Inklusiver werden
Inklusiver werden kann auch für viele Unternehmen Vorteile haben.

Inklusiver werden

Fachkräfte mit Behinderung stellen ein enormes Potenzial für Unternehmen dar, um Stellenbesetzungsproblemen zu begegnen. Um als Arbeitgeber für diese Personen attraktiv zu sein, müssen Unternehmen ins Handeln kommen. Inklusions-Experte Nils Dreyer erklärt, wie es klappt.

Interview: Elisabeth Werder

Nils Dreyer ist Projektleiter bei Inklupreneur, einem Projekt der Hilfswerft gGmbH. Foto: Michael Bahlo

WILA Arbeitsmarkt: Herr Dreyer, wie gelingt Inklusion auf dem Arbeitsmarkt?
Nils Dreyer: Ich selbst habe in meiner unternehmerischen Vorerfahrung unter anderem eine Content Marketing Agentur aufgebaut und dort als ersten sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter einen Softwareentwickler mit Behinderung beschäftigt. Meiner Erfahrung nach war er komplett leistungsfähig, wenn man es schafft, auf seine Bedürfnisse einzugehen. In Zukunft wird es viel stärker darum gehen, die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden in den Blick zu nehmen, um eine höhere Motivation, Gesundheit und insgesamt auch Arbeitsleistung zu bekommen. Alle, die später ins Team gekommen sind, haben erfahren, dass jemand mit Schwerbehinderung natürlich genauso behandelt wird wie jeder andere auch. So ist eine Kultur entstanden, in der Inklusion der Standard für alle war.

Was können Unternehmen machen, wenn sie inklusiver werden möchten?
Am besten das Thema gar nicht so hoch hängen. Wenn man sagt: ‚Wir müssen uns erstmal darauf vorbereiten‘, fängt man niemals an. Besser wäre es zu sagen: Ich identifiziere eine Abteilung oder einen Fachbereich, wo ich weiß, dass die vielleicht schon recht divers aufgestellt ist oder in der eine Führungskraft mit einer gewissen sozialen Ader tätig ist, und starte da ein Pilotprojekt in einem kleinen Teilbereich. Zum Beispiel in der Logistik, im Marketing oder in der Buchhaltung, das ist ja völlig egal.

Gibt es aktuelle Zahlen zur Inklusion auf dem Arbeitsmarkt?
In Deutschland gibt es knapp 8 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung und knapp 3 Millionen davon stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Das ist schon eine relevante Größe in Bezug auf Re­cruiting und Talentsuche. Wenn man das den Arbeitgebern vor Augen führt, sind sie schon gewillt, da tätig zu werden. Sie fühlen sich meist auch kulturell bereit, weil sie vielleicht schon die Erfahrung gemacht haben, Menschen aus dem Ausland in ihre Teams zu integrieren. Einen guten Überblick über den aktuellen Stand gibt das Inklusionsbarometer: Alle paar Jahre wird hier der Status der Inklusion in Deutschland erfasst und nochmal ausdifferenziert.

Warum spielt das Thema Inklusion in vielen Personalabteilungen eine untergeordnete Rolle?
Ich vermute, dass das Thema bisher ein blinder Fleck war: Klar hat jemand in der Personalbuchhaltung der Geschäftsführung mal gesagt, dass ein Bescheid über Ausgleichsabgaben angekommen ist, aber viele sehen das als eine Art Steuerbescheid – und gegen Steuern kann man halt nichts machen. Es bedarf eines Aktivierungsimpulses, wie das Aufzeigen der Vorteile, um wirklich etwas zu ändern und das Thema in das Bewusstsein des Unternehmens zu bringen.

Inwiefern sind Fachkräfte mit Behinderung ein Gewinn für jedes Unternehmen?
Die Start-up-Szene hat das Thema Diversität schon seit vielen Jahren als ein wichtiges Handlungsfeld identifiziert. Sie weiß: Es führt zu besseren Ergebnissen, einem höheren Innovationsgrad, mehr Kulturbreite und damit einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit. Aber die Komponente ‚Behinderung‘ wird bisher von vielen Unternehmen gar nicht als Diversitätsmerkmal angesehen. Deshalb ist es für uns relativ simpel, weil die Unternehmen bereits den Mehrwert von Diversität kennen, wir müssen ihnen eigentlich nur aufzeigen: Ihr habt eine wichtige Facette bisher ignoriert und könnt diese ganz einfach dazuschalten.

Wie können Unternehmen gezielt Fachkräfte mit Behinderung bei der Jobsuche ansprechen?
Zum Beispiel bei den Formulierungen der Stellenausschreibungen angefangen: alle Diskriminierungsdimensionen mitdenken und nicht nur Floskeln verwenden. Lieber einfache Sprache als komplizierte Begriffe und Anglizismen verwenden. Konkrete und praxisnahe Tätigkeitsbeschreibungen anstelle von extravaganten Umschreibungen oder nichtssagenden Verallgemeinerungen.

Und vorhandene Barrieren kommunizieren, anstatt sie einfach nicht zu thematisieren. In der Praxis hat es zudem einen großen Wert, wenn ein spezifischer Ansprechpartner für Menschen mit Behinderung angegeben wird, auch jenseits der klassischen Personalabteilung. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man in Kontakt tritt.

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