Der Wandel wird bleiben
Die Digitalisierung schreitet weiter voran und verändert die verschiedensten Berufe und Aufgabenfelder: Umso wichtiger wird es darauf zu achten, den Mensch an sich und seine Arbeit wertzuschätzen.

Der Wandel wird bleiben

Themen wie die Digitalisierung fordern die Human-Resources-Abteilungen in Unternehmen heraus. Der Vizepräsident des Bundesverbandes der Personalmanager*innen, erläutert, warum der Mensch deshalb wichtiger werden muss.

Interview: Katrin Poese

Dr. Thymian Bussemer setzt als Leiter von HR Strategie und Innovation bei Volkswagen künfitg auf Selbstlernangebote. Foto: BPM

WILA Arbeitsmarkt: Aktuelle Arbeitsmarktzahlen zeigen, dass die Nachfrage nach Personaler*innen gerade sehr hoch ist. Woran liegt das?
Dr. Thymian Bussemer: Ich denke, das hat erstens etwas mit dem demografischen Umbruch zu tun: Die Baby-Boomer verlassen uns, da werden aktuell in den Betrieben recht große Kohorten im Personal ausgetauscht. Zweitens glaube ich, dass es eine Umschichtung von Qualifikationsprofilen gibt – das zeigen auch empirische Daten. Ich selbst mag den Begriff der Workforce Transformation: Wir brauchen verstärkt andere Qualifikationen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Das führt zu einem Umbruch in den Belegschaften.

Am oberen Ende der Altersverteilung wird Personal abgegeben – Altersteilzeit ist ein Instrument, mit dem man das ein wenig modellieren kann –, um am unteren Ende neue Kräfte mit anderen Qualifikationen zuzuführen. Und drittens glaube ich, dass unsere Ökonomie immer wissensintensiver wird. Damit spielt der Faktor Mensch eine größere Rolle – was bedeutet, dass Personalauswahl, -qualifizierung und -entwicklung wichtiger werden. Das alles zusammen führt zu einer Konjunktur des Arbeitsbereichs Human Resources.

Als Außenstehende bemerkt man, dass kaum mehr von Personaler*innen die Rede ist, sondern von Recruitern, Expertinnen für Employer Branding oder Personalentwicklern. Kann man sagen, dass der Bereich Human Resources sich in den Aufgaben immer weiter ausdifferenziert?
Dafür gibt es einen organisationalen Hintergrund: Die bisherige Personalabteilung wird durch das Drei- oder Mehr-Säulen-Modell ersetzt – das geht auf Dave Ulrich als den wichtigsten HR-Theoretiker zurück. Er hat mit Begriffen wie zum Beispiel dem strategischen Business-Partner oder dem administrativen Experten, letztendlich dem Recruiter, Rollen geschaffen, die in Unternehmen organisational abgebildet werden und die dann eigene Domänen darstellen. Ansonsten differenziert sich die Wirtschaft, wie gerade eben schon erklärt, aus, sie wird komplexer – das gilt dann natürlich auch für die HR-Funktionen. Die Beobachtung ist richtig: Die eierlegende Wollmilchsau, den Personaler, der alles kann, den gibt es zumindest in großen Unternehmen immer weniger.

Die Coronapandemie hat viele Trends in der Wirtschaft verstärkt. Trifft das auch auf den Bereich Human Resources zu?
Die Pandemie hat HR ins Zentrum des Unternehmensgeschehens gerückt. Während der Finanzkrise 2009 haben die Finanzabteilungen sehr an Bedeutung gewonnen, weil es um die Liquiditätssicherung der Unternehmen ging. In der Pandemie haben meiner Beobachtung nach überwiegend die Personalfunktionen mit dem angegliederten Gesundheitsschutz mit entsprechenden Sicherungsmaßnahmen dafür gesorgt, dass überhaupt weitergearbeitet werden konnte. Die Verletzbarkeit des Menschen ist stark ins Bewusstsein gerückt.

In meiner Branche, der Automobilindustrie, kamen der Halbleitermangel und jetzt der Batteriemangel dazu. Aber der wesentliche Engpassfaktor war die Verfügbarkeit menschlicher Arbeit. Außerdem hat es einen großen Innovationsschub gegeben, weil die durch die Pandemie erzwungene Situation der Digitalisierung zum Durchbruch verholfen hat. Wir haben mit ganz neuen Arbeitskonzepten experimentiert, haben zum Teil über Nacht umgestellt auf gänzlich neue Formen der Arbeitsorganisation – daran sind die Personaler maßgeblich beteiligt gewesen.

Da spielt auch die Kurzarbeit mit hinein, die das dominante Instrument für die Krisenbewältigung in der deutschen Volkswirtschaft war. Es waren ja die Personalabteilungen, die sich mit den lokalen Bundesagenturen für Arbeit um die Kurzarbeitspläne gekümmert haben. Das war eine große Bewährungsprobe, und meiner Beobachtung nach haben die HRler sie gut bestanden.


 
„Die Pflege der Humanressourcen ist damit nicht nur sozialmoralisch, sondern auch wirtschaftlich geboten.“
 

 

Die Digitalisierung mit all ihren Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation haben Sie gerade schon erwähnt. Der Bundesverband der Personalmanager*innen macht sich in diesem Zusammenhang für eine „menschenorientierte Organisation“ stark. Was ist damit gemeint?
Das hat aus meiner Sicht zwei Dimensionen. Die eine ist, dass der Wert menschlicher Arbeit immer zentraler wird. Wenn ich mir historische Produktivitäts-Statistiken anschaue, dann hat sich der Wertschöpfungsbeitrag menschlicher Arbeit pro Stunde im verarbeitenden Gewerbe in den vergangenen 50 Jahren verdreifacht. Die Pflege der Humanressourcen ist damit nicht nur sozialmoralisch, sondern auch wirtschaftlich geboten. Die zweite Dimension ist: In dem aktuellen Digitalisierungs- und Automatisierungsschub gibt es zwei Möglichkeiten, Arbeitswelten auszulegen. Entweder automatisiert man so weitreichend wie möglich.

Der Mensch ist dann nur noch zur Überwachung da, versteht aber die Prozesse in der physischen Maschine oder im Algorithmus gar nicht mehr. Da tritt dann schnell das sogenannte Paradoxon der Automatisierung ein, dass nämlich alles automatisch läuft bis zu dem Punkt, an dem es ein Problem gibt: Wie kann der Mensch es lösen, wenn er die Vorgänge nicht mehr versteht? Die Alternative dazu ist, Automatisierung und Digitalisierung so zu gestalten, dass langweilige, repetitive, anstrengende Tätigkeiten nach Möglichkeit automatisiert werden, der Mensch aber Herr des Produktionsprozesses bleibt.

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ein einfaches Beispiel ist die Reisekostenabrechnung: Ich kann das so auslegen, dass die Reisekostenabrechnung vollautomatisch gemacht wird und der Mensch wirklich gar keine Rolle mehr spielt. Oder ich gestalte die Systeme so, dass Dinge, die man früher tun musste – wie Belege abheften, aufkleben, einscannen, archivieren – automatisiert sind, aber der Mensch als Entscheider ein vom Algorithmus vorbereitetes Produkt bekommt, sich das anschaut, es für plausibel befindet und dann freigibt. Das sind zwei fundamental unterschiedliche Herangehensweisen.

Sie haben gerade gesagt, man müsse jetzt gut mit der Ressource Mensch umgehen – der Bezug zum nachhaltigen Wirtschaften liegt nahe. Inwiefern spielt das im Bereich HR eine Rolle?
Ich denke, aus den Zeiten des alten Industriezeitalters, in dem man den Arbeiter aussortiert hat, sobald sein Rücken krumm wurde, haben wir uns herausbewegt. Der friedliche Umgang mit den Humanressourcen – ich empfinde den Begriff übrigens nicht als menschenfeindlich – ist ja in vielen Bereichen in unserem Land schon gegeben. Theoretische Konstrukte rund um Human Capital Management überführen dann auch nachhaltige Aspekte dieses Umgangs mit Humanressourcen in Management-Systeme.

Sie machen das beschreibbar und bezifferbar und helfen Unternehmen, ihre Prozesse entsprechend zu steuern. Ansonsten gibt es in diesem Bereich viele Einzelthemen: Zum Beispiel werden die Folgen von Long-Covid beim Personal uns noch beschäftigen. Ich glaube außerdem, dass das ganze Thema Resilienz und psychische Stabilität oder auch Vermeidung psychischer Erkrankungen in diesen sehr dynamischen Transformationszeiten zunehmend wichtig wird.

Psychische Gesundheit war ja gerade während der Homeoffice-Zeit ein großes Thema. Wie kann der Bereich Human Resources darauf positiv einwirken?
Das hat viel mit Führungskultur zu tun. Aktuell interessiere ich mich sehr für das Thema, wie Führung in der Pandemie herausgefordert worden ist. In dieser Zeit sind große Teile des Führungsinstrumentariums weggefallen – außer dem Laptop-Bildschirm, in den wir hineingesprochen haben. Dem stand eine deutlich gestiegene Erwartung der Mitarbeitenden an Orientierung, Fürsorge und Coaching entgegen. Ich denke, dass die richtige Führungskultur, die natürlich von den Führungskräften ausgeführt, aber von HR vorgezeichnet wird, in diesem Zusammenhang ein ganz zentrales Thema ist.

Heißt das, man muss Führungskräfte jetzt gezielt dafür schulen?
Das hat für mich mit der Pandemie nicht so viel zu tun. Aber wir sind natürlich inmitten einer Großen Transformation. Reskilling und Up­skilling sind also ganz zentrale Aufgaben der kommenden Dekade.


 
„Im Zuge der Learning Revolution müssen wir Mitarbeiter stattdessen massiv dazu befähigen, selbstgesteuert und intrinsisch motiviert zu lernen.“
 

 

Der Bundesverband der Personalmanager*innen fordert für dieses Umschulen und Weiterbilden sogar eine Revolution in der betrieblichen Bildung. Wie müsste die aussehen?
Ich zeichne den Ist-Zustand mal ein bisschen überspitzt: Mitarbeiter oder Führungskraft erkennen einen Qualifikationsbedarf, Mitarbeiter wird zu Seminar angemeldet, es bedarf Freigaben, das dreitägige Seminar findet ein halbes Jahr später in einem angemieteten Seminarhaus auf dem Lande statt, Mitarbeiter kehrt zurück, der Transfer des Gelernten in den Alltag funktioniert nicht, und die Dinge haben sich zwischenzeitlich sowieso schon wieder dreimal geändert.

Im Zuge der Learning Revolution müssen wir Mitarbeiter stattdessen massiv dazu befähigen, selbstgesteuert und intrinsisch motiviert zu lernen. Das versuchen wir bei uns im Unternehmen gerade: Wir bauen eine Lern-Infrastruktur auf, in der eigenproduzierte Inhalte und Inhalte aus öffentlich und rechtssicher zugänglichen Quellen wie TEDex, Udacity oder Open Online Courses zu finden sind. Diese Selbstlernangebote sollen so gut kuratiert und gebaut sein, dass die Leute ein eigenes Interesse daran haben, sich damit auseinanderzusetzen.

Wenn ich heute an meiner Jalousie einen Rolladengurt wechseln muss, dann suche ich ja auch nicht mehr, ob ich noch irgendwo die Bedienungsanleitung finde, sondern ich schaue mir auf Youtube ein How-to-Video an. Genau das wollen wir offiziell in unsere Bildungsökosysteme übernehmen. Wenn die Leute eine Frage haben, die sie umtreibt, dann sollen sie sich das Wissen bei niedrigstmöglichen Zugangsbarrieren selbst erschließen können.

Auch das Thema Führung haben Sie vorhin schon angesprochen. Was ist alles wichtig für ein Good Leadership der Zukunft?
Das hängt entscheidend davon ab, welchen Führungsstil man selbst bevorzugt – das kann man nur schwer verallgemeinern. Übergreifend kann man sagen, dass es in dieser Homeoffice-Pandemie-Situation und bei dem stark beschleunigten Veränderungstempo um eine neue Dimension des Caretaking für Mitarbeiter geht, zum Beispiel, sie vor kompletten Entgrenzungssituationen der digitalen Arbeit zu schützen.


 
„Die Erkenntnis, dass der Mensch die wertvollste Ressource ist, die wir haben. Da muss es zu einem entsprechenden Umdenken kommen.“
 

 

Ziehen wir ein Fazit: Was sind für Sie aktuell im Bereich Human Resources die drei größten, drängendsten Themen?
Erstens die Erkenntnis, dass der Mensch die wertvollste Ressource ist, die wir haben. Da muss es zu einem entsprechenden Umdenken kommen. Zweitens die weiterlaufende Digitalisierung, die für HR die enorme Chance in sich trägt, dass wir langweilige, routinehafte Aufgaben loswerden, weil wir sie wegdigitalisieren. Stattdessen können wir uns einer echten strategischen Arbeit mit dem Business, aber auch einer echten Transformationsarbeit mit den Menschen zuwenden. Und drittens müssen wir uns darauf vorbereiten, dass der beschleunigte Wandel jetzt dauerhaft mit uns sein wird. Es wird nicht so sein, dass wir irgendwann in alte, stabile Zeiten zurückkehren – stattdessen müssen wir mit diesem Wandel umgehen.

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