Voll qualifiziert!
„Wie würdest du mich beschreiben? Welche Eigenschaften zeichnen mich aus?“ Manchmal hilft die Perspektive von anderen, um eigene Qualifikationen zu erkennen.

Voll qualifiziert!

Ob als Berufseinsteigerin, Vollzeitpapa oder alte Businesshäsin – in jeder Lebensphase können Selbstzweifel an die Tür klopfen, erst recht, wenn es nur Jobabsagen zu regnen scheint. Dabei hat jede*r von uns eine Menge zu bieten.

Text: Sabrina Jaehn

„Ich bin seit über einem Jahr auf Jobsuche – erfolglos! Ich kann langsam nicht mehr und weiß nicht, was ich noch tun soll.“ Immer wieder erhalten wir solche Hilferufe in der Bewerbungshotline und spüren den enormen Leidensdruck, den die scheinbar nicht enden wollende Bewerbungsphase bei vielen mit sich bringen. Ungewissheit, Zukunftsangst, Geldsorgen und vor allem Selbstzweifel nagen an ihnen und sorgen erst recht dafür, dass die Jobzusagen ausbleiben. Ein Teufelskreis! Denn wie soll es jemand, der sich selbst infrage stellt, schaffen, andere von sich und den eigenen Qualitäten zu überzeugen?

Die eigenen Leistungen

Wichtig ist also, das Vertrauen in sich selbst zu stärken. Dafür lohnt zunächst einmal ein Blick auf das bisher Erreichte: Niemand hat einem den Studienabschluss geschenkt – ganz im Gegenteil: Der Weg zum Bachelor, Master, Diplom oder gar zur Promotion erfordert Durchhaltevermögen, kostet Nerven und verbraucht viele Liter Kaffee, um einen beim Lernen für Klausuren und Schreiben von Haus- und Abschlussarbeiten wachzuhalten. Im Ernst: Was Studierende leisten, ist oft enorm – auch wenn es sich nicht direkt monetär übersetzen lässt. Und mit höheren akademischen Graden steigen Aufwand, Zeit und Energie, die man investiert. Das sollten sich Absolvent*innen vor Augen halten und stolz darauf sein, statt beispielsweise damit zu hadern, dass sie nicht mit zig Jahren Berufserfahrung aufwarten können.

Hinzu kommt: Selbst diese ist kein Erfolgsgarant. Auch Fachkräfte, die schon einiges an Erfahrungen – auch aus verschiedenen Jobs – mitbringen, sind nicht vor langwierigen Bewerbungsprozessen gefeit. Und auch an ihnen geht eine länger anhaltende Jobsuche nicht spurlos vorbei. Dabei können sie erfolgreiche Projekte und Jobwechsel vorweisen, haben Weiterbildungen absolviert und sich neue Aufgabenbereiche erschlossen – tolle Leistungen! Besonders viele davon haben Ü50-Fachkräfte angesammelt, und eigentlich wissen sie aus ihrer langjährigen Erfahrung am besten, dass im Arbeitsleben nicht immer alles rund läuft.

Doch auch sie sorgen sich natürlich: Gelingt mir in meinem Alter noch einmal ein Jobwechsel? Kann ich mit den jüngeren Generationen mithalten? Oder gehöre ich längst zum alten Eisen? Auch wenn der Nachwuchs in Sachen Digitalisierung oder anderen aktuellen Trends die Nase vorn hat: die jahrzehntelange Erfahrung und das Wissen von Ü50-Fachkräften sind enorm wertvoll, insbesondere angesichts des demografischen Wandels und von Fachkräfteengpässen, – und lassen sich durch keinen Kurs der Welt eben mal draufschaffen. Ein Trumpf, den sich Wechselwillige bewusst machen sollten.

Wer hingegen schon einige Zeit aufgrund der Pflege von Angehörigen oder von Elternzeit nicht berufstätig ist und ins Arbeitsleben zurückkehren möchte, stärkt das eigene Selbstbewusstsein beim Blick auf Leistungen auch abseits der Arbeitswelt. Denn das Familienleben zu managen, bedeutet in der Lage zu sein, viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Mit solch einem Organisationstalent kann man auch im zukünftigen Job punkten. Ganz zu schweigen von Fähigkeiten hinsichtlich Kommunikation oder Recherche, die man benötigt, wenn es zum Beispiel darum geht, für ein erkranktes Familienmitglied Pflege oder Hilfsmittel zu organisieren. Oder soziale Kompetenzen wie Empathie und Geduld, die man sowohl mit kleinen Kindern als auch mit pflegedürftigen Eltern oder Großeltern trainiert – und vor allem in die Arbeit mit Menschen einbringen kann.

Die Außenperspektive

So bringt jede*r von uns jede Menge individuelle Qualifikationen mit. Entscheidend ist jedoch, sie zu erkennen und sich bewusst zu machen. Gelingt das nicht allein, kann ein Gespräch mit Freund*innen, Verwandten oder auch ehemalige Kolleg*innen Talente und Eigenschaften zutage fördern, auf die man selbst vielleicht gar nicht gekommen wäre. Da berichtet möglicherweise der Vater, wie zielgerichtet und ehrgeizig er einen schon im Studium erlebt hat.

Oder die ehemalige Kollegin ist begeistert von der gemeinsamen Teamarbeit und dem Einsatz, mit dem man Projekte angepackt hat. Auch wenn es dem einen oder der anderen dabei die Schamesröte ins Gesicht treibt – nur keine falsche Bescheidenheit! Denn in solchen Gesprächen kann man nicht nur etwas über sich und die eigene Wirkung auf andere erfahren, sondern sich auch eine verdiente Portion an Komplimenten abholen. Das ist gerade, wenn man durch viele Absagen verunsichert ist, Balsam für die Seele und eine gute Grundlage, um das Selbstbewusstsein wieder aufzubauen.

Nicht zuletzt ist es hilfreich, sich einen Überblick über gefragte Kompetenzen in Stellenanzeigen zu verschaffen – und diese mit den eigenen Qualifikationen abzugleichen. Dabei geht es nicht darum, alle Arbeitgeberwünsche für eine einzelne Stelle erfüllen zu müssen, sondern darum, zu entdecken, was neben Fähigkeiten und Kenntnissen aus dem jeweiligen Fachgebiet noch gefragt ist, und womit man hier selbst punkten kann.

Aus dem Monitoring der Stellenanzeigen, die in den vergangenen beiden Jahren im WILA Arbeitsmarkt erschienen sind, geht beispielsweise hervor, dass fast 80 Prozent der Stellen gar keine spezifische Berufserfahrung voraussetzen. In mehr als der Hälfte der Ausschreibungen ist viel allgemeiner von Erfahrung die Rede – das lässt Interpretationsspielraum und bietet unterschiedliche Möglichkeiten, sich mit Blick auf die Stelle wiederzufinden. Mehr als ein Drittel der Ausschreibungen benennt Kommunikationsfähigkeit als Sekundärqualifikation und in fast einem Viertel der Anzeigen sind explizit Englischkenntnisse gefordert.

Es folgen in absteigender Häufigkeit Soft Skills wie Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Flexibilität, Belastbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit. Wenn man nun beispielsweise aus Gesprächen mit anderen weiß, über welche dieser Qualifikationen man verfügt, kann man als nächsten Schritt zunächst sich selbst und anschließend potenzielle Arbeitgeber mit passenden Beispielen aus der eigenen Vita überzeugen.

Der Blick über den Tellerrand

Wer die Kompetenzbeschreibungen in Stellenanzeigen systematisch unter die Lupe nimmt, kann sogar ganz neue Felder für sich entdecken. Denn einige Anzeigen lassen den fachlichen Hintergrund (weitgehend) offen, oder sind so formuliert, dass sich ebenso Generalist*innen aus den Geistes-, Sozial- oder Naturwissenschaften wiederfinden können, auch wenn die Ausschreibungen in erster Linie Expert*innen anderer Fachrichtungen adressieren. Das Stellenauswertungsteam des WILA Arbeitsmarkt sortiert hier natürlich vor und bündelt entsprechende Ausschreibungen im Tätigkeitsbereich 8 „Über den Tellerrand“.

So fand sich hier kürzlich beispielsweise eine Stelle für Opernfans, die als Sponsoring Associate (m/w/d) tätig werden wollen, mit folgendem Personenprofil: „Sie haben ein abgeschlossenes Hochschulstudium oder einen anderen äquivalenten Abschluss und idealerweise erste Erfahrungen im Bereich Vermarktung, Sponsoring oder Fundraising; Ihr Herz schlägt, genau wie das unsere, für die Oper; Sie zeichnen sich durch Ihre strukturierte Arbeitsweise aus und stellen hohe Ansprüche an sich selbst und die Qualität Ihrer Arbeitsergebnisse; Sie behalten selbst in stressreichen Situationen den Überblick und die Fähigkeit, sinnvolle Prioritäten zu setzen; Sie überzeugen im Team sowie gegenüber unserem anspruchsvollen Kundenkreis mit Ihren hervorragenden kommunikativen Fähigkeiten, Ihrem selbstsicheren Auftreten und Ihrem hohen Maß an Serviceorientierung; Sie sind ein/e Teamplayer/in und verfügen über eine hohe Einsatzbereitschaft (auch an Abenden und Wochenenden); Sie gehen sicher und versiert mit Microsoft Office um; Sie beherrschen die englische Sprache fließend in Schrift und Wort.“

Zusammengefasst heißt das: Offener Fachbereich, „weiche“ Formulierungen wie „idealerweise“ und die Auflistung zahlreicher Sekundärqualifikationen machen die Stelle ganz verschiedenen Fachkräften zugänglich – und bieten eine tolle Möglichkeit zum Quereinstieg.

Relativ offen ist auch diese Stelle als Consultant (m/w/d) formuliert: „Die vakante Position richtet sich insbesondere an Absolvent*innen mit Masterabschluss. Du würdest gut zu uns passen, wenn du ein freundliches und offenes Auftreten hast, eigenverantwortlich handelst und an einer anspruchsvollen Arbeit in einem jungen Team mit flachen Hierarchien interessiert bist, dich im Zuge deines Studiums der Geografie, Stadtplanung, Volkswirtschaftslehre oder einer verwandten Disziplin mit Fragen der Stadt- und Regionalentwicklung beschäftigt hast, ein sehr gutes schriftliches und mündliches Ausdrucksvermögen an den Tag legst, sorgfältig, zielorientiert und gewissenhaft arbeitest, dich komplexe Fragestellungen reizen und die Bereitschaft mitbringst, dich in neue Methoden und Anwendungen einzuarbeiten, vertiefte Kenntnisse in den MS-Office-Anwendungen (Word, Excel, PowerPoint) hast und bereits über erste Erfahrungen im Umgang mit GIS-Anwendungen (QGIS, Esri ArcGIS) verfügst.“

Entscheidend für die Analyse der gewünschten Kompetenzen ist auch die Reihenfolge, in der sie genannt werden. So haben hier zunächst einmal freundliche und selbstständig arbeitende Masterabsolvent*innen im Allgemeinen ganz gute Karten. Der fachliche Hintergrund ist eher zweitrangig und lässt eine Bandbreite an Studienrichtungen zu. Mit Ausdrucksvermögen und/oder den genannten Softwarekenntnissen können Bewerber*innen zusätzlich punkten.

Diese Beispiele machen einerseits deutlich, wie wichtig es ist, sich mit all seinen Kompetenzen zu befassen. Und sie zeigen andererseits, dass man sich mit dem Wissen um die eigenen Fähigkeiten und individuellen Erfahrungen trauen kann und sollte, sich auf Stellen zu bewerben, die einem attraktiv erscheinen – auch abseits des eigenen Suchmusters, allen bisherigen Absagen zum Trotz und mit der Aussicht auf eine neue berufliche Perspektive.

  • Infodienst-Trainee-Stellen Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
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