseits aufgrund der Pandemie, andererseits, weil durch Forschung immer mehr Wissen hinzukam. Zur Klimakrise sollten Kolleg*innen bei ihrer Chefredaktion Klima-Fortbildungen einfordern. Denn bei der Klimakrise geht es jetzt darum, sich über Jahrzehnte angesammelte Forschungsergebnisse mit sehr komplexen Fakten anzueignen.
Einfach mal das Wort Klima googeln hilft wenig, weil man auf eine ungeheure Masse an Informationen trifft. Aber es gibt auch Hilfe. Die Kolleg*innen vom Netzwerk Weitblick organisieren zum Beispiel solche Workshops. Und das Projekt Grüner-Journalismus.de von der Uni Darmstadt hat zum Beispiel eine kommentierte Linkliste erstellt.
Gut informierte Journalist*innen sind das eine, eine gut informierte und sensibilisierte Öffentlichkeit ist das andere. Wie kann man das Interesse von Leser*innen, Zuhörer*innen und Zuschauer*innen für das Thema wecken?
Natürlich müssen die Inhalte gut und verständlich zusammengefasst werden. Aber Beiträge über die Klimakrise sind oft nicht die größten Klickhits. Meiner Meinung nach können wir das ändern, indem wir erklären, welchen Einfluss die Klimakrise auf das konkrete Leben der Menschen hat. Thema kann zum Beispiel die Trockenheit in Brandenburg und der sinkende Wasserstand seiner Seen sein. In Presseberichten könnte es dann um Auswirkungen auf die Fischerei vor Ort gehen. Deshalb sind ganz besonders Lokaljournalist*innen gefragt. Aber das Thema zieht sich durch alle Ressorts.
Sicher erreicht man viele Leute, wenn man über Inhalte wie „Garten und Klima“, „Gesundheit und Klima“ oder „Eigenheim und Klima“ berichtet. Gerade die Frage, wie Menschen ihre Häuser bei Naturkatastrophen versichern können, ist nach der Hochwasserkatastrophe relevant.
Wie können Journalist*innen ihrem Publikum erklären, was die Klimakrise konkret mit ihrem Leben zu tun hat, ohne sie vor Angst zu lähmen? Welche Herangehensweisen empfehlen Sie den Medien?
Wichtig bei der Berichterstattung ist es, nicht nur Probleme zu beschreiben, sondern auch Lösungen aufzuzeigen. Ich würde das fast als eine Art Service-Journalismus betrachten. Außerdem gibt es beim Klimaschutz auch ermutigende Nachrichten und interessante Entwicklungen. Auch darüber sollten Journalist*innen berichten. Sie können zum Beispiel den Bewusstseinswandel bei Organisationen wie Gewerkschaften oder in der Wirtschaft sichtbar machen. Insbesondere Lokaljournalist*innen könnten im Diskurs eine vermittelnde Rolle einnehmen und so helfen, Ängste der Bevölkerung zu verstehen und zu überwinden.
„Viele europäische Großstädte haben die Corona-Pandemie genutzt, um das Auto zurückzudrängen und mehr Platz für Menschen zu schaffen.“
Können Sie das anhand eines Beispiels erläutern?
Sie könnten beschreiben, wie Veränderung anderswo in Europa aussieht, zum Beispiel beim Thema autofreie Innenstadt. Viele europäische Großstädte haben die Corona-Pandemie genutzt, um das Auto zurückzudrängen und mehr Platz für Menschen zu schaffen. Das sorgt auch für verbesserte Luftqualität und weniger Lärm, erhöht die Verkehrssicherheit und Lebensqualität und schafft Raum für Gemeinschaft. So ein Vorbild kann Ängste vor Veränderungen in der eigenen Stadt nehmen.
„Die Formulierung „kommende Generationen“, die immer wieder im Zusammenhang mit der Klimakrise auftauchen, finde ich problematisch, weil sie suggerieren, dass die Klimakrise weit weg ist. Das ist sie aber nicht.“
Welche Rolle spielt in der Berichterstattung die Wortwahl? Müssen Journalist*innen auch dabei etwas ändern?
Ja, ich finde schon. Das zeigt sich bei den Begriffen Klimawandel, Klimakrise und Klimakatastrophe. Sie werden oft synonym gebraucht, beschreiben aber jeweils etwas anderes und sind nicht austauschbar. Der Klimawandel ist die langsame Veränderung des Klimas, die es schon immer gab, die wir derzeit aber stark beschleunigt als menschengemachten Klimawandel erleben.
Die aktuelle Situation würde ich als Klimakrise oder Klimanotfall beschreiben, wir sind in einer sehr akuten Situation, in der wir nur ein kleines Zeitfenster haben, um noch wirklich effektiv gegenzusteuern. Die Klimakatastrophe ist das, was wir erleben werden, wenn wir die Klimakrise nicht abbremsen. Auch die Formulierung „kommende Generationen“, die immer wieder im Zusammenhang mit der Klimakrise auftauchen, finde ich problematisch, weil sie suggerieren, dass die Klimakrise weit weg ist. Das ist sie aber nicht. Auch Menschen, die unter 70 Jahre alt sind, werden noch massive Auswirkungen und Veränderungen miterleben.
Es gibt eine hohe Dringlichkeit, die aber durch Sprache verdeckt wird. Auch der Konjunktiv, den wir als Journalist*innen immer wieder verwenden, um Expert*innen indirekt zu zitieren, führt zu Verständnisschwierigkeiten. Denn dadurch wirken die Aussagen über den Klimawandel vage. Forscher*innen sprechen von Wahrscheinlichkeiten und Spielräumen, um sich wissenschaftlich abzusichern. Das wirkt dann oft hypothetisch. Und genau das führt zu Fehlinterpretationen. Wir müssen also klar kommunizieren, um nicht missverstanden zu werden.
Wie kann jemand, der in einer Führungsposition einer Redaktion ist, das Thema Klimakrise stärker in den Vordergrund rücken?
Wie schon gesagt: Er oder sie kann Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten. Außerdem schlage ich vor, in den Redaktionen die Hierarchie zu verändern. Zum Beispiel könnten Medien übergangsweise Klima-CvDs – „Klima-Chef*innen vom Dienst“ – einführen. Diese mit fundiertem Klimawissen ausgestatteten CvDs wären dann in allen Konferenzen dabei. Sie würden die anderen Kolleg*innen auf Schnittstellen zwischen Klimakrise und anderen Themen hinweisen und Recherchehinweise geben. Außerdem könnten sie kritisch auf die Texte schauen. Positionen wie Klima-CvDs würden sicher helfen, Klimawissen schnell in Redaktionen zu verankern.
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