Die Suche nach den Richtigen
Die Stellensuche hat sich verändert und stellt eine große Herausforderung für Personaler*innen dar.

Die Suche nach den Richtigen

Der Bedarf an Fachkräften ist nicht nur in Engpassberufen groß. Deshalb haben sich in nahezu allen Branchen die Anforderungen an das Nachwuchs-Recruiting verändert – eine relativ große He­rausforderung für Personaler*innen.

Text: Anne Prell

Die aktuellen Stellenbesetzungsprobleme sieht Marcus Riecker, Regionalgruppenleiter Baden-Württemberg im Bundesverband der Personalmanager (BPM), als Herausforderung, aber auch als Chance. Seit bald 30 Jahren ist der gelernte Industriekaufmann im Personalmanagement tätig. Erst als Personalsachbearbeiter, dann als Personalreferent und seit 2011 als Leiter in Gesamtfunktion bei einem großen Schüttgut-Logistiker. Durch seine Position als Global Head of HR ist Marcus Riecker unmittelbar mit dem so genannten Fachkräftemangel konfrontiert: „Im Vergleich zu meinen Anfangsjahren ist der Bewerberfluss ganz klar zurückgegangen“, erzählt er.

Damals wurde noch die klassische Anzeige aufgegeben – mit großem Erfolg. „Auch nach der Vorselektion durch den Personaler konnten wir dem Fachbereich immer noch einen großen Stapel an guten bis sehr guten Bewerbungen weiterleiten. Natürlich hing Qualität und Anzahl der Bewerbungen auch vom Ruf des Unternehmens ab. Aber die Personaler der großen Firmen konnten sich ihren Wunschkandidaten nach Belieben herauspicken“, so Marcus Riecker.

War for Workers

Dieses Machtverhältnis hat sich stark verändert. „Vor 25 Jahren haben wir noch von Personalbeschaffung gesprochen.“ Aus dem Arbeitgeber- sei jedoch mittlerweile ein Arbeitnehmermarkt geworden. Der Fachman erläutert: „Die Demografie arbeitet schlicht gegen uns. Früher kamen viele Arbeitnehmende auf einige Rentnerinnen und Rentner, heute ist es andersherum. In den nächsten 15 Jahren werden zig Stellen vakant. Dazu kommt die Start-up-Mentalität: Kompetente, ehrgeizige Menschen, die selbst gründen und dadurch dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen“.

Doch damit nicht genug: „Es liegt nicht nur an der Quantität der Bewerbungen, auch die Qualität ist zurückgegangen. Früher haben wir nur Führungspositionen durch Head Hunter besetzt, heute betreiben wir den gleichen Aufwand für angelernte Fachkräfte.“ Nicht nur in den Ingenieurwissenschaften oder in der IT sei dies schwieriger geworden, sondern auch im sozialwissenschaftlichen Bereich. „Generell gilt: Je spezieller meine Stellenbeschreibung, desto schwieriger ist es“, beschreibt Marcus Riecker die Problematik. „Da muss ich mir als Personaler die Frage stellen: Warte ich auf den perfekten Kandidaten oder nehme ich einen sehr guten Kandidaten und investiere in seine Qualifikation, sodass er genau die Kompetenzen hat, die ich brauche?“ Die Zeit des Wartens auf die passende Bewerbung sei vorbei.

„Active Sourcing ist das Zauberwort. Wenn ich eine Anzeige schalte, schauen vielleicht 20 Prozent diese Anzeige an. Der Rest ist irgendwo angestellt und nicht aktiv auf Jobsuche. Durch Social Media und entsprechende Algorithmen erreiche ich auch diese Gruppe“, erklärt Marcus Riecker. Er ist davon überzeugt: „Das ist sicherlich eine Herausforderung, aber auch eine große Chance. Wir wollen und müssen uns im Personalwesen weiterentwickeln. Auch, um als Karriereoption interessant zu bleiben.“

Der Nachwuchs fürs Personalwesen selbst komme klassischerweise aus den Geistes-, Rechts- und Betriebswissenschaften. Doch es sei längst nicht mehr nur Sachbearbeitung gefragt. „Als Personaler muss ich mit Menschen können, kommunikativ sein, immer auf der Suche nach einer Win-Win-Situation für Arbeitnehmende und Arbeitgebende. Wir versuchen im Verband zu zeigen, dass es tolle Karriereoptionen in dem Bereich gibt. New Work, Digitalisierung, Work-Life-Balance – Personalmanagement ist viel mehr als reines Recruiting. Es geht nicht nur darum, Fachkräfte zu gewinnen, sondern sie auch zu halten“, so Marcus Riecker.

Und was wünschen sich Arbeitnehmer*innen? „In den letzten Jahrzehnten hat sich der Anspruch an die Arbeitgebenden geändert. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt“, führt Marcus Riecker als einen der Gründe an. Er sieht dabei die Führungskraft in der Pflicht: „Wie führe ich remote? Wie motiviere ich meine Mitarbeitenden, wie schaffe ich ein Team-Gefühl? Die Anforderungen an die Führungskräfte sind in den letzten Jahren, spätestens durch die Pandemie, gestiegen.“ Dies ist auch deshalb der Fall, da unzufriedene Mitarbeitende schnell eine andere Stelle finden.

„Es ist frustrierend, wenn man lange nach der richtigen Person gesucht hat, und sie dann vor Ort im Unternehmen nicht gehalten werden kann. Da müssen wir uns fragen: Was können wir tun, um Mitarbeitende nachhaltig an das Unternehmen zu binden?“, so der Personalexperte. Vor diesem Hintergrund lässt sich der Ausdruck Fachkräftemangel kritisch hinterfragen. Fehlen dem Arbeitsmarkt wirklich flächendeckend qualifizierte Personen oder gibt es sie, aber sie sind – etwa wie im Sozialwesen – nicht (mehr) bereit, zu schlechten oder gar prekären Bedingungen zu arbeiten?

Potenzial sehen

„Ich bin vom Grundtyp ein sehr positiver Mensch. Spontan ist mein erster Gedanke: Missstand gleich Herausforderung gleich Chance. Wir haben so viel zu tun, einen ganzen Berg an Aufgaben vor uns, und das treibt mich an. Das motiviert mich, auch wenn einzelne Rückschläge natürlich demotivierend sein können.“ Im Fokus stehe für ihn immer der Mensch. „Mir geht es immer darum, jemanden zu finden, der nicht nur fachlich, sondern auch persönlich ins Team passt. Selbst wenn die Qualifikation nicht 100 Prozent passt – das Thema Wohlfühlen am Arbeitsplatz gewinnt zum Glück immer mehr an Bedeutung.“

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