Jobs finden, Jobs vermitteln
Menschen mit Behinderung in Arbeit zu bringen ist ein wesentlicher Teil von Inklusionsarbeit. Dabei ist es wichtig, die Perspektive von Fachkräften mit Behinderung im Blick zu haben, statt sie an den Arbeitsmarkt anzupassen.
Text: Stefanie Schweizer
Fachkräfte mit Behinderung sind in der Regel doppelt so häufig und doppelt so lang arbeitsuchend wie Fachkräfte ohne Behinderung. Auch die 33-jährige Maria Rützel teilt die Erfahrung, als qualifizierter Mensch mit Behinderung lange nach einem passenden Job suchen zu müssen: „Nach meiner mittleren Reife schloss sich eine vergebliche Suche nach einem Ausbildungsplatz an. Anschließend absolvierte ich das Fachabitur. Dann durchlief ich erfolgreich eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation, um danach ein Studium der Sozialen Arbeit an der evangelischen Hochschule Nürnberg zu machen.“
Danach war die Sozialwissenschaftlerin zwei Jahre in einem Unternehmen tätig, das persönliche Assistenzen für behinderte Menschen organisiert – bis sie arbeitslos wurde. Anschließend dauerte es 13 Monate, bis Maria Rützel ihre aktuelle Stelle für eine ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) bekam. Während der Jobsuche machte sie einige negative Erfahrungen: „Ich habe sehr deutlich zu spüren bekommen, dass ich zu einem Vorstellungsgespräch nur eingeladen wurde, weil der potenzielle Arbeitgeber, eine Stadtverwaltung, gesetzlich dazu verpflichtet ist – und nicht, weil sie ernstes Interesse an mir hatten.“
Auch in Sachen Barrierefreiheit herrscht nach Meinung der Sozialwissenschaftlerin noch viel Nachholbedarf seitens der Arbeitgeber. Zwar weist Joachim Steck im WILA Arbeitsmarkt-Interview ab Seite VI auf die Schwierigkeiten für Arbeitgeber ohne Behinderung hin, die vielfältigen Barrieren für Fachkräfte mit Behinderung zu erkennen. Maria Rützel machte allerdings die Erfahrung, dass es selbst an der Behebung sehr offensichtlicher Hürden hapert: „Ich konnte selbst in Einrichtungen der Behindertenhilfe aufgrund fehlender Barrierefreiheit nicht arbeiten. Die Büroräume waren mit dem Rollstuhl nicht zugänglich, oder es war kein rollstuhlfreundliches WC vorhanden.“
Und auch in den Stellenausschreibungen vermisst die Sozialwissenschaftlerin wichtige Informationen dazu. So müssten Fachkräfte mit Behinderung auch heute noch viele Fragen zu den Details stellen. „Die Arbeitgeber sind zum Beispiel noch immer der Meinung, dass eine kleine Stufe am Eingang des Gebäudes kein Hindernis darstellt“, so Rützel. Von Arbeitgeber*innen wünscht sie sich ein Umdenken und die Bereitschaft, sich von alten Meinungen zu lösen.
Arbeitgeber*innen aufklären
Dass dieser Wunsch auch Realität wird, daran arbeitet Dirk Köhler, Arbeitsvermittler im Arbeitgeberservice in der Agentur für Arbeit Wetzlar. Dass Unternehmen meist wichtige Informationen fehlen, weiß der Vermittler nur allzu gut: „Es gibt beispielsweise die sogenannte Probebeschäftigung: Eine schwerbehinderte Person wird zwischen ein und drei Monate befristet eingestellt, sodass Bewerber*innen und Unternehmen schauen können, ob und wie sie zusammenpassen. Die Agentur für Arbeit übernimmt dabei 100 Prozent der Lohn- und Gehaltskosten. Von dieser Möglichkeit wissen aber bisher nur wenige.“ Deshalb zählen zu Dirk Köhlers täglichen Aufgaben der Austausch, die Kommunikation sowie die Beratung von Arbeitgeber*innen.
„Wenn sich Menschen mit Behinderung bei einem Unternehmen bewerben, dann steht in der Bewerbung mein Kontakt bei der Agentur für Arbeit drin. Dann wissen die Unternehmen direkt, an wen sie sich bei allgemeinen Fragen sowie Fragen zu Förderungen und Leistungen wenden können“, erklärt Köhler. Seine Tätigkeit erfordert Organisationstalent, Offenheit, Ausdauer sowie auch eine gewisse Toleranz.
Denn neben der Sorge von Arbeitgebern, dass Fachkräfte mit Behinderung nicht über eine 100-prozentige Leistungsfähigkeit verfügen würden, wird der Vermittler häufig unter vorgehaltener Hand mit den Bedenken bezüglich des besonderen Kündigungsschutzes von Fachkräften mit Behinderung konfrontiert. „Das ist unberechtigt, da auch einer Person mit Behinderung gekündigt werden kann. Es tut ja auch den Fachkräften nicht gut, wenn da ein Beschäftigungsverhältnis aufrechterhalten wird, dass für beide Seiten Schwierigkeiten verursacht“, so Köhler.
Verständnis und Empathie gelten damit als Schlüsselqualifikationen für eine Tätigkeit in der Arbeitsvermittlung für Menschen mit Behinderung – egal, ob man mit Bewerber*innen mit Behinderung oder mit Unternehmen arbeitet. Eine weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausübung der Tätigkeit ist der Bezug zur Lebenswelt von Fachkräften mit Behinderung, um die Herausforderungen und Hürden allgemein, aber auch mit Blick auf den Arbeitsmarkt nachvollziehen zu können. „Entweder man hat selbst eine Behinderung, oder man verschafft sich anders Zugang zu diesem Wissen. Viele engagieren sich beispielsweise in ihrer Freizeit in diesem Bereich und haben dadurch Kontakt mit Menschen mit Behinderung“, erklärt Dirk Köhler, der in seiner Jugend aufgrund einer Erkrankung eine Beinamputation vornehmen lassen musste.
Die fachlichen Voraussetzungen, die Interessierte für den Job in der Vermittlung mitbringen sollten, sind dabei nicht allzu festgelegt, sodass Akademiker*innen verschiedenster Fächer einen Weg in die inklusive Vermittlungsarbeit finden können. Dirk Köhler selbst kam über eine Ausbildung des mittleren Dienstes zu seiner heutigen Tätigkeit. Allerdings bieten Arbeitgeber wie beispielsweise die Agentur für Arbeit auch andere Einstiegsmöglichkeiten wie ein Duales Studium oder ein Traineeprogramm. „Eigentlich können das alle machen. Phasenweise und je nach Region stellt die Agentur für Arbeit auch Quereinsteiger ein. Das kann im Arbeitgeberservice von Vorteil sein, wenn jemand beispielsweise aus dem Vertrieb kommt und der weiß, wie man mit den jeweiligen Arbeitgebern aus diesem Bereich Kontakt aufnimmt“, so Köhler.
Personalpolitik als Hürde
Stereotypes Denken und Fehlinformationen führen aufseiten der Unternehmen zu falschen Leistungsvorstellungen und generalisierenden Maßnahmen in Bezug auf Fachkräfte mit Behinderung. Wer in der Arbeitsvermittlung von Fachkräften mit Behinderung tätig sein möchte, sollte sich dieser strukturellen Problematik bewusst sein. „Während der Jobsuche bekam ich immer mehr den Eindruck, dass mir als behinderte Bewerberin nichts zugetraut wird“, berichtet Maria Rützel.
Auch Dirk Köhler sieht diese Haltung und bewertet sie vor allem mit Blick auf den aktuellen Fachkräftemangel kritisch: „Einige Unternehmen reaktivieren dann ihre Rentner. Es macht doch aber keinen Unterschied, ob da jetzt ein 70/80-Jähriger sitzt oder eine 65-jährige, behinderte Person mit gleicher Qualifikation. Als Arbeitgeber darf ich mich nicht über Fachkräftemangel beschweren und gleichzeitig sagen: ‚Schwerbehinderte Menschen möchte ich nicht‘.“
Erst wenn Arbeitgeber*innen Fachkräfte mit Behinderung als qualifiziertes Personal wahrnehmen, haben diese eine gleichberechtigte Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt. Mehr und mehr Menschen mit Behinderung in diesen zu vermitteln, ist auch das Ziel des Sozialhelden e.V., der Jobinklusiv ins Leben gerufen hat. „Das Projekt versteht sich als Brückenbauer*in zwischen der Community mit Behinderung und Unternehmen. Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen wissen oft nicht, was ihnen alles zusteht, was sie bekommen könnten, wie Dinge funktionieren. Und die Unternehmen, die nicht wissen, wie es geht, weshalb wir sie beraten. Wir arbeiten da auf der Metaebene,“ erklärt Anne Gersdorff, die Referentin des Projekts.
Eine wichtige politische Stellschraube sei das Prinzip der sogenannten beschützenden Werkstätten, an denen nach wie vor stark festgehalten würden – und das die Sozialhelden stark kritisieren. „Die meisten, die da einmal drin sind, kommen nicht mehr raus. Es gibt kaum Vermittlungsangebote aus den Werkstätten in den regulären Arbeitsmarkt. Aber das ist ja eigentlich die Aufgabe der Werkstätten“, so Gersdorff.
Sensibilisierte Fachkräfte gesucht
Die Branche der Arbeitsvermittlung von Fachkräften mit (Schwer)Behinderung muss und wird immer häufiger neu gedacht: Neben Jobs in der Beratung und Inklusion von Fachkräften mit Behinderung geht es zunehmend darum, nicht nur von einer Seite in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, sondern den Arbeitsmarkt so umzugestalten, dass die Qualitäten und Vorzüge von Fachkräften mit Behinderung sichtbar und verstanden werden. „Wir behinderten Fachkräfte sind sehr wohl leistungsfähige Mitarbeiter, auch wenn wir die eine oder andere Unterstützung mehr brauchen als ein nicht behinderter Mitarbeiter“, erklärt Maria Rützel. Für Bewerber*innen und Nachwuchskräfte bedeutet das, den Blick ganzheitlich auf den Arbeitsmarkt zu richten und inklusive Arbeitsvermittlung als ganzheitliche Veränderung und nicht als reine Integrationsarbeit zu begreifen.
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