
Solidarität als Kerngedanke
Immer wieder beherrschen Tarifverhandlungen und Streiks die Schlagzeilen. Das zeigt das gesellschaftliche Gewicht von Gewerkschaften. Für Berufstätige sind die Tarifparteien aber auch als Arbeitgeber interessant.
Text: Anja Schreiber
Gewerkschaften haben als große Organisationen entsprechenden Personalbedarf – zumal auch bei ihnen der demografische Wandel Einzug hält. Doch bevor Fachkräfte sich auf offene Stellen bewerben, sollten sie diese Institutionen kennen und verstehen lernen. „Unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes sind acht Gewerkschaften mit insgesamt 5,6 Millionen Mitgliedern schwesterlich verbunden“, erklärt Detlef Raabe, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Dazu zählen die IG Bauen-Agrar-Umwelt, die IG Bergbau, Chemie und Energie, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie die IG Metall, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und die Gewerkschaft der Polizei. Die achte Gewerkschaft ist die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft mit 1,9 Millionen Mitgliedern (Verdi).
Für jede Branche
„Die Zuständigkeiten der einzelnen Gewerkschaften sind in ihren Satzungen geregelt. Ziel ist es dabei, Überschneidungen der Zuständigkeiten innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zu vermeiden. Diese Zuständigkeit nennt man den Organisationsbereich“, so Detlef Raabe. Verdi vertritt zum Beispiel Mitglieder aus insgesamt rund 1.000 Berufen. „Unsere Mitglieder sind angestellt, selbstständig oder verbeamtet. Sie alle sind Dienstleister*innen im weitesten Sinne – sowohl im öffentlichen Dienst als auch im privaten Sektor“, erklärt Detlef Raabe. Verdi-Mitglieder stammen auch aus dem öffentlichen Dienst in Kommunal-, Landes oder Bundesbehörden sowie Dienststellen, aus den Bereichen Handel, Bildung und Gesundheit, aus der Kultur, dem Verkehrssektor oder der dienstleistungsnahen Industrie.
„Der gewerkschaftliche Kerngedanke ist Solidarität. Wir vertreten die Interessen der Beschäftigten und setzen uns mit ihnen für Tarifverträge und bessere Arbeitsbedingungen ein. So haben wir durch unsere politische Arbeit mit dafür gesorgt, dass der Gesetzgeber den Mindestlohn eingeführt hat und dieser mittlerweile auf zwölf Euro pro Stunde erhöht wurde“, erklärt Detlef Raabe. Außerdem beraten die Gewerkschaften auch Beschäftigte, Rentner*innen und Erwerbslose. Sie bieten Unterstützung bei Problemen und Konflikten im Betrieb, setzen sich für Gesundheits- und Arbeitsschutz sowie für Weiterbildung im Arbeitsleben ein.
„Jede*r, der in einem Beruf oder in einer Branche arbeitet, für die Verdi zuständig ist, kann bei uns Mitglied werden“, so Detlef Raabe, „Das gilt auch für Menschen, die gerade studieren oder eine Ausbildung machen.“ Der Mitgliedsbeitrag liegt bei jeweils 1 Prozent des regelmäßigen monatlichen Bruttoverdienstes. Bei Hausfrauen und Hausmännern, Schüler*innen und Studierenden sind es pro Monat 2,50 Euro.
Die Mitglieder profitieren von zahlreichen Vorteilen: „Wichtigster Aspekt ist, dass Tarifverträge formal nur für die Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft gelten“, erklärt Detlef Raabe. „Wir stehen unseren Mitgliedern auch vor dem Sozialgericht und bei Auseinanderset-zungen mit den Renten- und Unfallversicherungsträgern, mit der Krankenkasse und der Arbeitsagentur zur Seite“, ergänzt Detlef Raabe.
Ebenfalls im Mitgliedsbeitrag enthalten sind die Beratung und Berechnung der Lohn- und Einkommenssteuer sowie die Überprüfung des Steuerbescheids. „Außerdem können sich Gewerkschaftsmitglieder aktiv an der Entscheidungsfindung und der innergewerkschaftlichen Demokratie beteiligen. Bei uns entscheiden letztendlich immer die Mitglieder über die Tarifverträge – sei es demokratisch legitimiert als Mitglied einer Tarifkommission oder im Rahmen von Urabstimmungen oder Mitgliederbefragungen,“ so Detlef Raabe.
Von der Mitgliedschaft zum Hauptberuf
Nicht nur die Angebote für Mitglieder, auch die Aufgaben der Mitarbeiter*innen der Gewerkschaften sind vielfältig. Der DGB beschäftigt zum Beispiel nach eigener Aussage Expert*innen für unterschiedliche Politiksparten. Dazu gehören etwa die Sozial-, Wirtschafts- oder Energiepolitik. Zudem sind hier Fachkräfte aus den Bereichen Personal, Veranstaltungsplanung sowie Multiplikator*innen für politische Bildung tätig. Sie fungieren zum Beispiel als Referent*innen, Abteilungsleiter*innen und Gewerkschaftssekretär*innen. Detlef Raabe erklärt, was sich hinter letzterer Berufsbezeichnung verbirgt: „So nennt man bei uns die Hauptberuflichen. Wer sich mit den Werten von Verdi identifiziert, kann seine Überzeugung als Gewerkschaftssekretär*in zum Beruf machen.“
Diese Mitarbeiter*innen sind für eine bestimmte Region zuständig und organisieren ihre zahlreichen Aufgaben selbstständig: So führen Gewerkschaftssekretär*innen mit den Arbeitgebern regelmäßig Verhandlungen über Tarifverträge und gestalten damit die Arbeitsbedingungen und Gehälter der Mitglieder mit. Diese können sich auch von den Hauptberuflichen beraten lassen, wie Detlef Raabe erklärt: „Mit ihren Kenntnissen zu Tarifverträgen, Gesetzen und Verfahren beantworten sie Fragen aus dem Arbeitsleben und helfen, Ansprüche der Ratsuchenden durchzusetzen.“
Weiterhin unterstützen Gewerkschaftssekretär*innen auch die Gründung und die Arbeit von Betriebs- und Personalräten und überwachen die Einhaltung von Tarifverträgen und Gesetzen. Zum Aufgabenfeld gehört aber auch die Kommunikation: „Durch Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen machen sie auf wichtige Themen aus Arbeit und Gesellschaft aufmerksam und sorgen dafür, dass die Interessen von Beschäftigten, Rentner*innen und Erwerbslosen wahrgenommen werden. Außerdem knüpfen sie Kontakte zu anderen Fachleuten aus den Bereichen Wirtschaft, Arbeit, Politik und Recht, um sich auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen“, so Detlef Raabe. Intern fungieren die Gewerkschaftssekretär*innen ebenfalls als Kommunikationsschwerpunkte: So sind sie für die Information über gewerkschaftliche Themen zuständig. Sie konzipieren zum Beispiel Fortbildungsveranstaltungen und führen diese auch durch. Außerdem haben sie die Aufgabe, neue Mitglieder zu gewinnen.
Trainee als Einstieg
„Der Beruf der Gewerkschaftssekretär*in ist weder ein klassischer Ausbildungsberuf noch gibt es einen speziellen Studiengang. Deswegen bietet Verdi ein spezielles Traineeprogramm an. Wer das absolviert, lernt alles, was er oder sie als Gewerk-schaftssekretär*in braucht“, erklärt Detlef Raabe. Voraussetzung für dieses Programm sind entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung, ein abgeschlossenes Studium oder eine vergleichbare mehrjährige Berufserfahrung sowie gesellschaftliches beziehungsweise gewerkschaftliches Engagement. Der Lebenslauf von Bewerber*innen für das Traineeprogramm kann also ganz unterschiedlich aussehen. Erwartet werden aber erste Fachkenntnisse in den Feldern Recht, Politik und Wirtschaft sowie grundlegende Kenntnisse von Office-Programmen. Außerdem kommt es auf die Soft Skills an.
So sollten Bewerber*innen Interesse am strategischen, konzeptionellen und analytischen Arbeiten haben, Problemlösungskompetenz und Durchsetzungsfähigkeit mitbringen sowie über Kooperationsfähigkeit, Selbstreflexions- und Lernfähigkeit verfügen. Weitere Voraussetzungen sind sehr gute Deutsch- und gute Englischkenntnisse. Der oder die punktet, wer weitere Sprachen beherrscht, die durch Flucht und Migration aktuell gefragt sind. Ein Führerschein der Klasse 3 beziehungsweise B ist erforderlich.
Neben den unmittelbar gewerkschaftspolitisch tätigen Mitarbeiter*innen beschäftigen Gewerkschaften noch andere Fachkräfte wie zum Beispiel Jurist*innen, IT-Expert*innen, aber auch Fachleute im Personal- und Finanzbereich sowie Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in der Öffentlichkeitsarbeit. Der DGB teilt mit, dass sich Menschen mit den unterschiedlichsten Abschlüssen bewerben. Diese haben zum Teil eine gewerbliche oder kaufmännische Ausbildung, zum Teil aber auch ein Studium der Sozial-, Erziehungs-, Politik- oder Wirtschaftswissenschaften.
Eine akademische Ausbildung sei also keine grundsätzliche Voraussetzung, um beim DGB zu arbeiten. Allerdings legt der DGB Wert auf Erfahrungen im Gewerkschafts- oder Politikbereich. Dazu zählt etwa, dass man sich schon einmal in einem gewerkschaftlichen Ehrenamt engagiert hat oder das weiterhin tut. Wer Interesse daran hat, in einer Gewerkschaft zu arbeiten, dem empfiehlt der DGB, Pflichtpraktika oder das Referendriat zu nutzen, um sich gegenseitig kennenzulernen.
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