
Alleinerziehend im Job
Familie und Beruf unter einen Hut bringen – das ist für viele Paare eine Herausforderung. Und wenn der oder die Partner*in fehlt? Zwei Frauen berichten von ihren Erfahrungen.
Text: Anne Mittmann
Laut einem von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Factsheet „Alleinerziehende in Deutschland“ gab es 2023 hierzulande 1,7 Millionen alleinerziehende Familien mit minderjährigen Kindern. Dabei sind acht von zehn Alleinerziehenden weiblich. Zudem leben Frauen im Durchschnitt mit mehr und mit jüngeren Kindern zusammen als alleinerziehende Väter. 71,4 Prozent der alleinerziehenden Mütter und 87,1 Prozent der alleinerziehenden Väter sind erwerbstätig. Damit sind sie jeweils etwas seltener erwerbstätig als Mütter und Väter in Paarfamilien (77 beziehungsweise 93 Prozent). Allerdings arbeiten rund 41 Prozent der alleinerziehenden Mütter in Vollzeit und damit deutlich häufiger als diejenigen in Paarfamilien mit etwa 31 Prozent.
„Das ging gar nicht anders“, sagt Alex, deren drei Kinder mittlerweile erwachsen sind. Sie gab nach der Trennung ihre Selbstständigkeit auf und ging zurück in ihr altes Unternehmen. „2001 waren die Kinder 11, 9 und 7 Jahre alt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt meinen eigenen Laden, der gerade so auf eigenen Füßen stand. Ich hatte mir mit dem Laden einen Traum erfüllt, aber allein mit drei Kindern hätte es finanziell hinten und vorne nicht gereicht. Am Anfang habe ich halbtags als kaufmännische Angestellte bei meinem früheren Arbeitgeber gearbeitet. Nach zwei Jahren war klar, dass das Geld einfach nicht reicht und ich konnte Vollzeit aufstocken.“
Unterhaltszahlungen seien nicht ausreichend geflossen. „Wir sind verheiratet geblieben und haben notariell alles Finanzielle geklärt. Aber mein Mann hat über den Daumen gepeilt nicht mal die Hälfte von dem gezahlt, was er hätte zahlen müssen. Vor den Kindern hat er aber gejammert, ich wolle so viel Geld von ihm haben. Ich habe nichts dagegen unternommen, weil ich die Kinder nicht zusätzlich belasten wollte. Und ich wusste, dass es nicht viel zu holen gab.“ Sozialleistungen habe sie nie bezogen. „Ich habe mal eine Mutter-Kind-Kur beantragt, die abgelehnt wurde. Für Wohngeld habe ich damals 3,50 Euro zu viel verdient. Mit dem Jugendamt habe ich nie zu tun gehabt. Ich wollte nicht, dass sich jemand in unsere Angelegenheiten einmischt.“ 2001 auf dem Dorf, in dem sie und die Kinder bis heute leben, wäre sie sowieso komisch angeguckt worden. „Du stehst ständig unter Beobachtung“, erinnert sie sich an diese Zeit. „Du kannst es eigentlich nur falsch machen. Alleinerziehend mit drei Kindern – wieso hast du die Ehe nicht am Laufen gehalten? Wieso bist du mit deinem neuen Freund unterwegs, anstatt bei den Kindern zu sein? Manchmal hatte ich für die letzten drei Tage des Monats noch zehn Euro übrig und habe mir davon Zigaretten gekauft statt Lebensmittel. Ich war immer, immer, immer angreifbar.“
Unterhaltszahlungen und -vorschuss
Fehlende oder zu geringe Unterhaltszahlungen wie bei Alex sind der Bertelsmann-Studie zufolge ein wesentlicher Grund für die prekäre finanzielle Situation von Alleinerziehenden: Nur etwa die Hälfte von ihnen bekommt regelmäßig und vollständig Unterhalt für die Kinder, der aber häufig unter dem Mindestunterhalt läge. Zu den genannten Gründen für die ausbleibenden Zahlungen gehören Zahlungsunfähigkeit oder -verweigerung. Das führt dazu, dass Alleinerziehende trotz Erwerbstätigkeit bis heute die am stärksten von Armut betroffene Familienform sind. 41 Prozent gelten als armutsgefährdet, 37 Prozent beziehen SGB II-Leistungen wie etwa Bürgergeld. Da häufig der reguläre Unterhalt fehlen, bezieht rund ein Drittel der Alleinerziehenden einen Unterhaltsvorschuss, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Neben Kindergeld und Kinderzuschlag ist der Unterhaltsvorschuss das zentrale Instrument, um die finanzielle Situation von Alleinerziehenden zu erleichtern. Dazu kommt der steuerliche Entlastungsbeitrag in Höhe von 4260 Euro im Jahr. Bei mehreren Kindern steigt der Entlastungsbetrag ab dem zweiten Kind um 240 Euro pro Kind.
„Ich habe den Staat ein kleines bisschen ärmer gemacht“, sagt Tina. Die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern hatte sich erst auf Drängen einer Kollegin um einen Unterhaltsvorschuss bemüht. „Ich hatte genug Sorgen und Ärger mit dem Vater meiner Kinder und wollte das nicht noch weiter provozieren. Er hat nicht gezahlt, aber sich auch nicht in die Erziehung eingemischt, und ich wollte, dass das so bleibt.“ Dass die Kinder nach der Trennung bei ihnen leben, war sowohl für Tina als auch für Alex von Anfang an klar. „Mein damaliger Lebensgefährte wollte eigentlich nie wirklich Kinder, und hat sich schon vor der Trennung nicht viel um sie gekümmert. Einer meiner Hauptgründe für die Trennung war, meine Kinder zu schützen. Wir hatten es nach der Trennung als Familie zu dritt leichter“, stellt Tina fest.
„Ich falle in puncto alleinerziehend ein bisschen aus der Reihe“, erzählt sie weiter. „Ich war lange im internationalen Marketing tätig und habe meine erste Tochter mit 40 und die zweite Tochter mit 43 Jahren bekommen. Ich habe den Vater meiner Kinder nach einem längeren Trennungsprozess verlassen und konnte mir gut überlegen, welche Schritte ich als nächstes gehe. Finanziell ging es uns immer gut, die Kinder konnten in die Ganztagesbetreuung der Schulen und meine Mutter unterstützt mich, wenn es eine Betreuungslücke gibt.“ Doch im internationalen Marketing weiterarbeiten – das hätte nicht funktioniert. „Ich arbeite Vollzeit im öffentlichen Dienst an einer Hochschule, weil sich das durch die Gleitzeit und der Option auf Homeoffice mit der Kinderbetreuung vereinbaren lässt. Unsere Wohnung liegt in unmittelbarer Nähe zur Schule und meiner Arbeitsstelle. Die Schule der Kinder hat eine Ganztagesbetreuung angeboten, das hat auch geholfen. Natürlich verdiene ich weniger als früher, aber die längeren Arbeitswege, die Überstunden und die vielen Dienstreisen im internationalen Marketing wären nicht machbar gewesen.“
Dank eines guten Teams, kurzen Wegen und der Unterstützung durch ihre Familie kann Tina Kindererziehung und Arbeit unter einen Hut bringen. Das deckt sich mit Alex‘ Erfahrungen: „Wir haben uns unter Kollegen immer gegenseitig unterstützt, wenn mal jemand schnell nach Hause musste, um nach den Kindern oder den pflegebedürftigen Eltern oder wem auch immer zu sehen. In meiner Mittagspause habe ich für die Kinder gekocht und bin dann zurück an die Arbeit gefahren. Ohne kurze Wege wäre das nicht denkbar gewesen.“ Familie sei in ihrem Betrieb etwas wert, erzählt Alex, aber als Frau habe man ihr trotzdem nichts geschenkt. „Ich arbeite in einem mittelständigen, männerdominierten Unternehmen. Als Frau musst du doppelt und dreifach leisten, damit du weiterkommst. Und alleinerziehend geht es zu Hause mit den Wünschen und Sorgen der Kinder weiter.“
Wenig Zeit für sich selbst
Arbeit, Kinder – und Selbstfürsorge? „Keine Zeit“, sagt Alex. „Deine Selbstfindung kannst du für die Zeit an den Nagel hängen. Du funktionierst, und es klappt auch irgendwie, aber im Rückblick frage ich mich manchmal, wie ich das alles geschafft habe. Die Verantwortung lag ja komplett bei mir. Wenn die Kinder Probleme in der Schule hatten, wenn es irgendwo gehakt hat – da gab es nur mich. Meine Eltern haben in der Nachbarschaft gewohnt und mich in der Betreuung entlastet, aber sie waren natürlich auch nicht immer da, und die Entscheidungen für mich und die Kinder musste ich trotzdem allein treffen.“ Sie erinnert sich vor allem an das Gefühl, nicht genug zu sein: „Du schaffst nicht genug Geld ran, du kannst die Wünsche nicht erfüllen, du hast nicht genug Zeit, aber da geht deine ganze Energie rein. Mehr ging nicht.“ Die Hauptsache sei eine gute Beziehung zu den Kindern: „Was ist denn wirklich wichtig? Dass du den Kontakt zu deinen Kindern nicht verlierst und immer im Austausch bist, dass sie nicht das Urvertrauen verlieren. Dass wir uns nicht anlügen. Dass die Kinder immer zu mir kommen können, egal was ist. Weihnachten wurde gefeiert wie immer, die Kinder sind im Haus wohnen geblieben, es gab die Familie. Ich wollte diese Insel aufrechterhalten. Ich glaube, die war manchmal ein bisschen am Untergehen, aber die gibt’s bis heute, und das ist die Hauptsache.“
Alex lebt heute mit ihrem neuen Partner zusammen, Tina ist ledig. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2024 waren 43,6 Prozent der alleinerziehenden Mütter mit Kindern unter 18 Jahren im Jahr 2023 ledig. Sie leben nach Trennung oder Tod des anderen Elternteils mit ihren Kindern allein oder betreuen die Kinder von Beginn an ohne Partner*in im eigenen Haushalt. Knapp 35 Prozent der alleinerziehenden Mütter sind geschieden, 16,5 Prozent sind noch verheiratet, leben aber getrennt. 5 Prozent der alleinerziehenden Mütter sind verwitwet. „Manchmal denke ich, dass die Kinder eine männliche Bezugsperson neben ihrem Großvater in ihrem Leben brauchen. Jemand, der die Vaterrolle einnimmt. Ihr eigener Vater kann es nicht, mein Bruder lebt zu weit weg“, sagt Tina. „Aber ich habe bis heute kein Bedürfnis nach einer neuen Partnerschaft und finde es gut, dass mir niemand in die Erziehung reinquatscht. Ich kenne es auch gar nicht anders.“ Sie wisse, dass es vielen Frauen anders ginge – aber für sie sei die Trennung eine Entlastung gewesen. „Eine intakte Familie stellen sich viele immer noch als Mama-Papa-Kind vor. Aber wenn es mir in der Beziehung nicht gut geht und meine Kinder darunter leiden, dass ihr Vater emotional keine Verbindung zu ihnen aufbauen kann, dann ist alleinerziehend die gesündere Alternative.“